9.-12. August: Nördlingen und Kohlhaas-Film

(Jetzt vollständig mit der Kohlhaas-Tour vom Sonntag)
Wir erreichen problemlos Nördlingen und laufen durch das Deininger Tor in die Altstadt direkt zum Hotel. Davon sind wir angetan: für den bisher günstigsten Preis bekommen wir das größte und bestausgestattete Zimmer, NT passt die Preise am stärksten der Auslastung an und gibt bei Verzicht auf die Stornomöglichkeit weitere deutliche Nachlässe. Wir bekommen gute Empfehlungen zum Essengehen, in der Weinstube Brettl fühlen wir uns bestens aufgehoben. Auf dem Rückweg gehen wir durch das Zentrum, was in dieser von einer kreisrunden, vollständigen, begehbaren Stadtmauer umgebenen Stadt einfach ist: direkt in die Mitte, zum einzigen hohen Turm, dem Kirchturm von St. Georg. Dort gibt es gleich drei Bäckereien mit Sitzgelegenheiten und Sonntagsöffnung, da dürfte ein Frühstück außerhalb des Hotels kein Problem sein. Und: auf dem Weg sehen wir in einer Buchhandlung gleich mehrere Plakate zu „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“, der Filmkunstpreis-Film des Festivals des deutschen Films in Ludwigshafen vom Juni, der uns mit seinem phantasievollen Aufbau gefallen hat, und auf dessen Spuren wir Sonntag wandeln wollen, und der seit vorgestern tatsächlich in den Kinos anläuft. Die Drehorte sind im Fenster aufgelistet, prima für morgen! Wir kommen an einigen Kneipen vorbei, sehr gut besucht. Die Stadt beginnt, uns zu gefallen, hier herrscht fast südländisches Leben. Wir bereiten den Stadtrundgang vor und schlafen gründlich, schließlich haben wir keine Frühstückszeiten, wir gehen in die dritte Bäckerei und sind mit Essen, Service und Preisen zufrieden.
In der Buchhandlung bekommen wir gleich Kontakt zum Inhaber – es ist der Vater des Regisseurs, daher die viele Werbung, er kann uns die Spielorte in der Karte zeigen, die hätten wir so einfach nicht herausbekommen, das gibt eine ordentliche Runde durch den Landkreis. Auf dem Marktplatz ist ein richtig großer und belebter Wochenmarkt, auch die Cafés sind dicht bevölkert. Die Altstadtstraßen sind schmal und es gilt nur rechts vor links, der Verkehr ist entsprechend ruhig, man fühlt sich als Fußgänger wohl, die Stimmung in der Stadt ist entspannt, die Touristen mischen sich fast unauffällig unter die Einheimischen. Die Stadt hat das Attribut „CittaSlow“ (wie Deidesheim, Lüdinghausen und Hersbruck, die wir schon kennen) zu Recht.
Wir steigen, nicht allein, auf den „Daniel“, den 90m hohen Kirchturm, und genießen den totalen Überblick über den 15 Mio. Jahre alten, durch Meteoriten-Einschlag entstandenen Rieskrater. Bei dieser Übersicht wundern wir uns nicht, dass Nördlingen nie eingenommen werden konnte. Wir schließen uns der Stadtführung an, die einiges über die Kreuzung der West-Ost- und Nord-Süd-Handelswege erzählt, die städtischen Richtlinien zur Denkmalspflege in der Altstadt erläutert und uns launig durch die nördlichen Viertel führt, besonders die Gerberhäuser zeigt und die Konstruktion erklärt. Damit kennen wir die Altstadt schon gut, ein original mittelalterliches Straßennetz mit Häusern, die diesen Charakter erhalten haben, umschlossen von einer 2,7 km langen Stadtmauer mit vielen Türmen und 5 Stadttoren, auf der wir die Altstadt mit 900m Durchmesser umrunden und einen guten Einblick in die Gärten und über die einheitlich ziegelroten, unglasierten Dächer erhalten, in der Mitte immer der Kirchturm. Auf dem Marktplatz gibt’s jetzt ein entspannendes, unterhaltsames Konzert mit den „Wirtshausmusikanten“. Wir schauen einige Lokale an und essen schließlich eine hervorragende Pizza. Als wir gehen wollen, setzt sich ein Ehepaar, vielleicht etwas jünger als wir, zu uns an den Tisch, das heute schon 85km Fahrrad (ohne Motor!) gefahren ist und dann nur noch in einem etwas einfachen Gasthof untergekommen ist. Da tauschen wir doch glatt noch unsere unterschiedlichen Reiseansätze und -Erfahrungen aus. Warum auch immer etwas müde landen wir im Hotel.
Nach einem Sonntags-Sektfrühstück in einem Café übernehmen wir die zwei Flyer Serie C in der JUFA Nördlingen, wie bestellt. Los geht’s um 12:20. Wir fahren in einem gleichmäßigen, zügigen Tempo, ich nur an Bergen mit Strom, Marlis fast immer. Dadurch harmoniert unser Tempo gut, und wir kommen mit über 20 km/h vorwärts. Es gibt allerdings auch viel zu suchen, mit der Topografischen Karte 1:50000, die wir uns am Vortag gekauft haben, geht das gut, denn ausgewiesene Radwanderwege passen nicht zu unseren Zielen, wir kombinieren aus kleinen Straßen und Feldwegen. Das Wetter spielt bestens mit: viel Sonne, keine Schwitztemperaturen. Das Ries ist wirklich eine eigentümliche Landschaft: oft norddeutsch flach, man kann weit schauen, jedoch mit einzelnen deutlichen Erhebungen, wie Felsen oder Burghügel, am Rand des Kraters ausgeprägter und zusammenhängender, dann auch stark bewaldet. Die Fläche ist fruchtbar, viel Ackerbau, wenig Wiesen, Kühe sehen wir nicht. Der Verkehr ist ruhig, es fällt auf, dass es in der Fläche keine großen Orte gibt, die eher kleine Stadt Nördlingen ist das unbestrittene Zentrum. Nur Radfahrer sind am Sonntag bei dem Wetter in Massen unterwegs.
Ich habe die Drehorte gefunden, sortiert und in der Karte markiert, wir machen uns auf: zuerst nach Schloss Wallerstein, eine große, noch fürstlich verwaltete Anlage rund um einen Felsen, den wir erklimmen. Dieses Ziel hat nichts mit dem Film zu tun, der Felsen ist ein Beispiel aus der Krater-Entstehung. So geht’s malerisch mit gutem Überblick weiter, jetzt reihen wir die Film-Ziele aneinander: Maihingen Klostermühle, Holzkirchen Feuerwehrhaus, Speckbrodi, Herbermühle an der Schwalb, nahe den Gosheimer Baggerseen, Schlossruine Alerheim, Kloster Mönchsdeggingen, Burgruine Niederhaus, Gasthof in Schmähingen. Wir schaffen tatsächlich alles, sogar stressfrei, aber knapp: nach 80 km Radfahrt, etlichen Orientierungshalten und Forschungspausen laufen wir um 21 Uhr in Nördlingen ein, mit dem Versuch, das Licht einzuschalten, sind beide Akkus gleichzeitig leer, wir hatten sie unterwegs untereinander getauscht. Die letzten zwei Kilometer fahren wir stromlos, das geht mit den Rädern erstaunlich gut. Fast im Dunkeln erreichen wir die JUFA, die Ausleihstation, praktisch, dass wir da so spät zurückgeben können, gut gegessen wird im Griechen direkt davor.
Einiges haben wir wiedererkannt: Die Klostermühle, ein wirklich noch historisch verstaubter Ort, die Burgruine Niederhaus, klein, malerisches Gemäuer, steil auf dem Kraterrand gelegen, und ganz deutlich den Gasthof in Schmähingen, in dem die Schauspieler wohnen sollten, aber nicht wollten, wir wissen jetzt wieso. Gefunden haben wir ihn eher zufällig schnell, ein „verdächtiges“ Gebäude ragte heraus, das war es tatsächlich, gut gerochen. Und an der Ecke unten finden wir sogar das Bretter-Bushäuschen, wo die protestierenden Schauspieler abreisen wollten. In Holzkirchen mussten wir erst herumfragen, bis klar wurde: es war vor dem kleinen Feuerwehrhaus, es sah uns erst zu modern aus, aber dann haben wir durchs Fenster das kleine Feuerwehrauto erkannt. Speckbrodi war nur der Namensgeber, mehrere große Bauernhöfe. In der Herbermühle haben wir gefragt, dort wurde übernachtet „wie Schauspieler so sind“, den Drehort am Bach hat der Besitzer nicht mitbekommen. An den dortigen Sand-Baggerweihern legen wir eine Rast ein, und ich umschwimme einen kleinen See, angenehmes, lauwarmes Wasser. Das Kloster Mönchsdeggingen und Schloss Alerheim werden wir erst wiedererkennen, wenn wir den Film nochmal sehen. Am Ende der Tour fällt uns ein, das hätten wir am Samstag abend vor der Tour machen können, da lief er ja in Nördlingen, und wir hatten Zeit, aber nicht die Idee. Sonst hätten wir die Stimmung beim „Heimspiel“ persönlich mitbekommen. So fragen wir den Buchhändler Lehmann kurz vor unserer Abfahrt am Montag: Das Kino war seit langem wieder ausverkauft, und am Ende gabs Applaus, also ein Erfolg, vielleicht läuft er länger. Auch Tipps für weitere Lokale nehmen wir mit, und er bestätigt unseren Eindruck der belebten Stadt, einer echten CittaSlow, der vierten von elf deutschen, die wir kennengelernt haben. Nördlingen ist die Entdeckung und das Highlight der Reise! Ebenso stimmt der Buchhändler zu, dass die Gastronomie in den kleinen Ries-Orten im wesentlichen tot ist, oft durch dieKonkurrenz der vielen Vereinsheime, eine Vermutung, die uns an anderen Orten und sogar in Ludwigshafen auch schon gekommen ist.

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2 Antworten auf 9.-12. August: Nördlingen und Kohlhaas-Film

  1. Joachim (Text) & Marlis (Fotos) sagt:

    Wir hatten angekündigt, den Kohlhaas-Film nach den Eindrücken von den Drehorten nochmal sehen zu wollen. Das haben wir gestern wahr gemacht: Nach einem guten Essen in der Abendsonne auf der Terrasse der „Forelle“ am Eiswoog, im Pfälzer Wald hinter unserem früheren Wohnort Grünstadt, sind wir ins Provinzkino, ein Programmkino in Enkenbach-Alsenborn gefahren, dem frühesten Spielort in unserer Nähe, und haben den Film diesmal zusammen mit 4 (nicht wie beim Filmfestival 1000) weiteren Zuschauern von optimaler Sitzposition aus gesehen.
    Wir hatten uns gut vorbereitet: Auf inhaltsangabe.de haben wir die Handlung zur Kenntnis genommen, was sich als äußerst wichtig erwies, und wir haben uns mit Landkarte und Blog-Artikel ausgestattet. Das wäre nicht nötig gewesen, es zeigte sich, dass die Erinnerungen noch frisch genug waren.
    Von Anfang an erkannten wir außer freiem Feld und Straßen so gut wie alle Orte wieder, und konnten damit die besondere Leistung einschätzen, was aus diesen Orten im Film gemacht wurde.
    Die Klostermühle in Maihingen ist im Film das Wohnhaus von Kohlhaas und seiner Frau, auf dem Platz vor dem Holzkirchener Feuerwehrhäuschen finden alle Übungen mit den Laienschauspielern aus der Region statt, das Stroh in der Herbermühle und ihr Besitzer, den wir kurz gesprochen haben, konnten wir als zweiten Übernachtungsort erkennen.
    Das Tor vor dem Schloss Alerheim ist der zentrale Kontaktpunkt mit dem Bürgermeister von Speckbrodi, dieser Ort ist hier nur prägnanter Namensgeber. Ins Schloss sind wir nicht gekommen, dort wurde auch nicht gespielt, die Begegnungen mit dem Bürgermeister sind im Stadtratssaal Nördlingen gedreht, den wir leider nicht besucht haben.
    Kloster Mönchsdeggingen ist der Sitz des Königs, eindrucksvollster Ort ist jedoch die Burgruine Niederhaus, dort finden alle Begegnungen mit dem Junker Tronka und der Kampf am Filmende statt.
    Der alte Gasthof in Schmähingen kommt oft als Schlafstätte und bei den Festen und Auseinandersetzungen in der Schauspieltruppe vor, und im zweiten Anschauen des Films fällt uns auf, dass die Bushaltestelle mehrfach bei Gesprächen unter vier Augen eine Rolle spielt, und es daher kein Zufall war, dass wir sie vor der Gaststätte gefunden haben.
    Es hat sich gelohnt, dass wir alle Orte aufgesucht haben, auch wenns dabei dunkel wurde: gerade die letzten vier Orte hatten eine große Bedeutung, da wäre es schade gewesen, wenn welche davon gefehlt hätten.
    In dieser zweiten Runde war der Film für uns ein besonderes Erlebnis: Mit Kenntnis des Kohlhaas-Inhalts fanden wir die Szenen ausgesprochen überzeugend dargestellt, sowohl schauspielerisch als auch in der Nutzung der Orte mit minimalen Mitteln. Selbst die Darstellung von Pferden durch Kühe und sogar durch nichts, und auch von Feinden durch Bäume hat funktioniert. Die Vielschichtigkeit zwischen historischer Handlung, Schauspieler-Auseinandersetzungen und Minimierung des Aufwandes war ein einmaliges filmisches Erlebnis, das sich uns jetzt erst so richtig erschlossen hat, und ohne die Idee der Drehorte-Radtour wäre das nicht möglich gewesen.

  2. Barbara Estner sagt:

    Liebe Frau Jonas, lieber Herr Krueger,

    vielen Dank für diesen wunderschönen Bericht über meine Heimat, die mir jetzt wieder einmal mehr fehlen wird, wenn ich in die Pfalz zurückkehre.

    Ich wünsche Ihnen noch eine erlebnisreiche Zeit für den Rest Ihrer Reise und freue mich darauf, weitere Blog-Einträge (kommende und vorhandene) zu lesen.

    Gute Fahrt mit der guten alten Bahn (die gar nicht so übel ist, wie viele denken)!

    Liebe Grüße aus dem Krater,
    Barbara Estner