7. August: Weimar

Nach ausführlichem Aufstehen und Frühstück starten wir gegen Mittag zur Stadtwanderung. Vom Bahnhof geht’s knapp einen Kilometer über eine ruhige, breite, baumbestandene Straße mit Vorgärten in den Stadtkern. Schon hier stehen einige große klassizistische Verwaltungsgebäude, dazwischen ein neues Einkaufszentrum mit Park. Hier wie in der Innenstadt sehen wir eine Mischung aus gut erhaltener oder renovierter alter Bausubstanz, dazwischen immer wieder was Neues und vereinzelt Verfallendes, Baulücken und Plattenbauten, im Altstadtkern steht alles nur dichter,die Gassen sind schmaler und verwinkelter. Beherrschend sind die geschichtsträchtigen Bauten. Wir starten mit der Jakobskirche mit dem bis 1818 als Friedhof genutzten Kirchhof, auf dem einige Geistesgrößen mit verwitterten Grabsteinen liegen. Die Kirche ist klein mit schöner, hölzerner Barockausstattung. Wir steigen durch Glockenstuhl und ehemalige Türmerwohnung ins Aussichtsstockwerk. Hier kann man in die vier Richtungen Fensterchen öffnen und blickt flach über die Stadt, in der Ferne am Berghang das Buchenwald-Denkmal. Nette kleine Läden sind in der Stadt verteilt, zwar touristisch orientiert, aber doch mit einem gewissen Anspruch, viel Design und Literatur, eben für Bildungstourismus, dazu alles mit überaus moderaten Preisen.
Es geht über Marktplatz mit Rathaus und Cranach-Haus zum Weimar-Platz schlechthin, dem Theaterplatz mit dem Goethe-Schiller-Denkmal und Gründungsort der Weimarer Republik, wo in einem historischen Flachbau das übersichtliche Bauhaus-Museum untergebracht ist, bis es 2015 einen Neubau bekommt. Das schauen wir uns gründlich an. Es behandelt in exemplarischen Stücken die Gründungszeit mit Gropius, Itten, Feininger und dem pädagogischen Konzept der Vorklasse. Architektur spielt hier noch nicht die große Rolle, eher die ganzheitliche Beschäftigung mit den Bedürfnissen des Menschen. Vorbei am Schillerhaus kommen wir zur Herzogin-Amalia-Bibliothek, die inzwischen ein modernes Studienzentrum besitzt. Im alten Gebäude ist unten eine freie Ausstellung über die Cranach-Press, eine Kunstdruck-Manufaktur des Harry Graf Kessler, der Anfang des 20. Jahrhunderts viele Bücher im Jugendstil u.a. für Insel hergestellt hat. Der Rokokosaal, seit dem Brand berühmt, ist besucherbeschränkt und touristisch überlaufen; lange Buchung vorher im Internet oder morgens um 9 Anstehen für die letzten 70 Karten, dafür sind wir sowieso zu spät. Weiter geht’s durch den weitläufigen, bergigen Landschaftspark an der Ilm zu Goethes Gartenhaus, seinem zweiten Wohnsitz in Weimar, immerhin vier Zimmer, Küche und damals auch Terrasse, dazu der große Garten mit mehreren Ebenen, Nutz- und Obstgarten und einigen lauschigen Sitzecken mit Blick. Er hat das Haus bis zum Tod weiter unterhalten. Wir bewundern besonders seine Zeichnungen und die von ihm entworfene abstrakte Skulptur im Garten. Er war wirklich ein Genie mit Multitalent, sehr dynamisch, kontaktfreudig, impulsiv und schnell. Auch im Selbstmarketing und der Nutzung seiner juristischen Vollausbildung dürfte er ziemlich gut gewesen sein, so ist sein nachhaltiger internationaler Erfolg und damit der von Weimar zu erklären. Seine Einladung nach Weimar war natürlich sein absoluter Glückstreffer.
Wir ziehen weiter zum „Haus am Horn“, das einzige Musterhaus, das das Bauhaus überhaupt bauen konnte, anlässlich einer Ausstellung 1923, alle anderen großen Pläne fanden in der Anfangszeit der Weimarer Republik kein Geld. Durch den Ilmpark gehen wir zum Hauptgebäude der Bauhaus-Universität, das der belgische Architekten-Autodidakt Henry van de Velde um 1910 für die damalige Kunstgewerbeschule gebaut hat, aus der dann 1919 mit der Berufung von Walter Gropius auf seinen Vorschlag dieser das Bauhaus gegründet hat. Das Gebäude ist sehr interessant, wir können es komplett durchlaufen, nur Walter Gropius‘ Direktorenzimmer ist nur im Rahmen einer Führung zu besichtigen. Henry van de Velde wird in diesem Jahr überall in der Stadt aufgrund seines 150. Geburtsjahrs gewürdigt, seine Bedeutung wird uns erst hier klar. Vorbei an den weiteren Universitätsgebäuden über den zweiten in Umbau befindlichen Platz kommen wir zu Goethes zentral gelegenes, großes Wohnhaus am Frauenplan, heute Nationalmuseum. Wir essen einfach thüringisch draußen und gehen ins Hotel zurück, morgen fahren wir nach Bamberg, Chemnitz ist eine Schippe zuviel.

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