29. Januar: nach Obersuhl

Bahnfahren: Wege nach Wildeck-Obersuhl (Ziel: Hermann Deist). Ortsrundfahrt

Just in time für die Zugabfahrt bin ich mit dem Packen fertig, Marlis wartet in LU-Mitte auf dem Bahnsteig schon auf mich. In Mannheim lässt sich der ICE ein paar Minuten Zeit, die sich dann bei der Ausfahrt aus Frankfurt wegen Störungen im Bahnhofsvorfeld auf 17 Minuten und vor Fulda wegen Bauarbeiten auf 21 Minuten ausweiten. In dem Wagen, in dem wir sitzen, funktioniert überdies das Lautsprechersystem nicht. So bringt die Bahn meine mühsam erarbeitete Runde für diese Woche gleich am Anfang durcheinander!
Wir starten zu einem “Ort der Erinnerung – Eine Zeitreise ins Obersuhl der 50er Jahre” von Hermann Deist. Er ist in Wildeck-Obersuhl aufgewachsen und zur Schule gegangen, er erinnert sich an “Kardüffel-Dämpfkolonnen”, den Schlossteich und natürlich an die DDR-Grenze direkt am Ortsrand vor der Haustür.
Als Anschlüsse in Fulda und Eisenach waren nur fünf Minuten vorgesehen. Den IC in Fulda bekämen wir noch, der fährt nämlich hinterher, aber der Regionalverkehr in Eisenach wartet bestimmt nicht. Das würde zwei Stunden Verzögerung bedeuten. Also disponieren wir um: über Fulda und Bebra kommen nur 45 Minuten zusammen. Und um nicht lange auf Bahnhöfen rumzustehen, fahren wir bis Kassel-Wilhelmshöhe weiter und von dort nach Bebra. Wozu haben wir denn die Bahncard 100?! Und so kommen wir bei schönstem Sonnenschein und viel Rauhreif mit der Bahn durch das saftige Fuldatal, das wir sonst immer nur von oben von den Brücken der Schnellfahrstrecke sehen, zuletzt war das Tal überschwemmt. Der Ort ist unauffällig, und es ist am Samstag Nachmittag kaum was los außer einigen Autos entlang der Hauptstraße. Wir laufen bis zum Hotel Krone durch das Ortszentrum. Die Häuser sind in der Art eines Straßendorfes entlang des Suhlbaches locker aufgereiht, gemischt sehen wir einzelne Fachwerkhäuser und einfachere Wohnhäuser. Nur wenige Häuser fallen durch eine aufwendigere Bauweise auf. Dazu gehören das neuere Rathaus und das Bürgerhaus, die aber etwas übertrieben wirken. Zwischendrin sind wenige Geschäfte, die so aussehen, alles hätten sie schon bessere Zeiten gesehen. Parallel laufen die Bahnstrecke und wenige Nebenstraßen. Auffällig sind die vielen landwirtschaftlichen Relikte: Toreinfahrten, Schuppen und vor allem Scheunen mit großen Toren in der zweiten Reihe hinter den Häusern. Der Wirt, Gerhard Bick, ist in unserem und in Hermann Deists Alter und im Obersuhl aufgewachsen; er kannte ihn. Er macht mit uns erstmal eine Ortsrundfahrt, und schon wissen wir einiges: das Haus, in dem Deist’s gewohnt haben, gegenüber den Wildecker Stuben, die mittlerweile geschlossen sind, sein Gymnasium in der Kirchstraße war privat (es kostete DM 40 pro Monat) und ist heute Sitz mehrerer Kleinunternehmen. Zur ehemaligen DDR-Grenze sind es nur wenige hundert Meter. Ein Turm steht noch, allerdings ein eckiges Nachfolgemodell des runden Turms, den Hermann auf einer Postkarte von 1969 hatte. Auf einem neuen Grenzpfad wird auf acht Tafeln einiges an Geschichte zur Grenze beschrieben. Das kleine Grenzmuseum werden wir im Rahmen einer Führung, die der Wirt für uns am Montag organisiert hat, sehen. Ein Marktplatz fällt uns nicht auf, nur drei evangelische Gemeinden unterschiedlichster Ausrichtung. Auch sonst fällt die Infrastruktur auf: Freibad, Sportplatz, Gesamtschule, Kleinschwimmhalle, Bürgerhaus, Großsporthalle – alles da, dazu noch ein Natur- und Vogelschutzgebiet mit großem See, hinter allem ragt ein großer Kaliberg aus der Landschaft.
Dazu gibts noch etliche Hintergrundinformationen: Gerhard Bick ist im Gemeinderat. Wir sehen uns davon noch einiges zu Fuß an, bevor es dunkel wird. Dann reichts auch, es fühlt sich ziemlich kalt an. Wir essen im Hotel. Es gibt einen neueren Anbau im Restaurant, wir wählen aber die Gaststube im alten Teil, dunkel mit Holz und Bartresen ausgestattet und mit Fanschals verschiedener Fußballclubs und alten Fotos dekoriert. Nach deftigem Essen organisieren wir noch Wanderkarten und lokalisieren andere Fotos, die Hermann uns mitgegeben hat: der Obelisk, der Inselteich und die Burgruine Blumenschein gehören alle zum Gelände der vor 500 Jahren existierenden Burg Wildeck, die der Großgemeinde den Namen gegeben hat, sechs Kilometer von Obersuhl entfernt beim Ortsteil Raßdorf. Hermann muss ein Fahrrad gehabt haben, zu Fuß erscheint uns das für regelmäßige Besuche etwas weit, auch wenn wir das als geeignetes Wanderziel für morgen nehmen.

Dieser Beitrag wurde unter Ziel Ideengeber abgelegt und mit , verschlagwortet. Setzen Sie ein Lesezeichen auf den Permalink.

6 Antworten auf 29. Januar: nach Obersuhl

  1. Edith sagt:

    Liebe Marlis,
    ich bin begeistert von euren Reiseberichten und den schönen Fotos. Dein Mann beschreibt alles so anschaulich und unterhaltsam. Er findet immer die richtigen Worte, so dass es mir viel Freude macht, euch in Gedanken zu begleiten.
    Freue mich schon auf eure Reisen im Februar und werde eine treue Leserin sein.

    Deine Hüttentourbegleiterin
    Edith

  2. inge ernst, geb. deist sagt:

    hi ihr zwei reisenden
    hochinteressant, dass ihr unsere heimat besucht. hermann hats mir grad gesagt. und so hab ichs auch entdeckt. ich bin seine schwester inge, ihr kennt mich von geburtstagen.
    ja, das gute alte obersuhl! der original dialekt ist nur für insider verständlich. eine weitere regionale speise ist “dätscher”, das ist kartoffelpuffer mit apfelbrei….
    letzten mai haben wir mit cousinen und cousins diese reise als “back to the roots” gemacht, das war gelungen!
    viel spass noch vor allem beim fotografieren. inge

  3. Hermann sagt:

    Hier das Rezept für das Obersuhler Nationalgericht:

    Dückfadd midd Kardüffel (Tunk-Fett mit Kartoffeln)

    Im Heerd Fier gemach.
    Kardüffel weng abgewasch, inn Dibbm midd Wasser geschmiss unn uffn Heerd gestall.
    Pann uffn Heerd gestall, Spägg rinngeschmiss, Zwibbeln debai gemach.
    Wennde Zwibbeln derch sinn, Schmand debai gemach unn umgerühr.
    Dibbm unn Pann uffn Disch gestall. Dischgebeed runnergerassel. Kardüffel genamm, gebell, inde Pann gedüggt un gegass.
    Guudn Abbedidd au, s schmäggd gaar ze guud!

    Übersetzung
    Ein Feuer im Herd entfachen.
    Kartoffeln kurz waschen, in einem wassergefüllten Topf legen und auf den Herd stellen.
    Pfanne auf dem Herd erhitzen, Speck auslassen und Zwiebeln hinzufügen.
    Sobald die Zwiebeln glasig sind, Schmand hinzufügen und umrühren.
    Topf und Pfanne auf den Esstisch stellen. Tischgebet sprechen.
    Jeder nimmt eine Kartoffel, pellt sie, tunkt sie in die Pfanne und genießt sie.
    Guten Appetit allerseits, es schmeckt vorzüglich!

    Gruß Hermann

  4. Hermann sagt:

    Schön, dass Ihr meinen Heimatort kennenlernt! Das Gasthaus zur Krone ist mir wolbekannt: Früher gehörte zur Krone auch eine Metzgerei. Im zarten Alter von 3 Jahren entwischte ich der Mutti beim Einkaufen hinter die Ladentheke, wo ich mir einen Wurschtezipfel schnappte. Die Metzgersfrau lachte und meine Mutti fühlte sich blamiert.

    Zum Gasthof Krone gehörte auch ein Tanzsaal, dort habe ich 1964 meinen Tanzkurs gemacht und mich zum erstenmal in meinem Leben vor allen Mädchen reichlich blamiert, als ich beim “Benimm-Teil” eine mißglückte Verbeugung hinlegte …

    Ende der sechziger Jahre mutierte der Tanzsaal Sonntagsnachmittags zum Beatschuppen, das fand ich als Halbstarker klasse, weil nun die Tanzblamage vorbei war.

    In der Krone fand einige Jahre später die Hochzeit meiner Schulkameradin Christel mit dem Apothekersohn statt. Ich erinnere mich deshalb so gut, weil meine Clique eine “Kümmerling-Uhr” nach der anderen machte und wir entsprechend angeheitert waren. Übrigens besteht eine Uhr aus 48 Fläschchen …

    Herzliche Grüße, Hermann

  5. Hans-Uwe Daumann sagt:

    Die Routenplanskizze gefällt mir. Wenn man dauernd mit der Bahn fährt, ist es gut, einen Plan B zu haben.