7. August: Weimar

Nach ausführlichem Aufstehen und Frühstück starten wir gegen Mittag zur Stadtwanderung. Vom Bahnhof geht’s knapp einen Kilometer über eine ruhige, breite, baumbestandene Straße mit Vorgärten in den Stadtkern. Schon hier stehen einige große klassizistische Verwaltungsgebäude, dazwischen ein neues Einkaufszentrum mit Park. Hier wie in der Innenstadt sehen wir eine Mischung aus gut erhaltener oder renovierter alter Bausubstanz, dazwischen immer wieder was Neues und vereinzelt Verfallendes, Baulücken und Plattenbauten, im Altstadtkern steht alles nur dichter,die Gassen sind schmaler und verwinkelter. Beherrschend sind die geschichtsträchtigen Bauten. Wir starten mit der Jakobskirche mit dem bis 1818 als Friedhof genutzten Kirchhof, auf dem einige Geistesgrößen mit verwitterten Grabsteinen liegen. Die Kirche ist klein mit schöner, hölzerner Barockausstattung. Wir steigen durch Glockenstuhl und ehemalige Türmerwohnung ins Aussichtsstockwerk. Hier kann man in die vier Richtungen Fensterchen öffnen und blickt flach über die Stadt, in der Ferne am Berghang das Buchenwald-Denkmal. Nette kleine Läden sind in der Stadt verteilt, zwar touristisch orientiert, aber doch mit einem gewissen Anspruch, viel Design und Literatur, eben für Bildungstourismus, dazu alles mit überaus moderaten Preisen.
Es geht über Marktplatz mit Rathaus und Cranach-Haus zum Weimar-Platz schlechthin, dem Theaterplatz mit dem Goethe-Schiller-Denkmal und Gründungsort der Weimarer Republik, wo in einem historischen Flachbau das übersichtliche Bauhaus-Museum untergebracht ist, bis es 2015 einen Neubau bekommt. Das schauen wir uns gründlich an. Es behandelt in exemplarischen Stücken die Gründungszeit mit Gropius, Itten, Feininger und dem pädagogischen Konzept der Vorklasse. Architektur spielt hier noch nicht die große Rolle, eher die ganzheitliche Beschäftigung mit den Bedürfnissen des Menschen. Vorbei am Schillerhaus kommen wir zur Herzogin-Amalia-Bibliothek, die inzwischen ein modernes Studienzentrum besitzt. Im alten Gebäude ist unten eine freie Ausstellung über die Cranach-Press, eine Kunstdruck-Manufaktur des Harry Graf Kessler, der Anfang des 20. Jahrhunderts viele Bücher im Jugendstil u.a. für Insel hergestellt hat. Der Rokokosaal, seit dem Brand berühmt, ist besucherbeschränkt und touristisch überlaufen; lange Buchung vorher im Internet oder morgens um 9 Anstehen für die letzten 70 Karten, dafür sind wir sowieso zu spät. Weiter geht’s durch den weitläufigen, bergigen Landschaftspark an der Ilm zu Goethes Gartenhaus, seinem zweiten Wohnsitz in Weimar, immerhin vier Zimmer, Küche und damals auch Terrasse, dazu der große Garten mit mehreren Ebenen, Nutz- und Obstgarten und einigen lauschigen Sitzecken mit Blick. Er hat das Haus bis zum Tod weiter unterhalten. Wir bewundern besonders seine Zeichnungen und die von ihm entworfene abstrakte Skulptur im Garten. Er war wirklich ein Genie mit Multitalent, sehr dynamisch, kontaktfreudig, impulsiv und schnell. Auch im Selbstmarketing und der Nutzung seiner juristischen Vollausbildung dürfte er ziemlich gut gewesen sein, so ist sein nachhaltiger internationaler Erfolg und damit der von Weimar zu erklären. Seine Einladung nach Weimar war natürlich sein absoluter Glückstreffer.
Wir ziehen weiter zum „Haus am Horn“, das einzige Musterhaus, das das Bauhaus überhaupt bauen konnte, anlässlich einer Ausstellung 1923, alle anderen großen Pläne fanden in der Anfangszeit der Weimarer Republik kein Geld. Durch den Ilmpark gehen wir zum Hauptgebäude der Bauhaus-Universität, das der belgische Architekten-Autodidakt Henry van de Velde um 1910 für die damalige Kunstgewerbeschule gebaut hat, aus der dann 1919 mit der Berufung von Walter Gropius auf seinen Vorschlag dieser das Bauhaus gegründet hat. Das Gebäude ist sehr interessant, wir können es komplett durchlaufen, nur Walter Gropius‘ Direktorenzimmer ist nur im Rahmen einer Führung zu besichtigen. Henry van de Velde wird in diesem Jahr überall in der Stadt aufgrund seines 150. Geburtsjahrs gewürdigt, seine Bedeutung wird uns erst hier klar. Vorbei an den weiteren Universitätsgebäuden über den zweiten in Umbau befindlichen Platz kommen wir zu Goethes zentral gelegenes, großes Wohnhaus am Frauenplan, heute Nationalmuseum. Wir essen einfach thüringisch draußen und gehen ins Hotel zurück, morgen fahren wir nach Bamberg, Chemnitz ist eine Schippe zuviel.

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6. August: von Duisburg nach Weimar

Gestern abend wars ohne Klima ziemlich warm im Zimmer, mit offenem Fenster ruhig nach hinten und dem Standventilator bekommen wir das gut in den Griff, morgens ist es angenehm. Wir schlafen solange es das Frühstück hergibt, besser gesagt Marlis, ich entwickle eine Idee für den Rest des Urlaubs: Chemnitz, Bamberg, Nördlingen, dann schon geplante Ziele. Vor der Abfahrt machen noch einen Stadtbummel. 2008 waren wir das letzte Mal am Ende einer Ruhrgebiets-Radtour hier. Nicht alle Geschäfte finden wir wieder, dafür eine neue Einkaufspassage, die Königspassage. Wir decken uns mit Kirschen, Wasser, Gebäck und einem Piccolo ein, die Fahrt ab 14:04 nach Weimar dauert 6 Stunden, wir haben die direkteste, aber kleinste Verbindung ausgewählt: Dortmund – Soest – Paderborn – Altenbeken – Kassel – Heiligenstadt – Bad Langensalza – Erfurt. Zuerst ein IC, bis Paderborn die platte Soester Börde mit Ackerbau, dann das hügelig-waldige Eggegebirge. Malerisch ist die kleine, teilweise eingleisige Strecke durchs Eichsfeld. Der kleine moderne, aber nicht klimatisierte Triebwagen der Erfurter Bahn ohne 1. Klasse ist in Kassel ganz voll, beinahe wären wir zugunsten der ICE’s nicht eingestiegen, im letzten Moment sagt mir Marlis‘ iphone – mein Handy ist wohl endgültig kaputt – dass alle ICE’s etwas Verspätung bekommen, was mir schlechter kalkulierbar erscheint. Der Zug leert sich auch flott, so dass wir bald gut Platz haben.
Um 19 Uhr siehts so aus, als wenn unsere Zugwahl in Kassel äußerst geschickt war: wir fahren hier pünktlich schräg vor den Unwettern lang und an harmloseren Stellen durch, manchmal gewittert, gießt und windet es. Die Beobachtung der ICEs, mit denen wir über Fulda gefahren wären, zeigt zunehmende Verspätungen bis 130 min. Etwas unruhig werden wir in Bad Langensalza, da wartet er länger, aber wohl nur auf Gegenzüge aus Gotha wegen Fahrerwechsel. 6 min. später geht’s weiter. Der Anschluss klappt in Erfurt, eine Minute früher sind wir in Weimar. Später erfahre ich in WetterOnline von den Unwettern, die in Hessen durch Bäume und Äste zu Streckensperrungen geführt haben.
Das Hotel liegt direkt gegenüber dem Bahnhof, der Service ist nett, das Zimmer gut, mit Blick in die Senke von Weimar. Da das Restaurant überlastet ist, holen wir uns die Empfehlung Köstritzer Schwarzbierhaus, wir laufen also in der Abenddämmerung mit schönem rotem Wolkenspiel am Himmel in die Innenstadt und sind mit den Gerichten – Thüringer Bratwurst und Hedrunger Sauerbraten, sehr zufrieden, auch mit dem Preis. Marlis hat sich inzwischen Weimar zu Gemüte geführt, und prompt stellt sie meinen Plan in Frage: Chemnitz soll zugunsten eines weiteren Weimar-Tages gestrichen werden. Mal sehen, welche Sehenswürdigkeiten sie ausgesucht hat. Jedenfalls kommen wir wohl über Nördlingen doch nach Speckbrodi, dem Drehort des Kohlhaas-Filmes auf dem Filmfestival. Bahnhöfe wie Nördlingen sind mit 12 bis 15 km zum Wandern zu weit weg, Fahrrad erschien uns auch zu schwierig, die Gegend ist nicht platt wie Dortmund, da sind wir auf E-Bikes gekommen. Eine Suche nach „EBike Nördlingen“, schon sind wir auf das Angebot des Landkreises gestoßen und heben uns für Sonntag zwei Räder reserviert.

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5. August: Duisburg und Oberhausen

(Jetzt ist der Fehler korrigiert, hier hing noch der vorherige Beitrag davor, und die Fotos sind drin)
Wir verlassen Dortmund, Balkone sind für BVB-Spiele vorbereitet, die Fahnen hängen jedoch nach unserer Beobachtung nur an Spieltagen, heute fehlen sie. Es fahren zwar dauernd Züge nach Duisburg, wir erwischen aber genau einen IC, der gleich in Bochum eine Pause wegen Notarzteinsatz einlegt, wir steigen sofort in einen nachfolgenden RE um, so kommen wir nur 19 Minuten später an. Wir laufen zu unserem Hotel. Dem Ferrotel, das schlicht, aber schick mit Accessoires aus der Industrie dekoriert ist, wir waren vor etlichen Jahren mal hier. Leider passt das Bad stilistisch nicht so, riesengroß, weiß gefliest, nur ein Waschbecken an der einen Seite und eine kleine Dusche in der anderen Ecke. Das geht besser.
Wir fahren nach Oberhausen in die nicht mehr so „Neue Mitte“ mit dem Gasometer und dem CentrO. Interessant ist die ÖPNV-Trasse dorthin: eine eigene betonierte Trasse mit Gleisen, damit für Bus und Straßenbahn geeignet, wahrscheinlich eine umgebaute Bahntrasse. Nördlich der Neuen Mitte verzweigen sich die Linien in die Stadtteile, dadurch gibt es bis zum CentrO alle Linien und einen dichten Takt.
An der Veranstaltungshalle „Köpi-Arena“ vorbei gehen wir zum Gasometer, hierhin kommen wir zum zweiten Mal wegen einer Christo-Ausstellung, vor vielen Jahren waren wir bei „the Wall“ aus Ölfässern. Die jetzige Installation „big Air Package“ nutzt den einmaligen Ort vollständig aus: Das Objekt ist 90m hoch und hat einen Durchmesser von 50m. Rundum bleiben vielleicht noch 10m, das Gasometer ist 105m hoch und hat etwa einen Durchmesser von 70m, also ein riesiger Hohlraum mit 2 Ausstellungsebenen und einer Plattform unten, dann ist alles leer, nur ein Glasaufzug geht am Rand ganz nach oben. Unten werden anhand von Filmen, Fotos und Texttafeln Rückblicke auf die Arbeiten von Christo und Jean-Claude gezeigt, die bis zu ihrem Tod 2009 über 50 Jahre zusammen gearbeitet haben. Jetzt macht er mit seinem langjährigen Exklusiv-Fotografen Wolfgang Volz weiter, schließlich sind die Installationen komplexe logistische Projekte mit vielen Mitarbeitern. In der Ebene darüber geht es um die Installation und die Entstehung, der dünne, leichte, außen etwas beschichtete Stoff aus Kunstfaser wird präsentiert, nebenbei hat man den grandiosen Blick entlang der weißen Hülle des Stoffzylinders 90m nach oben, nur scheinbar zufällig von einigen unregelmäßigen Seilen umrundet und in Form gehalten. Das ganze Objekt wurde aber vorgeplant und die Stoffhülle produziert. Innerhalb von 2 Wochen Ende Januar bei Frost wurde es hochgezogen und aufgebaut, nur Ein-und Ausgang wurden einigermaßen luftdicht vor Ort eingenäht. Dadurch ergibt sich erstmalig ein begehbares Air Package. Von außen wirkt es leicht durchscheinend, von innen weiß. Wir legen auf Kissen in der Mitte und schauen nach oben, wie in eine schlichte, dafür umso riesigere Kuppel einer Kathedrale, alles in weiß. Ich denke an den Dom von St. Blasien. Eine ganze Zeit träumen wir in den Himmel, oben das Wechselspiel von scheinwerferartigen Lichtflecken durch die Oberlichter des Baus, wenn die Sonne scheint, oder das gleichmäßig weiße Strahlen der Scheinwerfer darüber. Faszinierend, wie eine riesige Schutzhülle. Die Seile drücken sich innen nur unauffällig von außen an den Stoff. Die Fahrt mit dem Aufzug außen entlang zeigt nochmal das ganze Ausmaß und die filigrane Aufhängung an dünnen Seilen von oben. Hier gelangt man aufs Dach und kann von drei Plattformen über 100m nach unten blicken, in der Ferne beispielsweise der Tetraeder auf der Halde in Bottrop, direkt unter uns eine belebte, sich verzweigende Güter-Bahnstrecke und der Rhein-Herne-Kanal.
Wir wählen, in Anlehnung an gestern, den Fußweg am Kanal zum CentrO. Auch hier wieder die gelben Einstiegsleitern und Badende, als einziges Schiff sehen wir einen Ausflugsdampfer. Wir kommen von hinten ins CentrO, mittlerweile schon fast 20 Jahre alt, riesengroß, gut gepflegt, eine Obermenge der Kettenläden der Rheingalerie in LU. Wer braucht sowas? Zielgruppe bis 40, eher Streetwear, wir wüssten Läden, wo wir schneller, besser und nachhaltiger unseren Bedarf decken. Wahrscheinlich geht’s hier aber ums emotionale Shopping-Erlebnis, danke, überall gleich, austauschbar und immer weiter nationale und internationale Ketten fördernd. „Slow“ ist das nicht, uns langweilt das. Das Ganze ist zwar gut belegt und hat aufgrund seiner Gigantomanie ein großes Einzugsgebiet, aber die Tendenz, die solche Objekte befördern, in vielerlei Hinsicht Murks, sie werden auch nicht lange funktionieren.
Vor der Promenade mit lauter künstlich international wirkenden Restaurants am künstlichen See liegt ein großer Vergnügungspark mit Legoland. Das Irish-Pub-Gebäude mit Reetdach ist in der letzten Silvesternacht durch eine Rakete abgebrannt, die heiße Sanierung wird den Besitzer gefreut haben, es wird abgerissen.
Wir fahren zurück nach Duisburg und gehen an den Innenhafen mit seinen großen Kneipen und umfunktionierten alten Speichergebäuden. Auch wenn die Lokale nichts Besonderes sind, sie sind belebt und das Ambiente am Hafen in der Abenddämmerung wirklich angenehm beschaulich.
Wie auf Reisen üblich, gibt’s mal wieder einen technischen Ausfall: letzte Nacht habe ich mein Wasser umgekippt und nicht bemerkt, dass mein Handy davon betroffen war. Das Trocknen am Tag war entweder zu heftig oder nicht erfolgreich, jedenfalls zuckts nur noch, zeigt aber nichts mehr. Vorerst müssen wir also mit einem Handy, ohne die Offline-Karten, die Bahnauskunft und die Notizen auskommen. Es gibt allerdings auf dem ipad Backup-Apps dafür, dazu ist leider Umgewöhnung nötig!

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3.-4. August: Zwei Tage Dortmund auf Marlis’ Spuren

Marlis ist in Dortmund geboren, vor 65 Jahren. Für sie gibt es auch nach mehreren Besuchen in den letzten Jahrzehnten Orte in der Stadt, die sie nochmal sehen will. So starten wir heute nach dem Frühstück mit einer Stadtwanderung. Nach der Ruhrallee mit einigen der vielen Versicherungspaläste von Dortmund, dem Südbad und einigen versteckten Straßen stärken wir uns nochmal bei der GourmeDO auf dem Friedensplatz mit einem Sekt. Dann sichten wir das alteingesessene Café Strickmann, erstmal ohne Appetit, das Frühstück ist noch nicht lange her. Nebenan ist ein Schuster, der klebt widerwillig die Sohlen meiner durch Bahn-Zeit-Reise gut benutzten Schuhe, aber bessere gibt’s für mich nicht, die müssen halten, bis die Sohle platt ist. Die Wartezeit sorgt also doch für eine Holländerschnitte im Café. Gegenüber ist eine Apotheke. Marlis erkennt darin noch genau das Haus, in dem sie ihre Lehre zur Großhandelskauffrau gemacht hat, damals Autozubehörhandel Gelhard, der Name ist noch an der Klingel zu finden. Wir ziehen weiter durch die gut belebte Fußgängerzone Westenhellweg, kein Vergleich zu Ludwigshafen. Wir sind auf der Suche nach dem Hotel, in dem der Film „Die Libelle und das Nashorn“ mit Mario Adorf und Fritzi Haberlandt vom Festival des deutschen Films LU 2013 gespielt hat. Es soll ein Hilton mit Blick auf das Dortmunder U sein. Das kann nicht sein, finden wir nach kurzer Web-Recherche heraus. Am Ende des Westenhellwegs, rechts steht das U, blicken wir hinüber auf einen Eingang, in dem eine ähnlich pompöse Treppe leuchtet, Hotel Unique. Wir gehen rein, das muss es sein, die Rezeption bestätigt das. Alles roter Marmor (oder sowas ähnliches), Messing-Handläufe, tiefe Sessel. Wir denken, das sei alt, fragen aber nach. Der Bau ist aus den Dreißigern, war aber Verwaltung der Union-Brauerei. Nach längerem Leerstand hat ein türkischer Investor im letzten Jahrzehnt hier seinen „Traum-Eingang“ verwirklicht, der auch im Film sehr auffällig war. Seit 2006 ist das Gebäude Hotel, jetzt in Regie der Novus-Gruppe.
In der Tourist-Info am U klären wir einen Punkt, den Marlis sucht: Über „Jugendstil Dortmund“ kommen wir auf die Maschinenhalle der ehemaligen Zeche Zollern II, die erkennt Marlis wieder. Kommt nächstes Mal dran.
Über Straßen der Erinnerung von Marlis‘ jugendlichen Streifzügen, der Brinkhoff-, Schützen- und Mallinckrodtstraße, heute stark vom Nahen Osten geprägt, erreichen wir den Dortmunder Stadthafen. Imposant steht das alte sechseckige Gebäude der alten Hafenmeisterei da, direkt unterhalb die neue Strandbar Hafenglück, in deren Strandkörben und Liegestühlen wir uns erstmal bei heute angenehmen Sommertemperaturen ausruhen, meine Knie melden Unlust nach der recht langen Strecke.
Über Nebenstraßen, teils baumbestanden und mit einigen schönen Gründerzeithäusern treffen wir auf der Mallinckrodtstraße das „Haus Möller“, ein alteingeführtes, schon lange kroatisch geführtes Speiselokal, das wir bis 2002 öfter aufgesucht haben, als Marlis‘ Mutter noch lebte. Dann gehen wir ihren Schulwegen nach, mit dem Schulkomplex, in dem Sie Ende der 50er in die Grund- und danach in die Realschule gegangen ist. Beide Schulen gibt’s noch, nur die Geschlechter-Trennung ist weggefallen. Der Weg von unter einem Kilometer kam ihr früher viel länger vor. Die Geschäftswelt in der Umgebung hat sich stark verändert, besonders die vielen Bäcker und Kneipen sind restlos verschwunden, auch kleine Reifenhändler und Werkstätten. Die Kirchen stehen noch und werden genutzt, die erste Grundschule ist jetzt Sekundarstufe I einer Gesamtschule.
Wir essen im „Haus Möller“, dem wirklich einzigen brauchbaren Lokal, das wir in der Gegend gesehen haben, entsprechend gut besucht ist es. Noch ein Zwischenhalt auf der jetzt bei den angenehmeren Temperaturen auch in den Zelten gut besuchten GourmeDO und einem Treffen mit dem hier vertretenen Winzer Klumpp aus Bruchsal, den wir von Slowfood kennen, dann ist der Tag rum.
Am zweiten Dortmund-Tag nehmen wir uns ein Fahrrad für etwas weitere Ziele, es gibt im Ruhrgebiet mit MetropolRadRuhr ein Mietsystem mit vielen Stationen, und direkt vor dem Haus stehen Räder. Gestern haben wir in der Info am U spontan ein ganz neues Buch „Dortmund Stadtwanderführer“ gekauft, und darin Ideen gefunden, die gut per Fahrrad gehen. Mittags geht’s bei blauem Himmel los, 3 Fahrräder sind da, Standardtypen mit Dreigang, Rücktritt, fester Korb vorne. In wenigen Minuten haben wir uns mit Handy und Kreditkarte an der Säule angemeldet und die Schlösser geöffnet, es kann losgehen. Bergab geht’s zum Borsigplatz, dort ist alles BVB-geflaggt, wir finden auch das Gründungslokal „Zum Wildschütz“. Von dort geht’s durch den Hoesch-Park, 1938 von KdF für die Hoesch-Arbeiter eingerichtet, in der Nähe von Marlis‘ Wohnort, an den sie viele Erinnerungen hat. Wir durchkurven den Park und finden vieles wieder: Reste der Radrennbahn, darin heute ein Baseballstadion, das erste Mal sehe ich dieses Spiel live. Der Spielplatz ist noch da, aus der Rollschuhbahn sind Tennisplätze geworden. Der Park ist gut genutzt, besonders auch das Freibad am östlichen Ende. Entlang großer Straßen und aufgegebener oder umgewandelter Industrieanlagen – Hoesch zu Thyssen-Krupp zu letzten Resten – fahren wir nach DO-Kirchderne, alles eigentlich kleine Städtchen mit Grün drumrum. Neben der alten Kirche finden wir mit Komoot, das wir auf dem Ipad als GPS-Karte mitlaufen lassen, den historischen Friedhofteil mit einigen verstreuten Grabsteinen von 1850 und einem Grubenunglück von 1925. Durch einen kleinen Wald und große Kleingartenanlagen geht es weiter zu heute als Naherholungsanlage mit Springbrunnen ausgebauten Zechenteichen, die Marlis noch als Rohform – Wasserlöcher – kennt. Auch das Grün drumrum, jetzt ganze Wälder, gab es Anfang der 60er Jahre nicht. So sieht man, was in 50 Jahren wächst!
Wir erreichen das hintere Ende der Burgholzstraße, an deren Anfang Marlis wohnte. Hier liegt der Nordfriedhof, da liegen ihre Eltern, wir wissen allerdings nicht wo, darum kümmert sich ihre Schwester. Wir wechseln die Tour und kommen durch den großen Fredenbaum-Park mit dem größten Indianerzelt der Welt, heute Teil eines Abenteuer-Spielplatzes. Ansonsten ist der ganze Park heute ein großer Flohmarkt und entsprechend belebt. Wir kehren im Biergarten ein und haben leider einige Wespen als Gäste, eine müssen wir aus dem Brombeerwein fischen, das erleichtert den Aufbruch. Wir kommen an eine Brücke über den Dortmund-Ems-Kanal. In einem originellen Heftchen „Öffeln“ der Stadtwerke Dortmund wird das Schwimmen im Kanal als originelles Abenteuer dargestellt, dem geben sich hier einige hin, und die Ufer sind gut bevölkert, Picknick, Grillen, Chillen. Wir fahren erstmal weiter, sehen zwei große Gas-Eier und schwenken an der Emscher auf den Uferweg ein. Die Emscher ist der Fluss Dortmunds, hier ein gerader, schmaler Fluss, gut veralgt, modrig riechend und rundum fast wie ein Auenwald eingewachsen. Bald sehen wir auf der linken Seite einen Hügel mit Treppe darauf. Das ist der Deusenberg, er ragt 50m aus der Landschaft, eine rekultivierte Hausmülldeponie, die Lüftungshüte ragen überall raus. Von oben hat man einen kompletten Rundumblick, ein Erlebnis bei diesem Wetter, Dortmund Innenstadt komplett im Blick, mit Westfalenstadion (pardon: Signal-Iduna-Arena oder so ähnlich), Hafenkränen, Hochhäusern, und dem U. Mit diesem Blick hats der Umweg über die Emscher schon gebracht, auch wenn der Fluss wahrlich keine Schönheit ist. Nach DO-Mengede, dem ältesten Ort des Ruhrgebiets, mit schönem Kirchhof (wir erinnern uns an eine Radtour durchs Ruhrgebiet vor etlichen Jahren) fahren wir nicht hinein. Der Emscher-Weg ist ab hier gesperrt, die Emscher wird renaturiert. Das stört uns nicht, wir wollen hier sowieso wenden und am Dortmund-Ems-Kanal zurückfahren, den wir durch kleine Wälder und Felder erreichen. Der Kanal ist meist durch Spundwände, seltener mit einer Steinböschung eingefasst und ist mindestens 50m breit, auf beiden Seiten verläuft ein Weg, der intensiv von Radfahrern und Fußgängern genutzt wird. Hier treffen wir wieder einige Schwimmer, obwohl große Wasserpflanzen zu sehen sind. Wir überlegen, wie die wohl in den Kanal kommen, das dürfte per Sprung kein Problem sein, aber heraus? Wir entdecken gelb markierte Stellen entlang der Spundwand, und tatsächlich: dort ist immer eine Leiter eingelassen, und obendrauf sitzt oft ein Bügel, der Ausstieg ist also kein Problem. Kurz hinter einer Partymeile an einem alten Brückenkopf entscheide ich mich, baden zu gehen, das kann ich mir nicht entgehen lassen, einmal in einem Kanal! Ich habe zwar das Badezeug vergessen, aber bei diesen Temperaturen an dieser ruhigeren Stelle ist FKK kein Problem. Die Leiter ist rostig, das Wasser ist wirklich warm, an der gegenüberliegenden Böschung streifen mich etliche Wasserpflanzen, als Handtuch dient das nicht benötigte Unterhemd. Ich bin echt stolz, den Kanal einmal durchschwommen zu haben.
Vorbei am Ikea-Verteilzentrum geht’s über den Kanal nach DO-Eving und dort zur Siedlung „Alte Kolonie Eving“ von 1898 mit vielen Häusern mit unterschiedlichen, schönen Fassaden. Von hier geht’s auf Stadtstraßen ins Zentrum zurück. Am Hauptbahnhof Nord reicht uns die Fahrerei, wir schließen nach fast 9 Stunden und 40 km die Räder an und buchen sie aus dem System, pro Rad hat uns das jetzt 9€ gekostet, wirklich ok und unkompliziert.
Die Innenstadt durchqueren wir zu Fuss, wir landen wieder auf der GourmeDO, essen und trinken was und sind bald im Hotel, wo die Zeit gerade noch reicht für weitere Planungen und Buchungen und diesen Text. Die Tour heute war super, hat uns das Ruhrgebiet mit seinen grünen Seiten und seinem Freizeitwert gezeigt und war ein Erlebnis. Mir fehlen langsam wieder die Bahnfahrten, Vorbereiten und Schreiben ist so kaum unterzubringen, die Fotos hinken hinterher.

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2. August: Hochwasserfolgen und nach Dortmund

Wir frühstücken traumhaft unter dem Blätterdach in einer lauschigen Gartenecke. Pünktlich kommt Onkel Klaus und setzt sich dazu. Bald starten wir mit seinem Auto durch das ruhige Umland nach Arneburg, wo wir mit einer alten strömungsgetriebenen Gierseilfähre über die Elbe setzen. Jetzt erreichen wir die durch den Deichbruch bei Fischbeck überfluteten Gebiete. Beim oberflächlichen Hinsehen fällt wenig auf, dann aber immer deutlicher: In den Weidezäunen hängt viel, die eingeschweißten Heuballen sind über die Wiesen teils in den Graben gekugelt und beschädigt, vor vielen Häusern liegen Sperrmüllberge und stehen Dixi-Klos. Am Bahnhof von Schönhausen hält aktuell kein Zug. An einem tiefergelegenen kleinen Einkaufszentrum halten wir, da sieht man das Ausmaß deutlicher: Die Läden sind leer, etwa 1,50 m hoch stand das Wasser an Scheiben und im Innern, alles feucht, Farbe und Tapeten blättern, die Wände sind teils schimmlig oder algig. Manche renovieren schon, der Putz wird entfernt, es wird getrocknet. Wir fahren noch durch Fischbeck, das bis auf zwei ein paar Meter höhere Stellen an der Kirche komplett im Wasser gesessen hat. Jetzt können wir uns viel eher vorstellen, wie schlimm das war und noch ist, viele Häuser sind immer noch unbewohnbar, Läden geschlossen. Kontrast ist auf der Westseite der Elbe Tangermünde mit Hafen und hoch darüber gelegenem Schloss, heute Nobelhotel und Tagungszentrum. Auf dessen Terrasse essen und trinken wir eine Kleinigkeit bei tropischer Hitze und tollem Elbblick. Auf dem schiffbaren Fluss haben wir is der ganzen Zeit nur ein Sportboot gesehen. Nach kleinem Rundgang mit erfrischendem Aufenthalt in der schönen, kühlen gotischen Backsteinkirche fahren wir zum Bahnhof nach Stendal. Wir verabschieden uns nach einem intensiven Kurzbesuch.
Unser IC wird in Stendal eingesetzt, Folge des Notfahrplans, daher gibt es genug Platz, aber wenig Klima. Der Bistro-Wagen fällt gleich aus, in unserem, dem einzigen verbleibenden 1.Klasse-Wagen, ist es eher ein laues Lüftchen, das das Schlimmste verhindert, allerdings mit abnehmendem Erfolg. Zum Glück müssen wir in Hannover umsteigen, noch mehr Glück, dass der obligatorische Blick in die Online-Abfahrtstafel einen IC 3 Minuten später zeigt, und am selben Bahnsteig! Der steht da, wir rein, los geht’s, leerer, neu modernisierter 1.Klasse-Wagen, Ledersitze, richtiges Klima. Unser offizieller Anschluss-ICE wäre erst 36 Minuten später gefahren, +25 Minuten Verspätung, und wahrscheinlich voll, also heute Glück: Am Ende beträgt die Reiseverzögerung noch minus 12 Minuten! Unterwegs erwischen wir tatsächlich mal das Hermanns-Denkmal, nach vielen Fehlversuchen.
In Dortmund treffen wir uns am Abend mit Marlis‘ Schwester auf der GourmeDo, einer „Gourmet“-Messe auf dem Friedensplatz. Sehr schön sind außenrum entlang eines Quadrats über 20 Stände regionaler guter Ess-Adressen angeordnet, die sehr gute kleine Gerichte bis 10€ anbieten, dazu ausgesuchter Wein, zur Not auch Bier. Das ganze Innere ist ausgefüllt mit Sitzgelegenheiten unter einem Riesen-Runddach in 10m Höhe, alles noch verträglich voll, weit über 1000 Gäste, bei noch tropischen 32° um 22 Uhr. Wir trinken und futtern uns höchst angenehm durch, im Hotel läuft die Klimaanlage.

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1. August: Transfer nach Stendal zum Onkel

Der Morgen begrüßt uns mit stahlblauem Himmel, es verspricht warm zu werden. Wir frühstücken heute nicht im Hotel, sondern angenehm draußen in einem Café am Ring, direkt an der gut befahrenen Fahrrad-Hauptstraße. Wir gehen noch eine Stunde shoppen mit Blick in die Lambertikirche, finden schöne Westfalenstoffe in einem spezialisierten Laden und staunen über den vielen gut besetzten Straßencafés. Den Zug erreichen wir gut, er ist pünktlich, jedoch nur 10 km, dann „hinter Güterzug“, danach „Signalstörung“, wir zittern um den Anschluss. Unnötig, nach Hamm kommen wir mit moderaten 17 Minuten Verspätung, unser ICE hat aber 28 (statt vorher angekündigten 5 Minuten). Ein hier ausgefallener ICE steigt komplett um, wir fahren die planmäßige Hochwasserumleitung über Magdeburg, dorthin wird sich wohl das Anschlussproblem verschieben, dort müssen wir nach Stendal umsteigen. Im ICE ist sogar die 1. Klasse voll besetzt, in einem Wagen der zweiten Klasse ist die Klimaanlage ausgefallen. Es läuft einigermaßen planmäßig weiter, wir verpassen den Zug in Magdeburg und treiben uns bis zum Nächsten rum. Am Bahnhof in Stendal holt uns Onkel Klaus, 87, mit seinem schicken Audi 80, mindestens 22, ab und chauffiert uns zum Hotel. Er hat sich auf uns eingestellt und sich von seinem Tagesablauf verabschiedet, wie er es schon von unserer Niederösterreich-Reise 2012 kennt. Wir machen einen gemeinsamen Stadtrundgang, bemerken positive Veränderungen in Stendal seit 2011 und weiter bestehende Altbaustellen. Wir essen zusammen im Garten unseres gut belebten Gasthauses und amüsieren uns prächtig. Zur Dämmerung fahren wir rüber in sein Haus. Der Garten ist gut in Schuss und mit vielen Nutzpflanzen besetzt. Nur der Eingangsbereich ist etwas zugewachsen, er siehts ein und will es ändern lassen. Wir bewundern seine verschiedenen Sammlungen im Keller, schauen Fotos an und blättern in Erinnerungen, auch das Hochwasser ist ein Thema, schließlich liegt Fischbeck und und der gesperrte Bahndamm Richtung Rathenow gerade gegenüber. Es macht Spaß, ihn so fit zu erleben. Durch die laue Nacht laufen wir zum Hotel zurück. In unserem geräumigen Zimmer, ehemals Teil einer Altbauwohnung über dem intensiv begrünten Innenhof lässt es sich bei offenem Fenster gut schlafen.

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31. Juli: Ausflug in den Norden

Heute haben wir uns die Nordwest-Ecke vorgenommen. Durchs platte und, je nördlicher, je grünere Land fahren wir nach Norden und steigen erstmal in Papenburg aus. Das hat etliche alte Kanäle, entlang denen sich Straßen und freistehende Häuser ziehen. Dazwischen streuen sich Windmühlen, Kirchen und das große Rathaus ein, fast alles in Backstein mit weißen Fenstern, irgendwie sieht das, zusammen mit dem Wasser und dem vielen Grün, immer gut aus, nichts erscheint ungepflegt, und neue Häuser erscheinen niemals unpassend. Der Hauptkanal, den wir entlang laufen, ist von Blumen gesäumt und hat viele alte Zugbrücken, die allerdings nicht mehr hochgezogen werden: der Kanal wird nicht mehr befahren. In einzelnen Abschnitten liegen als Museum nachgebaute Holzschiffe, um an die lange Tradition des Holzschiffbaus in Papenburg zu erinnern, berichtet wird auch über die Bedeutung der Papenburger auf den Weltmeeren. Heute zeugen davon noch die großen Hafenanlagen Richtung Ems, dort liegt auch die für den Bau von Kreuzfahrtschiffen bekannte Meyer-Werft. Zu einem Besuch dort reichts nicht, alle zeitnahen Führungen sind ausgebucht, und ohne geht’s nicht. Wir sehen die großen Trockendockhallen von der Fußgängerbrücke über den Bahnhof, bevor wir wieder in den Zug steigen.
Durch die platte, grüne, von einzelnen Bäumen und Büschen durchsetzte Marsch kommen wir nach Emden. Davon versprechen wir uns nicht viel, weil die Innenstadt zu 80% kriegszerstört war. Umso überraschter sind wir von unserem Rundgang: Eine bewaldete Wallanlage, umgeben von einem Wassergraben, der sogar von Booten befahren wird, ein schöner Wasserturm direkt am Bahnhof, grüne Wohnstraßen und wieder lauschige Kanäle mittendurch. An einem liegt die Kunsthalle Emden, die maßgeblich auf Henri Nannen zurückgeht. Wir kehren im Museumscafé ein und sitzen auf der Terrasse direkt am Wasser. Auch in der Innenstadt Backsteinarchitektur, meist höchstens dreigeschossig, die auch als geschlossene Bebauung richtig gemütlich aussieht, es ist auch einiges los. Der alte Binnenhafen ragt in die Innenstadt hinein, dort liegen Museumsschiffe, und das Otto-Huus als Otto-Waalkes-Museum, alles voll von Ottifanten, einer davon versucht durch die Außenwand aus dem ersten Stock auszubrechen. Wir sehen noch die letzten zwei Renaissance-Backsteinhäuser von 1570, bevor wir uns in aller Ruhe auf die Rückfahrt nach Münster begeben, wo wir uns direkt anschließend im Großen Kiepenkerl mit unserer Slowfood-Bekannten treffen werden.

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30. Juli: Ausflug nach Soest

Nach den ersten 3 Nächten und jetzt festem Standort ist morgens Ausschlafen und eine gründlichere Aufbereitung fällig, also geht’s erst um 12 los. Nach den Empfehlungen von gestern entscheiden wir uns für Soest. Von einem Ringwall mit ¾ Stadtmauer und 600 denkmalgeschützten Häusern und interessanten Kirchen berichtet Wikipedia. Am Bahnhof gibt’s gleich ein Schild für einen Altstadtrundgang mit über 30 Stationen. Aber erstmal treffen wir auf die Eismanufaktur Soest, alles ohne Zusatzstoffe, da langen wir gleich zu. Die schmale Fußgängerzone ist recht belebt, speziell im Genussbereich gibt es interessante Läden. Der Rundgang geht im Zickzack durch schmale Gassen und an Bächen zwischen kleinen Häusern mit viel Grün durch. Viele Häuser sind Fachwerkhäuser, aber zwischendrin gibt es immer wieder auch Gebäude späterer Epochen und Bausünden der Nachkriegszeit. Die Häuser zeugen von der wirtschaftlichen Blüte als Hansestadt und am Hellweg, wobei Salz eine bedeutende Handelsware war.
Die echte Sehenswürdigkeit ist aber der vielerorts in Sockeln, Mauern und allen Kirchenbauten verwendete Soester grüne Sandstein, und Kirchen gibt es viele. Der Stein gibt den Innenräumen ein helles, frisches Erscheinungsbild. Besonders beeindrucken uns die gotische Halle und die hohen Fenster von St. Maria zur Wiese, angrenzend an ein früheres Sumpfgebiet, mit einem inbrünstig spielenden Querflötisten, sowie in der Nähe die ältere, eigenwillig gebaute St. Maria zur Höhe mit alten, großflächigen ornamentalen Wandmalereien und einem großen „Scheibenkreuz“, wie es sonst nur in Gotland vorkommt.
Es gibt einige schöne Plätze im Stadtgebiet, wo man wunderbar draußen sitzen kann. Insgesamt geht alles einen eher ruhigen Gang, und die Touristen fallen kaum auf. Im zweiten Teil des Rundgangs sehen wir die zentralen Kirchen, die älteste, St. Petri – in Renovierung – und den 1050 Jahre alten romanische St. Patrokli-Dom mit mächtigem Turm – innen mit gemaltem Mauerwerk eher langweilig - beide in ihrem dezenten Graugrün von außen ausgesprochen eindrucksvolle Bauwerke, ebenso wie das schlicht zurückhaltende Kunstmuseum aus den 60er Jahren, auch schon unter Denkmalschutz.
Eine Überraschung im weiteren Rundgang ist die Kirche St. Pauli. Im hinteren Teil sind keine Bänke, dafür fallen 8 schlichte Türmchen mit Inschrift-Tafeln auf, das ganze mit einem bemalten Glas-Zaun abgeteilt. Wir hatten uns es fast schon selbst erklärt, dann werden wir von der Aufsicht führenden Dame informiert: es ist ein Kolumbarium, ein Urnenfriedhof in der Kirche, das haben wir so noch nie gesehen. Nach der Lagerzeit von meist 20 Jahren wird die Asche in eine gemeinsame Kammer im Boden in der Mitte verbracht und bleibt damit dauerhaft in der Kirche. Der Zaun war nicht gewünscht, aber rechtlich nötig, da ein „Friedhof“ kommunal ist und „eingefriedet“ sein muss, immerhin konnte man eine 2 Meter hohe Mauer verhindern. Mit dieser Einrichtung, die eindrucksvoll mit den Säulen und den Grabplatten im Altarraum korrespondiert, konnte man vor 10 Jahren den Erhalt der Kirche sichern.
Von der Wallanlage mit dem letzten erhaltenen Befestigungsturm, dem Kattenturm, haben wir Einblick in die alten Grundstücke und Gärten und erreichen am Jakobitor das Pilgrim-Haus, eine frühere Pilger-Herberge am Zuweg zum Jakobsweg und die älteste Gaststätte Westfalens von 1304, wo wir passend den Regen umschiffen.
Nach gut 5 Stunden, viel länger als gedacht, verlassen wir Soest mit dem Gefühl, dass es sich absolut gelohnt hat. Mit Genuss schauen wir im Zug dem nächsten Regen zu, der sich bis Münster wieder verzogen hat. Der Regenradar von WetterOnline bringts echt, so können wir uns oft die Zeit regengerecht einteilen.
In Münster wandeln wir auf den Empfehlungen von Helmut von gestern: erstmal urwestfälisches Essen im Stuhlmacher (genannt „Stuhls“): Dicke Bohnen mit Mettenden und kleines Krüstchen mit nettem Service, dann weiter in die Köpi-Stuben in der Bergstraße, wo der Inhaber Bübi Wulff an der Theke sitzt und beste Grüße für Helmut ausrichten lässt, es wird ein sehr nettes Gespräch über Einheimische, Touristen, Studenten und den Betrieb im Sommer in Münster – wir sind kurz vor 11 auch hier die letzten, nach uns ist Schluss.

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29. Juli: Bremerhaven, dann nach Münster

Das hat man von toller Aussicht, vielen Fenstern und gutem Wetter: Morgens heizt es oder zieht es. So wird der Tag unfreiwillig länger, wir haben mehr Zeit zum Frühstück. Es ist viel los, wir sind nicht die einzigen Spätaufsteher. Wir haben uns erstmal den „HafenBus“ um 14 Uhr vorgenommen. Das sieht gut aus, es gibt noch einzelne Tickets und den Rat, am Ausgangspunkt im Fischereihafen einzusteigen. Zuerst gehen wir Schnellshoppen im Einkaufszentrum am Klimahaus, ich brauche eine Kappe gegen Hitze und Sonne, nachdem ich in den letzten Wochen alle meine 3 Varianten irgendwo liegengelassen oder verloren habe. In Minuten finden wir Ersatz, einfacher, hosentaschentauglich, preiswert genug zum Verlieren. Und Marlis findet tatsächlich auf die Schnelle zwei reisetaugliche Teile zum Soforteinsatz, komplett ungeplant, dafür reicht der Platz im Koffer noch.
Dann mit dem Stadtbus zum Fischereihafen: eine Mischung von neumodischen Büro- und Loft-Gebäuden (wie in Duisburg oder Münster am Hafen, nur kleiner) und Fischnostalgie mit Fischbrötchenbuden und Selbstbedienungs-Fischlokalen in alten ehemaligen Packhallen aus Backstein, naja. Und in den angrenzenden Packhallen, wo wirklich noch was gepackt wird, und es kleine Fischbratküchen gibt, ist Montag Ruhetag. Wir futtern was Fischiges aus der Hand und stellen uns mit unserem Ticket in die Schlange des ausverkauften Hafenbusses, so bekommen wir einen guten Platz im oberen Deck. Wenigstens das hats gebracht, für die weiteren Einstiegspunkte bleiben nur noch Plätze unten übrig. Die präzise 2 Stunden dauernde Fahrt ist wie vermutet super: Der „Sabbler“ redet mit Platteinschlag und in spannendem, humorvollem Stil in einem durch, Geschichtliches, Aktuelles, Unbekanntes, immer passend zum Ort, ich schaffe es trotzdem, einzunicken. Wir sehen riesige Kreuzfahrtschiffe, Autotransportschiffe, Containerschiffe, auch im Dock, sehen Verladungen und erfahren einiges über die Logistikkette, die Auto-Aufbereitung und -Umrüstung und die Umschlagmengen, absolut beeindruckend. Nebenbei wird der freie Platz für die Lagerung von Teilen für Offshore-Windkraftanlagen wie 59m-lange Rotorblätter, teils Importe aus Vietnam, genutzt. Das Ganze ist mehrere Kilometer lang, mit großen Parkplatzanlagen für die zwischengelagerten Autos. Die Ausstiegszeit passt wunderbar zum Bus Richtung Bahnhof und dort Kaffee und Kuchen, bevor wir nach Münster losfahren, mitten durch ein Gewitter.
Die Idee mit Münster hatten wir erst gestern: Statt täglich mit Koffern umzuziehen, sind Standorte in der Nähe von Bahnknotenpunkten viel praktischer: wir laden das Gepäck ab und machen von dort Tagesrundtouren, abends treiben wir uns dann im Standort rum. So auch heute: nach einer netten Fahrt mit einem Klappfahrrad-fahrenden Arzt, der uns Tipps für Soest gibt, starten wir vom Ibis Münster, wo wir 3 Nächte bleiben, zur meines Wissens ältesten Bio-Brauerei Pinkus Müller quer durch die echt attraktive, in den Semesterferien am Montag jedoch eher verschlafene Innenstadt. Das gefällt uns! Morgen früh suchen wir uns eine Tagesrunde aus, Ideen gibt’s schon, außerdem ist uns eine Slowfood-Bekannte eingefallen, die hierher umgezogen ist. Da hilft jetzt eine weitere Neuerung: Marlis großes Kontaktverzeichnis ist auf das ipad umgezogen, da reicht das Stichwort. Sofort haben wir den Namen, von anderen Bekannten erfahren wir die neuen Telefonnummern, und siehe da, sie will sich hier sehr gern mit uns treffen!

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28. Juli: Wrist und Bremerhaven

Nach einem typischen Etap – pardon, Ibis-Budget-Frühstück geht’s zum Metro-Bus 4, dessen Route ich gestern abend zufällig auf dem Rückweg entdeckt habe. Er fährt gemütlich durch die schönsten Ecken von Eimsbüttel direkt zum Bahnhof Dammtor, optimal zum Zug Richtung Kiel. 1.Klasse – Ledersitze im RE-Doppelstockwagen – man gönnt sich ja sonst nichts! Dazu noch 3 Zusatzhalte, also eher RB, vorher ist ein Zug ausgefallen. In Wrist steigen wir aus. Das Taxi nach Kellinghusen soll 10 min dauern, es gibt eine Fahrt vorher, dazu steht es schon da. Wir fragen: Es zeigt sich, die Fahrt vorher sind wir! Meine Tante und Patentante Leni hat uns als Überraschung abgeholt und ist auf dem Bahnsteig! Wir fahren in ein von ihr ausgesuchtes indisches Restaurant in Kellinghusen, meinem Geburtsort. Fast 3 Stunden essen wir angenehm und unterhalten uns intensiv. Leni ist fast 92, schlank, fit und geistig top drauf, hat alles im Gedächtnis, Familiendaten aus fast einem Jahrhundert, und auch alles neueste. Das alles mit einer selbstverständlichen Ausstrahlung, Gelassenheit, Lebensfreude und Freundlichkeit, die einen glatt beschämt. Aber gerade deshalb besuchen wir sie so gerne, ein Kontrast zu meiner hektischen, nervösen, überforderten, und noch viel intelligenteren Mutter, ihrer Schwester, die schon 30 Jahre tot ist.
Am Nachmittag fahren wir nach Bremerhaven weiter. Im ICE ab Hamburg ziehe ich den Unmut eines Ehepaars zu, von dem ich die Vorlage der Reservierung verlange, als sie unseren unbeschrifteten Platz beanspruchen. Wagen, Platz und Datum stimmen, nur die Fahrzeit nicht; ihr Zug direkt nach München wäre 7 Minuten später am selben Gleis dran gewesen, wir hatten 4 Minuten Verspätung. Nach dieser Klärung sind sie mir dankbar, so können sie noch in Hamburg-Harburg in ihren nachfolgenden Zug umsteigen, sonst wären sie 4 Stunden später in Nürnberg gewesen, ob sie dann noch nach München gekommen wären?
In Bremerhaven kommt uns alles bekannt vor, und so sitzen wie auch schon 5 Minuten später im Bus Richtung Havenwelten, wo wir im Boardinghouse Jaich auf der Hafeninsel genau für diese Nacht noch das Appartment bekommen haben, das uns im Reisejahr so gut gefallen hat. Auf dem Weg vom Bus dorthin landen wir in dem Abschluss der Festwochen, jede Menge Buden und Fahrgeschäfte um den Neuen Hafen herum, voll mit Menschen und Musik, ein kleiner Junge tanzt zu einem Hiphop-Sänger, der Hafen voll mit Jachten und alten Seglern. Also genießen wir erstmal das und essen mit Blick über Hafen Richtung untergehende Sonne, die Bewölkung vom Nachmittag lockert passend auf. Zum Untergang über dem Meer wollen wir auf dem Deich sein. Da hält uns die Zugbrücke auf: 20 Minuten Schauspiel, wie ein polnischer Dreimaster mit dem Schlepper durch den engen Ausfahrtkanal bugsiert wird, aufregend und mit vielen Zuschauern. Wir schaffens dann gerade auf den Deich, auch hier wieder viele Zuschauer, als die Sonne groß und glutrot sich wie ein Ballon auf den Horizont setzt und förmlich ausläuft, bis sie leer ist. Aber dann das Nachspiel: die vielen Wolkenschlieren in mehreren Schichten werden immer intensiver von der Sonne indirekt in vielen Rottönen beleuchtet. Großartig, was sich uns hier wieder bietet, eine Bestätigung für unseren Wunsch, wieder hier vorbeizufahren. Und auch baulich haben sich viele Parkplatz-Schlamm-Brachen um den Alten und Neuen Hafen geschlossen, hier tut sich richtig was. Echt gut, unser Reiseanfang!

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