3.-4. August: Zwei Tage Dortmund auf Marlis’ Spuren

Marlis ist in Dortmund geboren, vor 65 Jahren. Für sie gibt es auch nach mehreren Besuchen in den letzten Jahrzehnten Orte in der Stadt, die sie nochmal sehen will. So starten wir heute nach dem Frühstück mit einer Stadtwanderung. Nach der Ruhrallee mit einigen der vielen Versicherungspaläste von Dortmund, dem Südbad und einigen versteckten Straßen stärken wir uns nochmal bei der GourmeDO auf dem Friedensplatz mit einem Sekt. Dann sichten wir das alteingesessene Café Strickmann, erstmal ohne Appetit, das Frühstück ist noch nicht lange her. Nebenan ist ein Schuster, der klebt widerwillig die Sohlen meiner durch Bahn-Zeit-Reise gut benutzten Schuhe, aber bessere gibt’s für mich nicht, die müssen halten, bis die Sohle platt ist. Die Wartezeit sorgt also doch für eine Holländerschnitte im Café. Gegenüber ist eine Apotheke. Marlis erkennt darin noch genau das Haus, in dem sie ihre Lehre zur Großhandelskauffrau gemacht hat, damals Autozubehörhandel Gelhard, der Name ist noch an der Klingel zu finden. Wir ziehen weiter durch die gut belebte Fußgängerzone Westenhellweg, kein Vergleich zu Ludwigshafen. Wir sind auf der Suche nach dem Hotel, in dem der Film „Die Libelle und das Nashorn“ mit Mario Adorf und Fritzi Haberlandt vom Festival des deutschen Films LU 2013 gespielt hat. Es soll ein Hilton mit Blick auf das Dortmunder U sein. Das kann nicht sein, finden wir nach kurzer Web-Recherche heraus. Am Ende des Westenhellwegs, rechts steht das U, blicken wir hinüber auf einen Eingang, in dem eine ähnlich pompöse Treppe leuchtet, Hotel Unique. Wir gehen rein, das muss es sein, die Rezeption bestätigt das. Alles roter Marmor (oder sowas ähnliches), Messing-Handläufe, tiefe Sessel. Wir denken, das sei alt, fragen aber nach. Der Bau ist aus den Dreißigern, war aber Verwaltung der Union-Brauerei. Nach längerem Leerstand hat ein türkischer Investor im letzten Jahrzehnt hier seinen „Traum-Eingang“ verwirklicht, der auch im Film sehr auffällig war. Seit 2006 ist das Gebäude Hotel, jetzt in Regie der Novus-Gruppe.
In der Tourist-Info am U klären wir einen Punkt, den Marlis sucht: Über „Jugendstil Dortmund“ kommen wir auf die Maschinenhalle der ehemaligen Zeche Zollern II, die erkennt Marlis wieder. Kommt nächstes Mal dran.
Über Straßen der Erinnerung von Marlis‘ jugendlichen Streifzügen, der Brinkhoff-, Schützen- und Mallinckrodtstraße, heute stark vom Nahen Osten geprägt, erreichen wir den Dortmunder Stadthafen. Imposant steht das alte sechseckige Gebäude der alten Hafenmeisterei da, direkt unterhalb die neue Strandbar Hafenglück, in deren Strandkörben und Liegestühlen wir uns erstmal bei heute angenehmen Sommertemperaturen ausruhen, meine Knie melden Unlust nach der recht langen Strecke.
Über Nebenstraßen, teils baumbestanden und mit einigen schönen Gründerzeithäusern treffen wir auf der Mallinckrodtstraße das „Haus Möller“, ein alteingeführtes, schon lange kroatisch geführtes Speiselokal, das wir bis 2002 öfter aufgesucht haben, als Marlis‘ Mutter noch lebte. Dann gehen wir ihren Schulwegen nach, mit dem Schulkomplex, in dem Sie Ende der 50er in die Grund- und danach in die Realschule gegangen ist. Beide Schulen gibt’s noch, nur die Geschlechter-Trennung ist weggefallen. Der Weg von unter einem Kilometer kam ihr früher viel länger vor. Die Geschäftswelt in der Umgebung hat sich stark verändert, besonders die vielen Bäcker und Kneipen sind restlos verschwunden, auch kleine Reifenhändler und Werkstätten. Die Kirchen stehen noch und werden genutzt, die erste Grundschule ist jetzt Sekundarstufe I einer Gesamtschule.
Wir essen im „Haus Möller“, dem wirklich einzigen brauchbaren Lokal, das wir in der Gegend gesehen haben, entsprechend gut besucht ist es. Noch ein Zwischenhalt auf der jetzt bei den angenehmeren Temperaturen auch in den Zelten gut besuchten GourmeDO und einem Treffen mit dem hier vertretenen Winzer Klumpp aus Bruchsal, den wir von Slowfood kennen, dann ist der Tag rum.
Am zweiten Dortmund-Tag nehmen wir uns ein Fahrrad für etwas weitere Ziele, es gibt im Ruhrgebiet mit MetropolRadRuhr ein Mietsystem mit vielen Stationen, und direkt vor dem Haus stehen Räder. Gestern haben wir in der Info am U spontan ein ganz neues Buch „Dortmund Stadtwanderführer“ gekauft, und darin Ideen gefunden, die gut per Fahrrad gehen. Mittags geht’s bei blauem Himmel los, 3 Fahrräder sind da, Standardtypen mit Dreigang, Rücktritt, fester Korb vorne. In wenigen Minuten haben wir uns mit Handy und Kreditkarte an der Säule angemeldet und die Schlösser geöffnet, es kann losgehen. Bergab geht’s zum Borsigplatz, dort ist alles BVB-geflaggt, wir finden auch das Gründungslokal „Zum Wildschütz“. Von dort geht’s durch den Hoesch-Park, 1938 von KdF für die Hoesch-Arbeiter eingerichtet, in der Nähe von Marlis‘ Wohnort, an den sie viele Erinnerungen hat. Wir durchkurven den Park und finden vieles wieder: Reste der Radrennbahn, darin heute ein Baseballstadion, das erste Mal sehe ich dieses Spiel live. Der Spielplatz ist noch da, aus der Rollschuhbahn sind Tennisplätze geworden. Der Park ist gut genutzt, besonders auch das Freibad am östlichen Ende. Entlang großer Straßen und aufgegebener oder umgewandelter Industrieanlagen – Hoesch zu Thyssen-Krupp zu letzten Resten – fahren wir nach DO-Kirchderne, alles eigentlich kleine Städtchen mit Grün drumrum. Neben der alten Kirche finden wir mit Komoot, das wir auf dem Ipad als GPS-Karte mitlaufen lassen, den historischen Friedhofteil mit einigen verstreuten Grabsteinen von 1850 und einem Grubenunglück von 1925. Durch einen kleinen Wald und große Kleingartenanlagen geht es weiter zu heute als Naherholungsanlage mit Springbrunnen ausgebauten Zechenteichen, die Marlis noch als Rohform – Wasserlöcher – kennt. Auch das Grün drumrum, jetzt ganze Wälder, gab es Anfang der 60er Jahre nicht. So sieht man, was in 50 Jahren wächst!
Wir erreichen das hintere Ende der Burgholzstraße, an deren Anfang Marlis wohnte. Hier liegt der Nordfriedhof, da liegen ihre Eltern, wir wissen allerdings nicht wo, darum kümmert sich ihre Schwester. Wir wechseln die Tour und kommen durch den großen Fredenbaum-Park mit dem größten Indianerzelt der Welt, heute Teil eines Abenteuer-Spielplatzes. Ansonsten ist der ganze Park heute ein großer Flohmarkt und entsprechend belebt. Wir kehren im Biergarten ein und haben leider einige Wespen als Gäste, eine müssen wir aus dem Brombeerwein fischen, das erleichtert den Aufbruch. Wir kommen an eine Brücke über den Dortmund-Ems-Kanal. In einem originellen Heftchen „Öffeln“ der Stadtwerke Dortmund wird das Schwimmen im Kanal als originelles Abenteuer dargestellt, dem geben sich hier einige hin, und die Ufer sind gut bevölkert, Picknick, Grillen, Chillen. Wir fahren erstmal weiter, sehen zwei große Gas-Eier und schwenken an der Emscher auf den Uferweg ein. Die Emscher ist der Fluss Dortmunds, hier ein gerader, schmaler Fluss, gut veralgt, modrig riechend und rundum fast wie ein Auenwald eingewachsen. Bald sehen wir auf der linken Seite einen Hügel mit Treppe darauf. Das ist der Deusenberg, er ragt 50m aus der Landschaft, eine rekultivierte Hausmülldeponie, die Lüftungshüte ragen überall raus. Von oben hat man einen kompletten Rundumblick, ein Erlebnis bei diesem Wetter, Dortmund Innenstadt komplett im Blick, mit Westfalenstadion (pardon: Signal-Iduna-Arena oder so ähnlich), Hafenkränen, Hochhäusern, und dem U. Mit diesem Blick hats der Umweg über die Emscher schon gebracht, auch wenn der Fluss wahrlich keine Schönheit ist. Nach DO-Mengede, dem ältesten Ort des Ruhrgebiets, mit schönem Kirchhof (wir erinnern uns an eine Radtour durchs Ruhrgebiet vor etlichen Jahren) fahren wir nicht hinein. Der Emscher-Weg ist ab hier gesperrt, die Emscher wird renaturiert. Das stört uns nicht, wir wollen hier sowieso wenden und am Dortmund-Ems-Kanal zurückfahren, den wir durch kleine Wälder und Felder erreichen. Der Kanal ist meist durch Spundwände, seltener mit einer Steinböschung eingefasst und ist mindestens 50m breit, auf beiden Seiten verläuft ein Weg, der intensiv von Radfahrern und Fußgängern genutzt wird. Hier treffen wir wieder einige Schwimmer, obwohl große Wasserpflanzen zu sehen sind. Wir überlegen, wie die wohl in den Kanal kommen, das dürfte per Sprung kein Problem sein, aber heraus? Wir entdecken gelb markierte Stellen entlang der Spundwand, und tatsächlich: dort ist immer eine Leiter eingelassen, und obendrauf sitzt oft ein Bügel, der Ausstieg ist also kein Problem. Kurz hinter einer Partymeile an einem alten Brückenkopf entscheide ich mich, baden zu gehen, das kann ich mir nicht entgehen lassen, einmal in einem Kanal! Ich habe zwar das Badezeug vergessen, aber bei diesen Temperaturen an dieser ruhigeren Stelle ist FKK kein Problem. Die Leiter ist rostig, das Wasser ist wirklich warm, an der gegenüberliegenden Böschung streifen mich etliche Wasserpflanzen, als Handtuch dient das nicht benötigte Unterhemd. Ich bin echt stolz, den Kanal einmal durchschwommen zu haben.
Vorbei am Ikea-Verteilzentrum geht’s über den Kanal nach DO-Eving und dort zur Siedlung „Alte Kolonie Eving“ von 1898 mit vielen Häusern mit unterschiedlichen, schönen Fassaden. Von hier geht’s auf Stadtstraßen ins Zentrum zurück. Am Hauptbahnhof Nord reicht uns die Fahrerei, wir schließen nach fast 9 Stunden und 40 km die Räder an und buchen sie aus dem System, pro Rad hat uns das jetzt 9€ gekostet, wirklich ok und unkompliziert.
Die Innenstadt durchqueren wir zu Fuss, wir landen wieder auf der GourmeDO, essen und trinken was und sind bald im Hotel, wo die Zeit gerade noch reicht für weitere Planungen und Buchungen und diesen Text. Die Tour heute war super, hat uns das Ruhrgebiet mit seinen grünen Seiten und seinem Freizeitwert gezeigt und war ein Erlebnis. Mir fehlen langsam wieder die Bahnfahrten, Vorbereiten und Schreiben ist so kaum unterzubringen, die Fotos hinken hinterher.

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