22.-24. August: Österreich – Kufstein und Graz

Wir starten nach Österreich schon am Mittag, es ist eben weiter als in die Schweiz. Bei bestem Wetter passieren wir die Weinberge hinter Stuttgart, passieren die Geislinger Steige und essen Weißwurst am Münchner Hauptbahnhof. Kurz nach 17 Uhr erreichen wir Kufstein, den Grenzort, den wir uns als Eingangsstation ausgesucht haben, gleichzeitig Eingang in die Alpen und am Inn gelegen, der uns in unseren Reisen schon öfter begegnet ist: am Anfang der Bahn-Zeit-Reise in Mühldorf, später in Passau, und vor drei Tagen in St. Moritz. Die Kleinstadt wird beherrscht von der Festung, die von der kleinen Altstadt umschlossen wird und überall sichtbar ist. Vom Bahnhof geht’s direkt über die Innbrücke über unteren und oberen Stadtmarkt zum Hotel, gleich mitten durch die Altstadt, und danach mit dem Zettel aus der Touristinfo auf dem Altstadtrundgang. Eher zufällig erwischen wir die größte Sehenswürdigkeit: die Heldenorgel, eine nach dem 1.Weltkrieg gebaute Orgel im Turm der Festung, die größte Freiluftorgel der Welt, mit fast 5000 Pfeifen und einer Tragweite bis zu 10 km. Der Spieltisch steht unten, 400m entfernt. Wir hören das kurze 18-Uhr-Konzert unten in der Stadt mit Blick auf den Turm. Die Stadt ist gemütlich und irgendwie, wie wir uns Österreich vorstellen. Stilistisch ist hier vieles gemischt, Reste vom Inn-Salzach-Stil, Jugendstil, phantasievoll Alpenländisches, manchmal siehts aus, als hätte man Stilelemente der Festung aufgreifen wollen. Besonders putzig ist die Römerhofgasse mit den Lokalen Batzenhäusl und Auracher Löchl, wo das Kufsteiner Lied entstanden ist. Hier siehts aus wie in Rüdesheim in der Drosselgasse. Wir essen lieber im Restaurant „purplepaus“ am unteren Stadtplatz draußen mit schönem Blick und phantasievoller Tiroler Küche und Preisen wie in Deutschland, die uns nach dem Schweiz-Ausflug richtig billig vorkommen. So leisten wir uns noch ein Holler-Weißbier-Tiramisu, eine wirklich gelungene Dessert-Erfindung. Das Hotel ist ebenfalls ein lustiger Mischmasch: Das Zimmer ist groß, modern, fast Design, Flure und Foyer mit diagonal im Holzmuster gestrichenen Türen bestenfalls originell. Was es alles gibt!
Bei leicht aufgelockerter Bewölkung starten wir heute früher als üblich, um 10:10 fährt der Zug schon ab, zum Frühstück reichts trotzdem. Wir wollen über Kitzbühel und Klagenfurt nach Graz gelangen, das ist nicht der direkte Weg, dafür sehen wir unbekannte Strecken. Zunächst umrunden wir das alles überragende zackige Massiv des Wilden Kaiser, über Wörgl, Kitzbühel mit Blick auf den Hahnenkamm, und St. Johann. Dabei folgen wir immer Flüssen und Bächen, die höchste Stelle ist mit etwa 1000m der Grießenpass bei Hochfilzen, der Übergang von Tirol zum Bundesland Salzburg. Wir passieren die alpenländisch anmutenden kleinen Orte, die meisten Häuser haben die großen, weit überhängenden Holzdächer. Die Täler sind eingerahmt von schönen Wiesenhängen, unterbrochen von Wäldern, öfter überragt von Felsmassiven.
In Schwarzach-St.Veit steigen wir in einen IC aus Wien um, bis dahin waren es Tiroler S-Bahnen vom modernen Typ Talent, allerdings ohne 1. Klasse. Der Zug arbeitet sich hoch bis Bad Gastein, einem mondän, aber etwas verstaubt wirkenden Kurort am Tauernhang, und verschwindet dann 8,5km im Tauerntunnel, anders wäre dieses Massiv nicht zu überwinden, wir haben noch Schnee auf den Gletschern gesehen. Dahinter geht’s runter ins Möll- und Drautal nach Villach, hier wird’s sonniger und die Landschaft weiter. In Villach reicht die Umsteigezeit gerade für einen Gang über die Draubrücke auf den malerischen Hauptplatz, das Zentrum. Weiter geht’s mit der Top-Klasse der ÖBB, einem Railjet nach Wien, innen ähnlich wie ein ICE. Wir fahren am 15km langen Wörthersee entlang nach Klagenfurt. Dort könnten wir in einen ICBus umsteigen und über die Autobahn nach Graz fahren, dann wären wir 20 Minuten schneller, wir bleiben aber in der Bahn und nehmen die Umwege der Schiene in Kauf. Die Landschaft ist jetzt weiter, eher stark mittelgebirgig, mit Orten und Burgen auf Kuppen, auch stärker landwirtschaftlich genutzt. Zwischendurch gibt’s auch enge felsige Stellen. In Leoben steigen wir direkt um in einen IC, ziemlich voll am Freitag nachmittag, auch in der 1. Klasse, die sowieso nur aus ein paar Abteilen besteht. Jedenfalls kommen wir wie geplant in Graz um 18:23 an.
Damit wir noch was von der Stadt haben – morgen vormittag geht’s ja gleich wieder zurück – laden wir schnellstens im auffälligen IBIS direkt vor dem Bahnhof ab und starten zu Fuß Richtung Zentrum. Man merkt an etlichen Stellen, dass Graz 2003 Kulturhauptstadt Europas war: Die Bemalung der Bahnhofshalle, ein ovaler Dachring über Bahnhofsvorplatz und Busbahnhof, etliche spektakuläre Museumsbauten. Die Annenstraße vom Bahnhof ist eher ein Kiez, viele kleine Läden für die Lokalversorgung oder alte, oft schon liebenswert verstaubte Themen wie Hüte oder Gummiwaren, jedenfalls solche, die es anderswo kaum mehr gibt. Das geht auch in der ganzen Innenstadt weiter, und auch im Textilbereich sehen, neben den üblichen Ketten, viele Geschäfte inhabergeführt aus, oft mit kreativem Angebot. Die Wohnbebauung ist modern oder es sind stattliche Bauten aus der Gründerzeit. Je näher wir an die Mur kommen, um so belebter wird es. Im Altstadtbereich tobt der Bär: jede Menge Außenbestuhlung, Steirisches, Pizza, Kneipen, und alles voll, auch nach 22 Uhr, die Athmosphäre ist fast südländisch locker und recht laut, es ist nicht mehr weit bis Maribor in Slowenien. So scheinen neben steirischem Kürbiskernöl auch Cevapcici zum lokalen Standard zu gehören. Fördernd ist sicherlich das warme Wetter und Freitag abend. Jedenfalls sind wir begeistert, für unseren Kurztrip nach Österreich haben wir den richtigen Zielort ausgesucht, hier gäbe es noch viel zu stöbern. Bis zur Dunkelheit sehen wir den spektakulären blauen Acrylglasbau des Kunsthauses mitten zwischen der Wohnbebauung, mit der Form eines Schwammes auf einem Podest. Die Außenhaut kann von innen so beleuchtet werden, dass Texte erscheinen. So etwas passt hier und wird angenommen, und da haben etliche Mannheimer Probleme mit der Gestaltung der neuen Kunsthalle, obwohl die sich viel mehr der Umgebung anpasst. Die Geschäfte haben schon seit 18 Uhr zu, also beschränken wir uns auf Schaufenster. Mit der Gamlitzer Weinstube am Mehlplatz finden wir ein super Traditionslokal mit flotter Bedienung, Schweinezunge und gebratene Forelle sind leider schon aus, Faschiertes Laibchen ist Hackfleisch, also gibt’s gebackenen Karpfen, der Kartoffelsalat natürlich mit Kürbiskernöl – wir haben unterwegs ganze Kürbisfelder gesehen – und Cevapcici, beides typisch und sehr gut. Zum Nachtisch gibt es Spagatkrapfen mit Schlagobers, der Wein – Zwiebelschilcher Rosé – schmeckt wie die roten Johannisbeeren. Was uns auch hier wieder auffällt: die Preise sind in Läden und Lokalen erscheinen uns sogar günstiger als in Deutschland, der Kontrast zur Schweiz vor vier Tagen ist heftig. Wir gehen weiter durch die Stadt und kommen zum Schlossberglift, oben thront der beleuchtete Uhrturm, im Steilhang führt eine Zickzack-Treppe hinauf. Der Lift fährt tatsächlich bis 3 Uhr, also spontan hinauf. Oben ist ein modernes Lokal, selbst das ist gut gefüllt, und viele Spaziergänger sind um 22 Uhr noch unterwegs. Der Blick von oben ist auch im Dunkeln gut. Wir laufen die Treppe runter, 260 Stufen und einige Schrägen. In der Mur schwimmt seit dem Kulturhauptstadtjahr eine avantgardistische Insel aus Stahl und Acryl, mit Amphittheater und Café, von beiden Ufern über bewegliche Stege erreichbar. Die Insel war temporär gedacht, jetzt bleibt sie. Uns ist das blaue Licht allerdings zu steril, um uns zu setzen, zumal am anderen Ufer eine große Musikbühne steht, in dem Trubel trinken wir einen Caipi. Am Lendl finden wir das Platzl, ein uns empfohlenes Lokal, aber unsere Wahl war besser. Dort passen wir nicht genau auf und verlaufen uns etwas, was wir bald bemerken. Mit kleinem Umweg landen wir gegen 23 Uhr im Hotel. Zum Chillout gibt’s Pfarrer Braun im ZDF, das passt.
Wir schlafen gut, nachts gewittert es, und morgens regnet es ungeplant immer noch. Gut, dass wir unseren Spaziergang gestern etwas ausgedehnt haben, der ins Auge gefasste schnelle Rundgang heute morgen hätte keinen Spaß gemacht. So schläft Marlis aus, und ich gönne mir vor dem Frühstück im Regen eine Stadtrundfahrt mit Straßenbahn und Bus um den Schlossberg, sehr einfach mit dem Stundenticket für 2,10€. Um 11:37 steigen wir in den IC, der uns in 9 Stunden direkt nach Mannheim bringt, sicher unsere längste Strecke ohne Umsteigen. Auch Graz war ein Highlight, wir haben nur reingeschnuppert in diese lebendige Universitätsstadt, zu deren Kreativität die 40.000 Studenten sicher viel beitragen.
Auf der Rückfahrt wird’s immer sonniger. Ab Leoben ist die Strecke eine andere als auf der Hinfahrt, es geht über Schladming unter dem Dachstein durchs Ennstal und über Bischofshofen nach Salzburg. Es geht ähnlich wie auf der Hinfahrt durch Alpentäler mit Bergblick. Marlis erwischt endlich den Goldregen auf den Bahnböschungen. In Deutschland gehts dann vom Tempo her richtig zur Sache, anders wären die 800km auch nicht zu schaffen. Vor Augsburg gibt’s noch einen richtigen Gewitterguss. Wir schauen aus dem Fenster, lesen unsere mitgenommenen Stapel, schreiben Blog, bearbeiten Fotos, uns wird nicht langweilig, auch wenn so eine lange umsteigefreie Fahrt, die auch noch komplett pünktlich verläuft, wenig aufregend ist, dafür umso entspannender. Die Österreich-Reise war sicher nicht so spektakulär wie der Schweiz-Trip, dürfte aber trotz Alpen mit fast 1800 km für uns einen Rekord darstellen, der lange halten wird.

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