2. Februar: Marlishausen und Arnstadt

Marlis’ Geburtstag: Fahrt nach Marlishausen (Ziel: Marlis), Besuch Europa-Grundschule und Hort mit Presse, Rückfahrt Stopp in Arnstadt am Rand vom Jonastal

Zum Frühstück werden wir überrascht: dort liegt ein Glückwunsch zum Geburtstag von Marlis’ Freundin Linn, und das Hotel gratuliert auch und serviert Sekt. Welch ein Start zum 63. Geburtstag! Zügig gehts zum Zug, über eine feine frische Schneedecke, wie Marlis sie sich gewünscht hat.
Und auf der Fahrt wühlt sich die Sonne durch den Hochnebel: nicht ein wenig, sondern strahlend blau. Ein Problem gibt es noch zu lösen: Wir fahren heute, passend zum Geburtstag, als eigenes Ziel nach Marlishausen. Ich habe aber die Bahntakte verwechselt: nur alle zwei Stunden geht es zügig dorthin, und ich habe Marlis die Daten genau um eine Stunde verschoben gegeben, und so hat sie die Termine gemacht. Jetzt kommen wir passend nur bis fünf Kilometer davor, nach Arnstadt. In Marlishausen wollen wir um 12:30 Uhr die Redakteurin Antje Köhler von der Thüringer Allgemeinen aus Arnstadt treffen, sie fährt sowieso und kann uns mitnehmen. So lernen wir am Treffpunkt noch die Himmelfahrtskirche kennen, eine achteckige Kirche im evangelischen Barock, die in den achtziger Jahren an die katholische Kirche verkauft wurde. Hinter der Kirche war der Friedhof mit vielen Gräbern der Familie Bach. Heute erinnert nur noch eine Stele daran.
In Marlishausen besuchen wir die Europaschule, eine Grundschule mit Kinderhort, die stark mit anderen europäischen Schulen zusammenarbeitet und mit Englisch in der ersten und Französisch in der dritten Klasse beginnt. Jetzt sind Winterferien, nur der Ganztages-Hort ist offen, und wir werden mit großem Bahnhof empfangen: Die Kinder haben ein Lied eingeübt, und danach essen wir mit ihnen und der Redakteurin im Hort zu Mittag. Der Zeitungsfotograf kommt noch dazu. Es geht weiter: auf dem Rundgang kommen wir in ein Zimmer, wo die Kinder eine Dominolandschaft aufgebaut haben und durch Kippen eines Steins alle Steine, auch durch einen Tunnel, in Kettenreaktion umfallen. Die Lehrerinnen und Kindergärtnerinnen hier sind äußerst engagiert und binden auch die Eltern ein. Mit geringen Mitteln wird so von allen zusammen in Eigenarbeit die Schuleinrichtung ständig verbessert. Jedenfalls können sie sich vor externen Anfragen von Schulanfängern kaum retten. Die ganze Schule strahlt eine kreative, hoch motivierte Atmosphäre aus, die Kinder sind voll bei der Sache.
Die Redakteurin nimmt uns mit zum Pfarrer, der uns die kleine, schon baufällig gewesene, aber jetzt neu renovierte Kirche mit zwei Emporen zeigt. Interessant ist die durchgehende Holzrückwand mit eingebauten Altarbildern hinter dem freistehenden Altar. Das treffen wir später in größer noch in der Bach-Kirche in Arnstadt an.
Wir laufen noch durch mehrere Straßen des sehr ländlich geprägten Dorfes. Wir sehen soviel Taubenzucht wie noch nirgends. Und beim Gang durch die Nebenstraßen bellen Hunde aus allen Häusern. Auf dem Weg zum Bahnhof holen wir die Blume ab, die Marlis zum Geburtstag geschenkt bekommen hat. Am Bahnhof besuchen wir das einzige, etwas verschlafene, aber doch überraschend nette Gasthaus des Ortes, in dem wir einige Stammgäste antreffen, bevor wir am Haltepunkt Marlishausen vor dem alten Bahnhofsgebäude in den Zug steigen. Alles ist voll alter und neuer Schilder mit der Aufschrift “Marlishausen”, und alle richtig geschrieben, ein Fest für Marlis!
Am Nachmittag erreichen wir Arnstadt, die nahegelegene Kreisstadt des Ilm-Kreises mit 25.000 Einwohnern. Und so berühren wir auch noch ihren zweiten Namensteil, das Jonastal, die kaum besiedelte Landschaft zwischen Arnstadt, Ohrdruf und Crawinkel, von der wir gestern im Bergwerk erfahren haben. Hier hat Hitler im letzten Kriegsjahr von Zwangsarbeitern unterirdische Anlagen unbemerkt von der örtlichen Bevölkerung bauen lassen, deren Funktion – sicher Kriegsproduktion – bisher eher sagenumwoben ist, da die amerikanischen Archive noch nicht zugänglich sind. Das könnte ein Sommerziel mit dem Fahrrad werden.
Der Weg ins Zentrum von Arnstadt führt erst an einigen schönen Villen vorbei, dann jedoch durch mehr oder weniger schön renovierte Plattenbauten über Stadtbrachen mit Parkplätzen, wie wir sie aus einigen ostdeutschen Städten kennen, und die entweder vom Krieg übriggeblieben, oder in der späten DDR durch Abriss verfallener Altbausubstanz entstanden sind. Die Altstadt selbst birgt sehr schöne Straßenzüge mit vielen historischen Bauten, Fachwerkhäusern und Kirchen. Wir können nur die Johann-Sebastian-Bach-Kirche besichtigen, innen komplett Holz, auch das Tonnengewölbe, mit zwei seit 2002 wiederhergestellten Orgeln, der originalen Bach-Orgel von 1703 und der späteren romantischen Orgel. Am Infotisch bekommen wir kompetente Infos zu Kirchen und Ort. Die wohl noch imposantere Liebfrauenkirche kann leider im Winter nicht besichtigt werden.
Wir trinken Kaffee am Ried, einem Platz mit alten Handelshäusern. Insgesamt hat der Ort zwar sehr schöne Ecken, wirkt aber doch, besonders vom Marketing und der Geschäftswelt her eher verschlafen. Wir gehen am Schlossturm, der als einziges vom im 18. Jahrhundert eingestürzten Schloss Neideck übrig geblieben ist, vorbei zum Bahnhof und begeben uns auf die Rückfahrt. Dabei hat Marlis heftig mit elektronischen Geburtstagsgrüßen zu schaffen. Auch beim Abendmenü werden wir mit Geburtstagssekt begrüßt. So geht ein rundum gelungener Tag für Marlis zu Ende.

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1. Februar: Bad Salzungen und Merkers

Bad Salzungen: Burgsee, Salzsieder, Gradierwerk und Keltenbad
Merkers: Kali-Besuchsbergwerk

Wir können bis zum letzten Frühstückstermin ausschlafen. Das macht Sinn, denn als wir danach rausgehen, kommt gerade die Sonne raus. Es sind nur noch -7°. Im Hellen sieht der Burgsee klein aus, wir umrunden ihn. Der See ist zugefroren und gibt einen tollen Vordergrund für die Kurhäuser ab: weiß bedeckt mit vielen eisigen Streifen. Schnell sind wir rundrum, es bleibt noch Zeit bis zum Termin. Wir unterbrechen in der Stadtbibliothek auf der anderen Seeseite und schauen nach Wanderkarten und Ortsführern. Wir finden welche, die sogar in die DDR-Zeit zurückreichen. Der Bibliothekar entschuldigt sich fast, dass die lokale Wanderkarte alt ist. Die Ausleihe kostet nichts, wir können sogar außerhalb der Öffnungszeiten einwerfen. So sieht also die Verallgemeinerung des Prinzips “Stadtbibliothek Ludwigshafen” aus (siehe Förderer). Und: die Sichtung aller Wanderkarten in der Buchhandlung zeigt: die Wanderkarte der Bibliothek ist genauso neu wie die käufliche! Jetzt wars der Buchhändlerin eher peinlich. Wir gehen weiter durch den Ort in den Stadtteil Silge/Halber Mond. In dieser kleinen Gasse sind noch alte kleine, leider meist verfallende Salzsiederhäuschen vorhanden aus der Zeit, als das Salz noch durch Erhitzen der Sole konzentriert wurde. Irgendwann waren aber die Holzvorkommen der Umgegend erschöpft.
Selbst eine Vorbesichtigung des Keltenbades, zu dem wir eine Eintrittskarte haben, ist zeitlich noch drin. Die Tourist-Info ist gleichzeitig die Anmeldung für Kuranwendungen. Hier gibt es zwei Gradierwerke, man wandelt in Leinenumhängen an den salzigen Reisigwänden entlang. Außer einer Sauna gibt es das Salzbecken, 27%ige Sole wie im Toten Meer, Schwimmen ohne Bewegung, wir werden es testen. Kein Wunder, dass hier der Untertage-Bergbau von Salz begann, wo die Salzbrühe schon so aus dem Boden kam.
Mit unserer Hotel-Buchung hier ist uns eine Eintrittskarte zum Erlebnisbergwerk Merkers zugeflogen, fünf Kilometer von hier, zur Führung um 13:30 Uhr fahren wir jetzt mit dem Bus.
Die Anlage und der Publikumsbereich gehören heute zur Kali + Salz AG, das Clubhaus mit Bürgermeisterei an der Straße ist DDR-Original, und direkt hinter dem Gebäude steht ein Denkmal zur Erinnerung an eine Ansprache, die der Welt erster Kosmonaut, der “Kommunist Juri Gagarin” 1963 vor 15.000 Werktätigen hielt.
Als Eintritt zur Führung erhalten wir eine Fahrmarke für den Förderkorb. Zunächst gibts einen Einführungsfilm. Wir erfahren viel Neues über die Abbaumethoden von Salz unter Tage, die Hauptverwendung der Kalisalze als Düngemittel, und was man bei entsprechend aufwendigerer Aufbereitung noch daraus gewinnen kann. 40% des geförderten Materials sind nur Salz, der Rest ist Abraum, der bei der Separierung über Tage entsteht und so für den Kaliberg z.B. bei Obersuhl sorgt. Die Salzflöze sind bei Austrocknung aus dem Zechsteinmeer vor vielen Jahrmillionen entstanden, sind durch geologische Veränderungen meist vulkanischer Art gefaltet worden und liegen in 400 bis 800 Meter Tiefe. Und: alle Schächte sind unten verbunden, seit der Wende sogar zwischen Thüringen, Hessen und Niedersachsen. Man kann zwischen den verschiedenen Höhen und Gegenden unter Tage hin- und herfahren, es gibt viele tausend Kilometer Fahrwege und viele Förderanlagen, über die aus dem ganzen System ein- und ausgefahren und belüftet werden kann. Davon haben wir ja bisher nichts geahnt! Die Fahrten unter Tage sind gigantisch, mal ist es eng, so dass der offene Lkw bei 35 km/h heftig Wind erzeugt, mal weit, überall gehen ausgebeutete Stollen ab. Und es gibt heftige S-Kurven und Berg- und Talfahrten, eine echte Achterbahn. Unser Führer Gunder Krieg erklärt das alles sehr engagiert, lustig und mit lauter Stimme, und so fährt er auch: Erlebnis-Bergwerk eben! Zwischendurch sind auch mal die staubgrauen Salzschichten gestrahlt, so dass das rosarote Kalisalz oder das grau-klare Steinsalz kristallin glitzert. Es gibt mehrere Highlights: den tiefsten Jazzkeller der Welt, eine riesige Bunkerhalle, die zeitweise Zwischenlager für abgebautes Salz war und jetzt für Musik-Veranstaltungen und Kletter-Events Verwendung findet. Wir bekommen die gigantische Akustik mit einer fantastischen Lightshow vorgeführt. Überall stehen historische Abbau-Maschinen, die mit der Zeit immer größer werden, heute sind das alles Ein-Mann-Arbeitsplätze mit riesigen Maschinen. Die Nazis hatten hier ihr Goldlager mit Währungsreserven sowie alle ausgelagerten Berliner Kunstschätze untergebracht. Die Amerikaner haben das entdeckt und im April 1945 abtransportiert, es sollen 650 Mio. Reichsmark in Gold und 3 Mrd. Reichsmark in Scheinen gewesen sein. Genaues wird man erst bei Freigabe des amerikanischen Archivmaterials 2015 erfahren. Alles präsentiert sich in anschaulichen Untertage-Ausstellungen. Zuletzt sehen wir noch eine 1980 zufällig entdeckte große Kristallgrotte mit Salzkristallen bis zu einem Meter Kantenlänge. Hier unten sind es übrigens angenehme 20° bis ganz unten 28° bei 20% Luftfeuchte. Nach über drei Stunden wird die Führung mit der 500 Meter-Auffahrt im dreistöckigen Fahrkorb beendet. Es ist mittlerweile dunkel, und wir beenden den Tag nach diesem phänomenalen Erlebnis, von dessen Existenz wir bis vor kurzem nichts wussten. Dies war übrigens kein Ziel unserer Ideengeber, Bad Salzungen ist auf unserem eigenen Mist gewachsen, und der Rest hat sich daraus ergeben.

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31. Januar: von Obersuhl nach Bad Salzungen

Führung an der DDR-Grenze Obersuhl mit Grenzmuseum, Rundgang Eisenach, Ankunft Bad Salzungen

Um 10 Uhr sind wir zu einer Privatführung zum Thema DDR-Grenze verabredet. Karl Schöppner, alter Obersuhler, pensioniert, 10 Jahre im Kali-Bergbau, 32 Jahre Vorsitzender des Geflügelzucht-Vereins, sehr aktiv im Geschichtsverein und Mitglied in noch acht (von 42!) Obersuhler Vereinen, ist wohl der kompetenteste Führer, den man sich denken kann. Er erwartet uns schon am Beginn des Grenzweges, der mit seiner Initiative und Zuschüssen vom Verein angelegt wurde. Er führt über sieben große Schaukästen mit Fotos und Beschreibungen zu den wichtigsten Ecken der DDR-Grenze um die damals unterbrochene Straße Obersuhl-Gerstungen. Heute gibt es sie wieder, sie führt damit direkt in das schon in Thüringen gelegene Gewerbegebiet von Untersuhl, wohin sich viele westlich der Grenze gelegene Unternehmen nach der Wende unter Nutzung der hohen Zuschüsse modernisiert ausgelagert und die Steuereinnahmen mitgenommen haben. Wir sehen die Grenzmarkierungen mit Pfosten und die historischen Grenzsteine zwischen KP (Königreich Preußen) und GSW (Großherzogtum Sachsen-Weimar). Dahinter lässt sich der ehemalige Grenzstreifen mit Niemandsland, Minengürtel, 3 Meter Metallgitterzaun, Panzergraben, sandiger, geharkter Freifläche, Kolonnenweg und Sicherheitszaun (bestimmt habe ich noch was vergessen!) am Bewuchs erkennen. Oft haben sich Birken ausgesät, die jetzt gleichmäßig und dicht fünf bis zehn Meter hoch sind. Ein originaler Wachturm konnte vor dem Abriss gerettet werden. Es gibt nur noch weniger als zehn erhaltene im gesamten Grenzverlauf. Sonst ist nicht mehr viel zu erkennen, nur mit Erläuterungen kann man die längst entfernten und an manchen Stellen gestapelten Beton-Lochplatten des Kolonnenweges, auf dem vor der Wende die Grenze durchgehend befahrbar war, als solche identifizieren. In einem früheren Flüchtlingswohnheim hat der Geschichtsverein ein kleines Grenzmuseum eingerichtet, in dem tief beeindruckende Relikte zu Grenze, Grenzsicherung, Bewachung und Fluchtversuchen ausgestellt und erläutert sind. Dazu kommen makabre Kuriosa wie die bis in den Bahnhof Gerstungen eingezäunte Bahnstrecke, damit dort die Regionalzüge des Westens unter NVA-Bewachung wenden konnten, oder die Durchschwimmbarrieren in den Bächen. Wir stellen noch fest, dass die besonders entwickelte Infrastruktur auf die hohen Förderungen vor der Wende und die vielen Vereine auf die extreme Randlage in einem Grenzwinkel zurückzuführen sein dürften. Karl Schöppner hat 40 Jahre seines Lebens von seinem Wohnhaus oder vom Vereinsheim des Geflügelzucht-Vereins aus die Grenze beobachten können und viele Entwicklungen und Vorfälle gesehen. Auf die Frage, wie er das verkraften konnte, antwortete er: “der Mensch ist ein Gewohnheitstier und gewöhnt sich an fast alles, das er sowieso nicht ändern kann”. Da ist wohl was dran! Jedenfalls ist diese Grenzführung für uns eine wichtige Abrundung der Entdeckung von Obersuhl.

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Ich habe aus alten Pässen sogar noch DDR-Transitstempel für Bahn und Auto ausgegraben.
Heute ist es mit Minus fünf Grad noch kälter als gestern, nur die Sonne hat das etwas aufgewogen.
Mittags fahren wir weiter und beschließen spontan, den fälligen Kurzaufenthalt in Eisenach um zwei Stunden zu verlängern; der Zug fährt stündlich und Bad Salzungen erreichen wir dann immer noch früh genug. So sehen wir doch einiges vom großenteils sehr gut wiederhergestellten Stadtkern von Eisenach, beginnend mit dem Bahnhof, dem Nikolaitor, dem Marktplatz, Luther- und Bach-Haus, das ganze umzingelt von Hügeln, auf einem davon die Wartburg. Für Museumsbesuche reicht es nicht, der Eindruck der Stadt ist uns wichtiger.

Noch im Hellen erreichen wir Bad Salzungen, wo wir für vier Nächte in einem Haus mit Blick auf den Burgsee wohnen; ein zentraler Ausgangspunkt. Als Kurort ist die Struktur hier ganz anders: andere Geschäfte, das große Gradierwerk, der runde See mit den Kuranlagen drumrum, sehr malerisch. Wir essen gut und doch preiswert im Kurhaus-Restaurant.

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30. Januar: Obersuhl

Obersuhl Ortsrundgang, Naturschutzgebiet Rhäden, Grenzweg, Wanderung zum Schlosspark Wildeck mit Obelisk und Inselsteich, Raßdorf

Das Frühstück findet im großen, gut ausgestatteten, ungeheiztem Saal statt. In dessen Mitte fühlen wir uns etwas verloren, bearbeiten hier aber noch wegen der guten WLAN-Verbindung alle Fotos von gestern.
Kurz vor zwölf starten wir zu unserem Ortsrundgang, da ist es noch etwas neblig. Zuerst besuchen wir das wirklich kleine Alte Gymnasium, eine ehemalige Privatschule, die heute ein Spielzeuggeschäft und einen Installateur beherbergt. Gegenüber ist die erste von drei evangelischen Kirchengemeinden, die Methodisten. Wir gehen weiter zur Kirche der Lutheraner, die gerade nach dem Gottesdienst zugeschlossen wird. Diese beiden Kirchen sind richtig klein, eher Kapellen. Wir kommen zur größten und zentral gelegenen, der reformierten Kirche. In der Nähe steht das Stammhaus des Mohr’schen Hofs, wo Hermann früher dem Kartoffeldämpfen beigewohnt hat. Es ist ein komplett modernisiertes Fachwerkhaus mit einer Zahnarztpraxis. Der Rest des Hofes ist dem neuen Bürgerhaus gewichen. Gegenüber in der Ortsmitte liegt der Gasthof “Zum Adler” mit Metzgerei. Die Öffnungszeiten passen; den werden wir heute abend heimsuchen. Entlang dem Suhlbach geht es weiter durch den Ort. So langsam merken wir, dass es doch gewisse stilistische Gemeinsamkeiten im Ort gibt. Ausgehend von den locker stehenden Häusern wie sie ursprünglich gebaut wurden, wurde weiter renoviert, und man bezog sich dabei gerne auf die Ideen der Nachbarn. Am westlichen Ortsrand treffen wir auf das Gebiet mit der ganzen Infrastruktur: die alte, mittlerweile deutlich modernisierte Grundschule, dahinter die neuere Gesamtschule, ein großes Stadion, ein Freibad von 1960, das in diesem Jahrhundert modernisiert wurde, eine Sporthalle, eine Kleinschwimmhalle und eine Tennisanlage. Eine ganze Menge für einen Ort mit 3000 Einwohnern! Direkt dahinter liegt das große Naturschutzgebiet Rhäden mit vielen Teichen und einer sumpfigen Umgebung, direkt an der früheren Grenze gelegen. Hier zwischen dem vielen Schilf gibt es sehr viele Vögel; Schwäne fliegen und es gibt mehrere Beobachtungsposten und Bildtafeln von Naturschutz und Vogelschutz. Mit der Wanderkarte schaffen wir es, uns auf Wegen und Pfaden zwischen den Teichen durchzuschlagen. Die Umgebung von Obersuhl ist landschaftlich wirklich ein außergewöhnliches Erlebnis. Und diese Wege sind überhaupt nur zu begehen, weil heute der Boden gefroren ist und dadurch hart. Den Spuren ist anzusehen, wie matschig es hier eigentlich ist. Die Seen sind oberflächlich leicht angefroren und glitzern, wenn die Sonne versucht, durch den Nebel durchzublinzeln. Dazu kommen noch die leichten, völlig unberührten Schneereste, die überall in den Unebenheiten liegen. Auf dem Weg stoßen wir immer wieder an Stellen, wo die DDR-Grenze verlief. Am Weg stehen zwei bestimmt 30 Jahre alte Windräder. Hinter einem Schafstall treffen wir eine Herde von Schafen, die mit kompletter Wolle fast zugedeckt sind. Im Hintergrund erscheint langsam der 500 m hohe Kaliberg, der damit 250 m aus der Landschaft ragt und gegenüber der Landkarte schon um einiges gewachsen ist. Das Spiel von Nebel und Sonne ist wirklich spannend. Wir wünschen uns langsam die Sonne; es ist mit bestimmt -3° und etwas Wind schon ziemlich kalt. Wir müssen immer wieder die Finger bewegen, damit die Hände nicht zu kalt werden. Am Ende des Naturschutzgebiets kommen wir wieder an die alte Grenze. Wir können dort jetzt den wahrscheinlich früher auf DDR-Seite zur Beobachtung dienenden Weg benutzen, der früher bestimmt auf keiner Seite öffentlich nutzbar war.Wir sehen, welchen Überblick die Grenzsoldaten über das Gelände hatten; die Bäume und Sträucher sehen hier so aus, als wären sie erst nach der Wende in dieser Höhe gewachsen. Dieser Teil der Wanderung hat uns gezeigt, wie der Ort durch die Grenze förmlich eingekesselt war. Bis jetzt haben wir richtig Zeit gebraucht und es gibt jede Menge Fotomotive für Marlis. Es ist schon nach halb drei, und es wird langsam Zeit, in Richtung Schloss vorwärts zu kommen. Auf der Straße durch Raßdorf und asphaltiertem Weg erreichen wir relativ flott den Schlosspark der alten, bis 1540 bewohnten Burg Wildeck und des nachfolgenden Jagdschlosses Blumenstein, von dem es nur noch einzelne Ruinen gibt. Wir erreichen den “Frau-Holle-Weg” Richtung Inselsteich, einem unserer Ziele. Der Weg ist gesäumt von hohen, jetzt laubfreien Bäumen, die voll mit Misteln sind. Auf der Wiese steht der gesuchte, 22 m hohe Sandsteinobelisk, auch noch aus Zeiten der Landgrafen. Vor diesen Obelisk machen wir das Foto mit uns drauf, mit dem wir ein erreichtes Ziel dokumentieren. Es dauert also etwas, bis wir den Teich erreichen, in dem Hermann schwimmen gelernt hat. Auf der Insel in der Mitte steht tatsächlich ein leerer Sockel für ein Denkmal oder eine Statue. Hinüber führt mittlerweile ein Holzsteg, den es vielleicht früher nicht gegeben hat, wahrscheinlich auch nicht die Schilder “Angeln verboten”, “Baden verboten” und am Baum auf der Mitte der Insel “FKK”. Auch die große Schutzhütte, die im Sommer wohl für gastronomische Bewirtung verwendet wird, mit Fahrradständer und einer “Bild”-Werbung, dürfte neueren Datums sein. Jetzt beginnt die Sonne schon langsam unterzugehen. Auf der Karte sehen wir einen Eintrag “historischer Friedhof” in der Nähe direkt hinter einem großen Reiterhof. Wir können aber außer ein paar netten Gebäuden und einer großen Obstwiese nichts mehr entdecken. Auch von der Ruine Blumenstein sehen wir nur den Berg, auf dem sie liegt. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit ist eine Rückwanderung nach Obersuhl nicht mehr möglich. Bei Betrachtung der Karte fällt uns auf, dass die Bahn im nächsten Ort einen Haltepunkt hat. Ich befrage mein Handy zum Fahrplan. Der Zwei-Stunden-Takt passt gut in unseren, so zielen wir auf den Haltepunkt Bosserode um 17:18 Uhr. Flotten Schritts geht es wieder durch Raßdorf. Es gibt noch sehr schöne Blicke auf Fachwerkhäuser, den Kaliberg und gepflügte Felder im Abendlicht. Der Zug ist wirklich pünktlich und bringt in zwei Minuten die 3 km nach Obersuhl. Wir haben es immerhin über fünf Stunden am Stück bei diesen Minusgraden draußen ausgehalten. Deswegen ist jetzt sofortiges Aufwärmen nötig, und wir steuern sofort die Gastwirtschaft “Zum Adler” an. Hier ist gut Betrieb, der Nebenraum ist mit einer Versammlung besetzt und nach uns füllt sich auch die Gaststube komplett. Hier gibt es Fleisch aus eigener Schlachtung, so dass ein Steakteller und ein Grillteller fällig werden. Speziell die Bratwurst ist ganz vorzüglich. Danach begeben wir uns ins Hotelzimmer, um die fälligen Berichte zu schreiben.

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29. Januar: nach Obersuhl

Bahnfahren: Wege nach Wildeck-Obersuhl (Ziel: Hermann Deist). Ortsrundfahrt

Just in time für die Zugabfahrt bin ich mit dem Packen fertig, Marlis wartet in LU-Mitte auf dem Bahnsteig schon auf mich. In Mannheim lässt sich der ICE ein paar Minuten Zeit, die sich dann bei der Ausfahrt aus Frankfurt wegen Störungen im Bahnhofsvorfeld auf 17 Minuten und vor Fulda wegen Bauarbeiten auf 21 Minuten ausweiten. In dem Wagen, in dem wir sitzen, funktioniert überdies das Lautsprechersystem nicht. So bringt die Bahn meine mühsam erarbeitete Runde für diese Woche gleich am Anfang durcheinander!
Wir starten zu einem “Ort der Erinnerung – Eine Zeitreise ins Obersuhl der 50er Jahre” von Hermann Deist. Er ist in Wildeck-Obersuhl aufgewachsen und zur Schule gegangen, er erinnert sich an “Kardüffel-Dämpfkolonnen”, den Schlossteich und natürlich an die DDR-Grenze direkt am Ortsrand vor der Haustür.
Als Anschlüsse in Fulda und Eisenach waren nur fünf Minuten vorgesehen. Den IC in Fulda bekämen wir noch, der fährt nämlich hinterher, aber der Regionalverkehr in Eisenach wartet bestimmt nicht. Das würde zwei Stunden Verzögerung bedeuten. Also disponieren wir um: über Fulda und Bebra kommen nur 45 Minuten zusammen. Und um nicht lange auf Bahnhöfen rumzustehen, fahren wir bis Kassel-Wilhelmshöhe weiter und von dort nach Bebra. Wozu haben wir denn die Bahncard 100?! Und so kommen wir bei schönstem Sonnenschein und viel Rauhreif mit der Bahn durch das saftige Fuldatal, das wir sonst immer nur von oben von den Brücken der Schnellfahrstrecke sehen, zuletzt war das Tal überschwemmt. Der Ort ist unauffällig, und es ist am Samstag Nachmittag kaum was los außer einigen Autos entlang der Hauptstraße. Wir laufen bis zum Hotel Krone durch das Ortszentrum. Die Häuser sind in der Art eines Straßendorfes entlang des Suhlbaches locker aufgereiht, gemischt sehen wir einzelne Fachwerkhäuser und einfachere Wohnhäuser. Nur wenige Häuser fallen durch eine aufwendigere Bauweise auf. Dazu gehören das neuere Rathaus und das Bürgerhaus, die aber etwas übertrieben wirken. Zwischendrin sind wenige Geschäfte, die so aussehen, alles hätten sie schon bessere Zeiten gesehen. Parallel laufen die Bahnstrecke und wenige Nebenstraßen. Auffällig sind die vielen landwirtschaftlichen Relikte: Toreinfahrten, Schuppen und vor allem Scheunen mit großen Toren in der zweiten Reihe hinter den Häusern. Der Wirt, Gerhard Bick, ist in unserem und in Hermann Deists Alter und im Obersuhl aufgewachsen; er kannte ihn. Er macht mit uns erstmal eine Ortsrundfahrt, und schon wissen wir einiges: das Haus, in dem Deist’s gewohnt haben, gegenüber den Wildecker Stuben, die mittlerweile geschlossen sind, sein Gymnasium in der Kirchstraße war privat (es kostete DM 40 pro Monat) und ist heute Sitz mehrerer Kleinunternehmen. Zur ehemaligen DDR-Grenze sind es nur wenige hundert Meter. Ein Turm steht noch, allerdings ein eckiges Nachfolgemodell des runden Turms, den Hermann auf einer Postkarte von 1969 hatte. Auf einem neuen Grenzpfad wird auf acht Tafeln einiges an Geschichte zur Grenze beschrieben. Das kleine Grenzmuseum werden wir im Rahmen einer Führung, die der Wirt für uns am Montag organisiert hat, sehen. Ein Marktplatz fällt uns nicht auf, nur drei evangelische Gemeinden unterschiedlichster Ausrichtung. Auch sonst fällt die Infrastruktur auf: Freibad, Sportplatz, Gesamtschule, Kleinschwimmhalle, Bürgerhaus, Großsporthalle – alles da, dazu noch ein Natur- und Vogelschutzgebiet mit großem See, hinter allem ragt ein großer Kaliberg aus der Landschaft.
Dazu gibts noch etliche Hintergrundinformationen: Gerhard Bick ist im Gemeinderat. Wir sehen uns davon noch einiges zu Fuß an, bevor es dunkel wird. Dann reichts auch, es fühlt sich ziemlich kalt an. Wir essen im Hotel. Es gibt einen neueren Anbau im Restaurant, wir wählen aber die Gaststube im alten Teil, dunkel mit Holz und Bartresen ausgestattet und mit Fanschals verschiedener Fußballclubs und alten Fotos dekoriert. Nach deftigem Essen organisieren wir noch Wanderkarten und lokalisieren andere Fotos, die Hermann uns mitgegeben hat: der Obelisk, der Inselteich und die Burgruine Blumenschein gehören alle zum Gelände der vor 500 Jahren existierenden Burg Wildeck, die der Großgemeinde den Namen gegeben hat, sechs Kilometer von Obersuhl entfernt beim Ortsteil Raßdorf. Hermann muss ein Fahrrad gehabt haben, zu Fuß erscheint uns das für regelmäßige Besuche etwas weit, auch wenn wir das als geeignetes Wanderziel für morgen nehmen.

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Bericht im Wochenblatt Ludwigshafen

Das Wochenblatt Ludwigshafen berichtet heute unter Stadtleben erneut über unser Projekt: (zum Lesen Artikel anklicken)
Die Überschrift stammt leider vom vorigen Artikel.
Die Bundeshauptstadt liegt immer noch nicht auf Rügen.

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18. Januar: Bonn und zurück

Bonn: Universität, Botanischer Garten. Gespräche mit Zugbegleitern auf der Rückfahrt.

Das Hotelfrühstück endet schon um 9:30 Uhr, dadurch sind wir zwar etwas müder, aber früher unterwegs. Wir greifen nochmals die Anregungen von Renate auf. Sie hat ihr Universitätsinstitut zwar nicht explizit aufgeführt, aber wir wollen die Universitätsinstitute, die mit Botanik zu tun haben, wenigstens aufsuchen und auch die Botanischen Gärten ansehen. Beides ist in der Nähe des Poppelsdorfer Schlosses, ganz in der Nähe des Hotels. Im Schloss selbst sind einige Institute, besonders Mineralogie, untergebracht. Da sehen manche Schaukästen so aus, als könnten sie schon vor 40 Jahren so gewesen sein. Das Schloss selbst ist eine interessante Anlage, außen quadratisch mit Eckbauten, innen rund. Drumrum eine große Parkanlage, von der zwei Drittel als Botanischer Garten genutzt werden. Das ganze Ensemble ist von einem Wassergraben umgeben, und die breite Poppelsdorfer Allee bildet eine Blickachse zur Kurfürstlichen Residenz in der Innenstadt, das als Universitäts-Hauptgebäude fungiert. Entlang der Allee befinden sich viele herrschaftliche Häuser und Universitätsgebäude. Wir gehen durch den großen Botanischen Garten und finden zwischen den nahegelegenen Institutsgebäuden noch einen weiteren für Nutzpflanzen. Beide sind faszinierend in ihrem rein funktionalen Aufbau. Es gibt viele große rechteckige Beete, die thematisch geordnet sind, und auf denen unterschiedliche Pflanzen dicht an dicht stehen, jede mit einem genauen Schild mit botanischen und deutschen Bezeichnungen, Herkunft usw. Jetzt sieht zwar fast alles braungrün-verwelkt aus, wir können uns aber lebhaft vorstellen, wie man über das Jahr hier die Wachstumsstadien der unterschiedlichsten Pflanzen verfolgen kann. Da müssen wir unbedingt mal im Frühjahr oder Sommer hin. Wir finden einige Institute, die teilweise aussehen, als seien sie seit vielen Jahrzehnten unverändert, und zwischendurch neue, hochmoderne Bauten, die sich auch sehr neuen Themen widmen. Wir gehen die Allee zur Residenz entlang und beobachten das Treiben der Studenten. Im Münster beeindruckt uns der alte romanische Kreuzgang. Am Nachmittag machen wir uns auf nach Neuwied, wo wir unsere Heimfahrt mit einem Besuch einer Bekannten von Marlis unterbrechen. Da das rechtsrheinisch ist, geht es erstmal nach Bonn-Beuel mit einer Straßenbahn voll mit Schülern, die dadurch erheblich Verspätung einsammelt, so dass wir unseren Zug eher knapp bekommen. Marlis teilt mit Marianne die Leidenschaft Fotografie, und ihr Mann unterstützt sie dabei in technischen und Computerthemen, ebenso wie bei uns. So vergehen die drei Stunden wie im Flug. Der IC, den wir in Koblenz nehmen, kommt mit 25 Minuten Verspätung von Rügen. Das stört uns nicht, wir essen an einem Stand im Bahnhof das letzte Brötchen des Angebots “Jedes Brötchen nur 1 €” – welch eine Auswahl -, trinken einen Glühwein und machen lustige Fotos von uns. In guter Stimmung besteigen wir den Zug und finden ein schönes Abteil für uns allein. Der Schaffner – pardon Zugbegleiter – kommt und begrüßt uns so witzig, dass wir ihn mit unserem Projekt konfrontieren. Er bekommt unsere Erinnerungskarte, und, damit er nicht versehentlich unsere Bahncard 100 locht, darf er uns je eine Erinnerungskarte lochen. Wir amüsieren uns eine ganze Zeit über Bahnfahren, die Bahn und Fahrgäste an sich und erfahren viel über die Diensteinteilung von Zugbegleitern im Fernverkehr. Dann kommt sein Chef vorbei und so wird das Gespräch übergeben. Er ist Teamleiter in der Zugbegleitung seit 30 Jahren, und es geht lustig und munter weiter, bis er vor Mainz gehen muss, um seine Ansagen zu machen. Ein echtes Erlebnis, das auch in Fotos dokumentiert wird. In Mannheim erwischen wir noch eine Straßenbahn, so dass unsere Gesamtverspätung sich wieder auf eine Viertelstunde reduziert. So endet eine kurze, aber erlebnis- und eindrucksreiche Reise.

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17. Januar: von Arnsberg nach Bonn

Fahrt von Arnsberg nach Bonn (Ziel: Renate Klöppel), Gang auf ihren Spuren in ihr Viertel

Highlight in dem Hotel in Arnsberg ist das Rührei: gut und heiß. Die Sonne begrüßt uns wieder. Auf der Wanderung zum Bahnhof zwitschern die Vögel, wir bekommen Frühlingsgefühle, auch wenn wir im Schatten noch Rauhreif entdecken. Die Stadt bietet heute morgen nichts besonderes: jeder hat gebaut, wie er wollte und konnte, besonders reich war der Ort wohl nie. Es hat etwas von einem Sammelsurium. Die Ruhr mit ihren Schleifen ist sehr präsent und sieht heute nicht mehr ganz so voll aus: Teile der Böschung sind wieder zu sehen. Über Hagen und Köln kommen wir wie vorgesehen nach Bonn und in unser Hotel, eine weiße Villa in den ruhigen Wohnvierteln hinter dem Bahnhof. Heute wollen wir den Erinnerungen von Dr. Renate Klöppel folgen: In den 70er Jahren hat sie in Bonn promoviert und am Ende der Römerstraße im Nordviertel gewohnt. Sie hat uns mehrere für sie wichtige Punkte genannt; wir ziehen los durch die Innenstadt, wo wir auch auf Beethovens Geburtshaus treffen, zur Beethovenhalle. Dort hat sie, so oft wie es der damalige Geldbeutel erlaubte, Konzerte besucht. Jetzt, am Nachmittag, ist die Halle nicht offen, wir laufen einmal komplett drumherum und betrachten die etwas in die Jahre gekommene Architektur der 50er Jahre. Zwei Kinder fahren Rennen und Kunststückchen mit dem Roller, wie ich früher in Essen, die landen natürlich mit auf der Fotosammlung. Am Restaurant DaCapo blättern die kleinen blauen Mosaikfliesen der Fassade, ein typisches Bild der 50er Jahre. Die Terrasse bietet von erhöhter Position einen freien, großzügigen Blick über den Rhein. Bei der Runde durchqueren wir den Hof der Technik-Andienung; die Treppe nach oben, eine wohl später angebrachte Notausgang-Treppe, wie wir sie auch von vergleichbar alten Ludwigshafener Bauten kennen, weckt unsere Neugier. Beim Erklimmen werden wir natürlich sofort gefragt, ob man uns helfen kann; vielleicht haben wir da die Gelegenheit verpasst, in die Halle zu kommen? Wir wollen aber weiter, bald wirds dunkel. Die Römerstraße ist recht belebt, es ist die Bundesstraße 9 und 54, und wie wir später rausbekommen, führt sie zum früheren Finanz- und Innenministerium. Kein Wunder, dass jetzt Wohn- und Geschäftssituation etwas in die Jahre gekommen aussieht; die Gegend dürfte an Bedeutung verloren haben. Was geblieben ist, ist die Nähe zum Rhein. Auch Stadtbusse fahren in häufiger Frequenz entlang. Wir erreichen das Haus, ein etwas zurückversetztes, dreistöckiges schmuckloses Wohnhaus aus den 60er Jahren kurz vor einer Tankstelle. Vor dem Haus als einzige Dekoration aufgereiht die Müllcontainer. Viele Namen auf wenigen Klingeln, wir versuchen es auf einer nicht überklebten im ersten Stock, wo Renate wohnte, es klappt! Eine jüngere Frau öffnet uns, sie lebt hier seit 10 Jahren als Paar mit Kindern und ist die längste Mieterin. Sie ist nicht so zufrieden, da nicht mehr ins Haus investiert wird, und die meisten Wohnungen zimmerweise an Studenten vermietet werden, wodurch eine hohe Fluktuation entsteht. Sie gibt uns gern ein Interview, ebenso wie die Bewohnerin darüber, zu der wir von einer Besucherin geführt werden, die wir noch treffen, als wir das Haus verlassen wollen. Sie wohnt schon seit dem Studium hier, und ihr gefällt es besser, die Nähe zum Rhein mit den Möglichkeiten zum Joggen ist ihr wichtig, was bei den vielen Laufurkunden im Flur kein Wunder ist. Wir machen Fotos im Hausflur; jetzt haben wir wirklich einen Eindruck des Hauses. Wir umrunden die Örtlichkeit, um zu schauen, ob das Foto mit Renates “Käfer” aus einer der Nebenstraßen stammen könnte, da werden wir nicht fündig. Ein anderer Erfolg deutet sich aber an: es gibt einen Italiener schräg gegenüber, der auf seinem Auto mit “über 35 Jahre” wirbt, und Renate berichtet in ihrer Ideenbeschreibung von einem, der ihre kulinarischen Grundlagen gelegt haben könnte. Das passt: 1975 – da war sie noch da. Er macht erst um 18 Uhr auf. Vielleicht kehren wir nochmal zurück. Nach dieser ergiebigen Spurensuche erforschen wir im Dunkeln die nahe Rheinpromenade, die für Renate bestimmt auch eine Bedeutung hatte: es gelingt, auch in der Dunkelheit eindrucksvolle Fotos zu machen, die den aktuellen Hochwasserstand demonstieren: das Wasser steht bis an den Uferweg und war bestimmt vor kurzem noch drüber. Mit dem Bus fahren wir in die Innenstadt. Bis 19 Uhr schauen wir in einzelne Geschäfte, danach begeben wir uns ins Sudhaus, eine alte Gaststätte am Friedrichsplatz, die – siehe Blogeinträge November/Dezember – Günkohl anbietet. Wir telefonieren mit dem Italiener in der Römerstraße; der Kellner möchte nicht auf einen Nachtisch für uns reservieren, er braucht den Platz vielleicht noch für potentielle Gäste, aber er verrät uns, dass sein Chef da ist. Also lassen wir uns nicht abschrecken und fahren nach dem Essen einfach nochmal hin. Natürlich ist das “Caminetto” am Montag abend nicht überlaufen, wir können zwischen allen Tischen bis auf einen auswählen. Der Kellner empfängt uns nett, aber wiederholt sein Bedauern, dass es auf ein Getränk oder einen Nachtisch nicht gehen würde. Dann stellt er uns seinen Chef vor, und als der unser Projekt verstanden hat, geht natürlich alles, und zum Espresso sind wir eingeladen. Die vorzügliche Zabaione mit Prosecco (wir hören den Schneebesen klappern) haben wir schon am Nachmittag ausgeguckt. Mittlerweile gehört sein kleines Lokal zu den Empfohlenen der Region. Der Chef, Guiseppe Robichon aus dem Norden des Piemont, gibt uns ausführlichst Auskunft über Bonn, die Veränderungen der Zeit, die vielen Politiker, die schon hier waren, und die Veränderungen nach dem Regierungsumzug. Ihm machts nach 35 Jahren immer noch Spaß, und das sieht man ihm an. Entsprechend kommt er kaum rum, er ist schließlich sechs Tage die Woche im Restaurant, und zwei Wochen im Jahr in seinem Dorf im Piemont. Da hat er natürlich noch nichts von Slowfood gehört, obwohl er bestimmt gut dazu passen würde. Wir sind begeistert. Der Bus bringt uns zurück, und ich tippe bis nach Mitternacht.

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16. Januar: Von Fritzlar nach Arnsberg

Messe im Fritzlarer Dom (Ziel: Christine), mit Bus über Bad Wildungen und Edersee durchs Sauerland nach Arnsberg mit Altstadt auf dem Berg

Wegen der Messe im Dom stehen wir früher auf. Um 9:15 fangen die Glocken an zu läuten, und wir sind schon fast da. Wir sehen also die Kirchenbesucher kommen. Meiner Erinnerung nach ist das die erste katholische Messe, die ich besuche. Was man im Reisejahr nicht alles macht! Vieles erscheint mir nicht so unterschiedlich zu den evangelischen Gottesdiensten meiner Jugend in den 60er Jahren: Ähnliche Lieder, auch hier Paul Gerhardt als Texter dabei, ich kann alle mitsingen. Glaubensbekenntnis und Vater-Unser unterscheiden sich nur in einzelnen Passagen. Es wird aber mehr gebetet und es gibt mehr gesungene Liturgie. Beim Abendmahl wird der Wein nicht mehr an die einzelnen Abendmahlteilnehmer, alle aus einem Kelch trinkend, der wieder und wieder beim Trinken leicht gedreht wird, verteilt. Der Pfarrer und die Messdiener trinken ihn stellvertretend für alle. Und die Predigt fällt kaum auf, es sind vielleicht fünf Minuten. Ich kann mich noch an 25 Minuten erinnern. Der größte Unterschied für mich sind die Gewänder, die vielen Ministranden und der Weihrauch. Es ist recht besinnlich, das Mitsingen macht Spaß. Die Kirche nehme ich genauer wahr: erst jetzt bemerke ich, dass das linke Seitenschiff einachsig romanisch mit kleinen bunten Fenstern ist, das rechte zweiachsig gotisch mit großen Fenstern. Den verhüllten Altar müssen wir uns leider vorstellen, aber wir dürfen froh sein, dass der Dom überhaupt offen ist. Er ist es jetzt über Weihnachten, dann wird weiter saniert bis Weihnachten 2012, dann soll alles strahlen, erzählt uns der Pfarrer, den Marlis hinterher noch für ein Interview gewinnen kann. Er berichtet auch, dass er hier vorübergehend allein für drei Gemeinden zuständig ist, weil die früheren Prediger wegen unerfreulicher Ereignisse nicht mehr da sind. Das müssen wir noch genauer recherchieren. Es waren immerhin fast 200 Menschen in der Kirche. Für die Messen in der Woche reicht aber die Krypta.
Der Abstieg zum von der Eder abgezweigenden Mühlgraben und Wiederaufstieg zum Markt ist sehr malerisch mit schönen Blicken und viel Stadtmauer und -türmen. Die Sonne begleitet uns unerwarteterweise bei allem, so dass wir heute schöne Bilder von den schiefen Fachwerkhäusern, die am Markt mittendrin stehen, machen können. Wir haben genug gesehen, und entscheiden uns, schon um zwölf mit dem Bus nach Bad Wildungen und weiter nach Korbach zu fahren. In Bad Wildungen reicht es beim Umsteigen nur für einen kurzen Blick in die Altstadt, auch mit Fachwerk, aber nicht so schön wie Fritzlar. Der Bus nach Korbach fährt zwar einige Umwege über kleine Orte, den Edersee spart er aus, den gibts nur im Sommerfahrplan für die Touristen. Beim Umrunden von Waldeck gibt es doch noch einen schönen Blick tief runter ins Tal mit See. Die Talsperre ist nicht auszumachen. In Korbach und Willingen klappt der knappe Umstieg wunderbar. Wir durchqueren das ganze Sauerland; in diesen Höhen fahren die Bahnen langsam. In Willingen auf ca. 600m Höhe liegen noch etliche Schneeflecken. Ein größerer Abfahrtshang ist zu sehen, der ist komplett weiß und wird befahren. Der wird wahrscheinlich künstlich beschneit. Am Nachmittag, im Hellen, erreichen wir Arnsberg. Der Ort liegt in einer Doppelschleife der Ruhr. In einer Schleife liegt ein ausgeprägter Hügel mit der Altstadt und der Schloßruine. Der Durchgangsverkehr geht durch Tunnel untendrunter durch. Die Altstadt besteht hauptsächlich aus einer Straße und ein paar Nebengässchen; von unten führen Treppenwege hoch. Alles ist so verbaut, dass fast kein Blick runter auf die Ruhr möglich ist.
Mit dem Hotel geht es diesmal schief. Erst spät abends haben wir eins ausgesucht, dessen Restaurant sehr gut klingt. Wir erreichen es heute am Tag telefonisch nicht. Als wir dann vorbeigehen, sehen wir zwar die Öffnungszeit ab 17 Uhr, übersehen aber, dass Sonntag Ruhetag ist, und das haben wir auch im Internet übersehen. Erst nach 17 Uhr erreichen wir das Hotel und müssen dann ein anderes suchen. Bonn buchen wir gleich, da ist es aber recht teuer.

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15. Januar: nach Fritzlar

Fahrt mit Zwischenhalt in Wabern nach Fritzlar, Gang durch die Altstadt und den Dom

Heute sind die Umsteigezeiten reichlich, aber alle Züge pünktlich. Da wir an Endbahnhöfen einsteigen, brauchen wir nicht zu warten und können es uns gleich bequem machen.
Die Sonne schaut nur manchmal raus, Wiesen und Felder sind sehr nass und Flüsse voll oder übergelaufen. In Mannheim hatte der Rhein einen Pegelstand von 6,66 m, üblich sind etwa 2,50 m. Am Donnerstag stand in Zeitungen, dass am Sonntag die Edertalsperre, in deren Nähe wir sind, überlaufen soll. Bei Recherche im Internet sagt das Wasser-Schifffahrtsamt aber, dass sie es wohl ohne Überlaufen geregelt bekommen, da es aktuell nicht regnet. Wir müssen also nicht zur Staumauer rennen.
Die Fahrt durch Mittelhessen ist grün und hügelig, aber nicht besonders spannend. In Wabern haben wir 22 Minuten Aufenthalt. Wabern ist fast nostalgisch: Als es noch nicht die Bahn-Schnellstrecke mit Kassel-Wilhelmshöhe gab, und wir bei Gießen wohnten, sind wir die Strecke oft gefahren, da erinnert man sich noch an den Halt in Wabern. Jetzt wandern wir ein paar hundert Meter die Bahnhofstraße Richtung Zentrum: locker bebaut, alles gemischt, einiges ist leerstehend, einiges verfällt. Und alle Arten von Hässlichkeiten: Eine gelb gestrichene Kneipe als Flachbau klebt an einem Fachwerkhaus, Zäune aller Art. Und alles ziemlich ausgestorben. Es gibt immerhin ein Reisezentrum mit etwa 6 Stunden Öffnung am Tag in einem Container. Und hinter dem Bahnhof ragt mächtig die Zuckerfabrik empor. Wabern war mal ein Bahn-Knotenpunkt: von der Main-Weser-Bahn zweigte hier die Bahn nach Brilon-Wald und weiter nach Dortmund ab. Heute fährt diese Bahn als Ederseebahn nur noch alle zwei Stunden bis Bad Wildungen, bis Korbach fährt dann ein Bus. Auf diese Art wollen wir uns morgen durchs Sauerland schlagen Richtung Bonn. Wahrscheinlich stoppen wir in Arnsberg.
Jetzt fahren wir noch die 10 Minuten auf der Ederseebahn nach Fritzlar. Die Bahnhofssituation ist ähnlich öde wie in Wabern, aber es gibt noch einen Schalter der Kurhessenbahn im Gebäude.
Originell die Anzeigetexte an den Linienbussen: “Fzg. rückt ein”. Makabrer die dürftig überpinselte, noch entzifferbare Parole am Bahnhofsgebäude “Die Räder müssen rollen für den Sieg”. Dafür thront auf der anderen Seite der Eder auf der Anhöhe die Altstadt mit dem mächtigen Dom St. Petri. Und das ist unser Ziel: Ideengeberin Christine Theuer-Neumaier hat uns von langen Messen im Dom bei den Besuchen ihrer Familie und der Verwandten bei der Großmutter in ihren Kindheitstagen berichtet. “Immer wenn ich an den Luxus von Ruhe und Zeit denke, von dem ich im Moment einfach zu wenig habe, denke ich an diese Augenblicke im Dom”. Aber erstmal gehts über die Eder: sie ist momentan ein voller, reißender Fluss. Die Brückenköpfe der alten Ederbrücke aus dem 13. Jahrhundert sind beidseitig zu sehen, eine alte Skulptur von Johann von Nepomuk bewacht das südliche Ende. Über die neue Straßenbrücke gehen wir in unser Hotel am Rande der Altstadt. Das ist was spezielles: unter dem Namen fungiert der komplett modernisierte Altbau über dem Restaurant als Hotel, der ganze Anbau ist ein Wohnstift, dessen Café fürs Frühstück mitgenutzt wird, und die Rezeption ist auch im Wohnstift, wenn das Restaurant geschlossen ist. Wir machen uns sofort auf in die Altstadt, bevor es dunkel wird. Über den sehr schönen, von Fachwerkhäusern gesäumten Marktplatz gehen wir weiter am Rathaus vorbei zum Dom. Die Rathaustreppe erinnert mich an meine erste Hochzeit 1991. Die war in Kassel oder hier, die Feier auf jeden Fall im Schloss Garvensburg im Ortsteil Züschen, den Ort werden wir aber nicht besuchen. Ich erkenne also einiges wieder, im Verlaufe des Rundgangs merke ich aber, dass wir uns damals nicht so gründlich umgesehen haben.
Der Dom wird zwar teilweise saniert, es gibt aber trotzdem viel zu sehen in dem 800 Jahre alten spätromanischen Bau. Im Eingangsbereich steht noch die große Krippe, deren Landschaft sehr schön mit Naturmaterialien aufgebaut ist. Innen ist es spärlich beleuchtet, und Kanzel und Altar sind spanplattenverkleidet. Sehr eindrucksvoll sind aber die vielen Steintafeln in den Wänden und in der noch älteren Krypta. Besonders auffallend ist das große Kruzifix in der Kuppel über dem Altar, das links und rechts einen großen Schatten von zwei Strahlern in der dunklen Kirche hinterlässt. Danach laufen wir durch die Altstadt und sehen große Fachwerkhäuser, die fast vollständig vorhandene Stadtmauer und einige der Türme. Im Hotelrestaurant essen wir sehr gut.
Danach experimentiere ich mit der neuen Diktiersoftware, und Marlis liest über Twitter.

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