30. Juli: nach Freiburg

nach Freiburg über Baden-Baden: Neo Rauch im Museum Frieder Burda

Ich wache früh auf, das liegt wohl an der Riesling-Säure von gestern. Ich nutze die Gelegenheit und sehe mich draußen um. Der kleine Ort hat eine Gemeindeverwaltung, eine Schule, eine Bäckerei und eine Bushaltestelle. Wir haben die Abfahrt von hier noch gar nicht organisiert, und gestern abend ist mir aufgefallen, dass meine Organisation via Smartphone oder Internet nicht sinnvoll funktioniert: Der Datenempfang per französischem Netz ist äußerst schlecht, und der Auslandstarif wäre zum Rumsuchen zu teuer. Das hätten wir besser zu Hause vorbereiten sollen. An der Bushaltestelle finde ich immerhin den Fahrplan, es gibt täglich außer Sonntags Busse nach Wissembourg, die am Samstag vormittag sind allerdings Rufbusse. Ich notiere die Nummer, und als Marlis aufgestanden ist, rufe ich an. Pech, hier muss man am Vortag bis 17 Uhr reservieren. Also fragen wir im Hotel nach einer Lösung: die Chefin spricht sofort mit dem Koch, der fährt uns, und nimmt nicht einmal ein Fahrgeld an, wir sind sehr angetan bei dieser Hilfsbereitschaft. Und es passt wunderbar: zehn Minuten später geht der nächste Zug, und mit viermal Umsteigen und einmal Schienenersatzverkehr kommen wir reibungslos mittags im Museum Frieder Burda in Baden-Baden an. Als wir gestern abend von der Besuchsabsicht erzählt haben, bot uns doch tatsächlich jemand zwei Eintrittsgutscheine an, so dass wir heute nur den Audioguide zahlen müssen, den wir für Neo Rauch auch brauchen. Wir haben schon Bilder von ihm gesehen, aber hier wird uns die Komplexität erst klar. Im Film erlebt man Rauch als einen sehr nachdenklichen Künstler, der aus seiner Leipziger Ausbildung in den letzten zehn DDR-Jahren einen ganz eigenen Stil entwickelt. Der Audioguide gibt einige Deutungen, öfters wir finden noch andere. Rauch selbst lässt die Interpretation offen, so wie wir es verstanden haben, lässt er sich ähnlich wie die Surrealisten inspirieren. Nach dieser interessanten, anstrengenden Ausstellung entspannen wir uns bei exquisitem Kuchen im Café König und sehen uns kurz im belebten Baden-Baden um, bevor wir nach Freiburg weiterfahren. Hier ist in den letzten Geschäftsstunden des Samstag ähnlich viel los, als wir quer durch die Innenstadt zu unserem Hotel gehen. Für Freiburg finden wir einige gastronomische Empfehlungen auf der Seite des Freiburger Slowfood-Conviviums, sogar welche, die für uns einfach erreichbar sind. Wir laufen ein Stück an der Dreisam entlang, die mit Randwegen und grünen Böschungen durch Freiburg fließt, gesäumt von den beiden Fahrtrichtungen der Bundesstraße 31 aus dem Schwarzwald zur Autobahn. Die Stadt fällt hier unten im Tal nur durch die vielen drüberführenden Brücken auf. Wir kehren am Ufer ein und kommen mit einer Familie am Nachbartisch in Kontakt, der kleine Sohn zeichnet doch tatsächlich ICEs, da bekommt er natürlich unsere Projekt-Postkarte, wir amüsieren uns alle bestens. Im voll besetzten Kartoffelhaus wird originell und günstig, aber mit hohem Anspruch an die Qualität der Produkte gekocht, wir sind sehr zufrieden. Der Rückweg führt über den Augustinerplatz, offensichtlich abendlicher Treffpunkt, und an der historischen Buchhandlung Wetzstein vorbei. Zurück im Hotel bin ich gleich müde, der übliche Textrückstand am Anfang eines Reiseabschnitts entsteht wieder, morgen beginnt das Aufholen.

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29. Juli: nach Climbach(Elsass)

Drachenbronn: Slowfood-Essen im Bauernhof, Hotel in Climbach

Am späten Nachmittag starten wir im Rheinland-Pfalz-Takt über Neustadt und Landau nach Wissembourg, dem französischen Grenzort von der Pfalz zum Elsass. Dort werden wir schon erwartet, wir starten zu einer Veranstaltung von Slowfood-Pfalz in Frankreich. In Climbach laden wir im Hotel unser Gepäck ab und treffen uns bei den Organisatoren in Drachenbronn. Von dort starten wir gemeinsam zur “Ferme Auberge du Moulin des sept Fontaines”, einem in einem saftigen Tal gelegenen und von Wald umgebenen Bauernhof, der außerdem mit eigenen und regionalen Produkten eine Gastwirtschaft betreibt und Gästezimmer anbietet. Hier sieht alles so richtig eingelebt aus, Kaninchenställe, alte Wandabbildungen. Der Rest der Gruppe trifft ein und für uns ist eine alte niedrige Stube im Bauernhaus gedeckt, in die wir geradeso hineinpassen, es erinnert mich an alte WG-Zeiten in Darmstadt. Das Wetter sieht noch sonnig aus, der Überblick fehlt in dieser Tallage jedoch. Später zeigt sich, dass wir drinnen besser sitzen: Zur niedrigen Temperatur gesellt sich ein kräftiger Platzregen. Es gibt einfaches bäuerliches Essen. Die Speisekarte ist farbig gestaltet, das dient aber nur dazu, zwischen eigenen, regionalen und Handelsprodukten zu unterscheiden, typisch französisches Design. Wir können wählen zwischen zwei sehr preiswerten Menüs und einigem anderen bis zum ausgewachsenen Steak. Dazu gibts regionale Weine, auch die offenen sind bestens trinkbar. Elsass-typisch ist ordentlich Säure vorhanden, allerdings gut eingebunden. Die Organisation klappt ausgesprochen gut, ohne Schnickschnack und Deko wird auf netten Tellern mit Bauernmotiven serviert. Das Essen selbst erweist sich als vorzüglich: der Salat genial angemacht, gut durchgezogener weißer Käse, die Entenkeule saftig, zart und dennoch kross, die Bratkartoffeln und die Pommes frites echt hausgemacht und in Optik und Geschmack einmalig, ich lade mehrmals nach. Zum Nachtisch gibts ein kräftig alkoholisches Sorbet aroseé. Den Regenguss hören wir in der warmen Stube kräftig trommeln. Gegen Mitternacht brechen alle auf, wir finden ein Auto, das den kleinen Umweg über Climbach fährt, sonst wären wir gut eine Stunde durch den nächtlichen Wald gewandert, wir hatten uns vorsichtshalber mit Stirnlampe und Navi vorbereitet. Dort angekommen, schlafe ich nach dem guten Essen gleich ein.

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Noch ein Bericht in der Mainpost

Mitte Juli ist in der MainPost ein Bericht zu den Folgen unseres kurzen, aber sehr intensiven Besuchs in Altenmünster bei Schweinfurt am 4. Februar erschienen: Die Ideengeberin, Marianne Schäfer-Engelmann, hat sich vor Ort mit allen getroffen.
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25. Juli: Berlin und zurück

Berlin: Bauhaus-Archiv, Treffen mit dem Slowfood-Magazin, auf der Rückfahrt Verwandtentreffen in Stendal

Wir starten nach dem Frühstück mit dem Bus zum Bauhausarchiv. Auf bisherigen Reisen stand es zwar auf der Agenda, passte aber nie so richtig. Diesmal ist uns erst aufgefallen, dass es sich um ein richtiges Museum in einem Bau von Walter Gropius und nicht nur um kleinere Räumlichkeiten handelt. Wir fahren hin, es ist viel Betrieb, wahrscheinlich auch, weil montags viele andere Museen geschlossen sind. Spannend ist die geordnetete Präsentation der einzelnen Fachbereiche des Bauhauses, ihrer maßgeblichen Lehrer und ihrer Entwürfe und Produkte. Hier ist für uns sogar einiges Neues dabei. Das Ganze ist einigermaßen kompakt, so dass wir mit unserer Zeit gut hinkommen. Knapper wird es bei der Zusatzausstellung der Serien des Fotografen Albert Renger-Patzsch von 1922 und 1952 über das von Walter Gropius gebaute und heute noch betriebene Fagus-Werk in Alfeld an der Leine. Fotos und Gebäude sprechen uns an; so landet Alfeld auf unserer “Sehnsuchts”-Liste. Um 13 Uhr haben wir einen Termin mit der Chefredakteurin des Slowfood-Magazins. Wir treffen uns in der Lounge eines Hotels in der Nähe vom KaDeWe, wo ein wirklich gutes Mittagsmenü angeboten wird. Wir unterhalten uns angeregt über die Reise und Slowfood und vereinbaren das Vorgehen für einen Artikel über unser Reisejahr im November-Heft. Danach schauen wir uns das Gebäude des Hotels an, dessen Architektur unsere Aufmerksamkeit erregt hat: frühere Oberfinanzdirektion, Fassade und Treppenhäuser unter Denkmalschutz, seit mehreren Jahren zum Hotel umgebaut mit prägnanter, weißer Zimmereinrichtung und offenen Bädern. Die Zeit reicht gut, um unser Gepäck zu holen und unseren geplanten Zug zu erreichen. Der füllt sich in Berlin Hbf gleichmäßig; auch im Wagen 1 bleiben keine Doppelsitze frei, gut, dass wir nicht erst in Spandau eingestiegen sind. Gegenüber könnten wir über Minsk nach Moskau fahren. Der ICE fährt diesen Monat wegen Baustellen 15 Minuten früher und über Stendal, das führt zum kürzesten Verwandtenbesuch der Reise: Marlis Onkel Klaus, mit dem wir uns schon mal im Harz getroffen haben, steht auf dem Bahnsteig schon an der richtigen Tür, und wir begrüßen uns in den drei Minuten Aufenthalt des Zuges. In Wolfsburg macht der Zug eine planmäßige Baustellenpause, Gelegenheit für Fotos von der Autostadt, die wir schon kennen. Im weiteren Verlauf der Fahrt schreiben wir Texte und bauen die Zeitblöcke der restlichen Reiseetappen in unsere Kalender ein. In Mannheim besichtigen wir nochmals die Ausstellung der World Press Photos 2011 im Bahnhof. Alle Preisträge haben gemeinsam, dass es fast immer um schockierende Themen oder Sensationen geht, nicht unbedingt unser Ding. Nach dem kurzen Eindruck fahren wir rüber nach Ludwigshafen.

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24. Juli: Berlin

Berlin: Seminar zu Fotoprojekten, Karl-Marx-Allee

Wir müssen früh aufstehen, um zehn besuchen wir ein Seminar bei der Gesellschaft für Humanistische Fotografie zur Präsentation von Fotoprojekten in Neukölln. Mit Bus und U-Bahn kommen wir dorthin. Wir diskutieren im Laufe des Tages sechs Fotoprojekte, darunter unseres, mit Eva Leitolf. Uns wird klar, welche Schritte fällig sind, um die weitere Nutzung unseres umfangreichen Materials nach Ende des Reisejahres zu befördern und Institutionen zu finden, die sich dafür interessieren und an der Finanzierung beteiligen könnten. Insgesamt führt unser Material zu angeregten Diskussionen, es lohnt also, nächste Projektschritte durchzudenken. Auf einer Fortsetzung im November werden wir unsere Ausarbeiten präsentieren und besprechen. Einer der Teilnehmer (Name folgt) hat eine Ausstellung und einen Fotoband mit Interviews mit Titel “MENSCHENLEBEN in der Karl-Marx-Allee” erstellt, die im Café Sybille, einem Projekt der Union sozialer Einrichtungen, gezeigt wird. So bewusst haben wir die frühere Stalin-Allee, 1952 als neues sozialistisches Bauen in der Tradition Schinkels errichtet, nicht wahrgenommen. Hier wurde mit hohem Aufwand in traditioneller Ziegelbauweise anspruchsvoller Wohnraum geschaffen, ein Ansatz, den die DDR später nicht mehr einhalten konnte. Heute steht der ganze Straßenzug unter Denkmalschutz. Ähnliche städtebauliche Ansätze der DDR sind uns in Rostock in der langen Straße begegnet. Wir würden den Stil als monumental, aber doch eindrucksvoll und nicht unbedingt protzig beschreiben. Die Allee selbst ist sicher übertrieben breit, als Boulevard zum Flanieren schon fast nicht mehr geeignet. Das Café Sybille hat leider seit 18 Uhr eine geschlossene Veranstaltung. So gehen wir weiter und treffen auf die seit 2008 geschlossene Karl-Marx-Buchhandlung, ehemals die größte der DDR. Davor steht ein Hinweis: Ausstellung “FormDDR” 1949-1989 und noch offen, wir gehen rein. Es ist eine echte Entdeckung: der Bürgerverein zeigt in der historischen Einrichtung Kunststoff-Haushaltswaren, Glas, Möbel, Elektrogeräte, Lampen und Geschirr. Schlichte, minimalistische, meist zeitlose, langlebige und hochfunktionale Entwürfe, oft in Bauhaustradition, viele Anfang der 50er Jahre entstanden, meist an der Burg Giebichenstein in Halle, die wir von mehreren Besuchen kennen. In den 60er Jahren wurde das Design der Parteilinie untergeordnet, alles sollte gefälliger werden, alte Entwürfe wurden als “kalter Funktionalismus” verurteilt. Vieles wurde jedoch erfolgreich und lange in den Westen verkauft, beispielsweise über Ikea. Erst Mitte der 80er konnte das Design sich wieder unabhängig machen, und es entstanden neue interessante Entwürfe, die aber aufgrund veralteter Produktionsanlagen nicht mehr in den Markt kamen.
Es liegen Gastronomieführer für die Karl-Marx-Allee aus; wir suchen uns ein böhmisches Restaurant aus. Es ist alles wenig belebt; wir essen deftig, ganz ordentlich und sehr preiswert. Auf dem Weg zur S-Bahn Warschauer Str. treffen wir plötzlich auf jede Menge Läden der Nahversorgung, die abends offen haben, der Abend im Hotel ist gesichert.

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23. Juli: Berlin

Berlin: KaDeWe und zufällige Begegnung mit einem Ideengeber

Wir schlafen wirklich aus, besser gesagt Marlis, ich tippe schon mal alle ausstehenden Texte fertig. Dann nutzen wir die Frühstückszeit bis zwölf voll aus.
Im Hugendubel schauen wir uns Reisebücher von Verlagen an, die sich mit ähnlichen Stoffen wie unserem Projekt befassen und finden das in der Literaturabteilung; die Einordnung wird noch schwierig. Ein Reiseführer wird aus unserem Stoff jedenfalls nicht. Wir ziehen weiter. Hare Krishna zieht vorbei, auch sonst ist richtig viel los, in so einer großen Stadt haben weniger Leute ein Auto, der Einkauf im Zentrum oder vor Ort in den Stadtteilen spielt eine viel größere Rolle. Wir gehen ins KaDeWe, immer wieder beeindruckend: obwohl Kaufhaus mit Lebensmitteln, Interieur, Kleidung und Accessoires ist in den einzelnen Bereichen die Auswahl gigantisch und qualitätvoll. Es macht Spaß, sich hier umzusehen, wir wissen jetzt, was die Herbstmode bringt (nichts spannendes!), und finden Artikel, die wir sonst nicht mal mit mühsamem Suchen bekommen. Und dann ein echter Zufall: An der Rolltreppe im ersten Stock treffen wir völlig überraschend unseren Ideengeber Ulrich, für den wir am 9.3. in Wittenberg waren, er wohnt in Berlin. Wir verabreden uns sofort für einen Kaffee im sechsten Stock und tauschen uns angeregt über das Projekt und die Jahre seit dem Geburtstag, an dem wir das Projekt veröffentlicht und uns zum letzten Mal gesehen haben, aus. So hat der Nachmittag eine unerwartete Wendung genommen. Wir nehmen uns nichts mehr vor, außer den Test des Wellnessbereichs im Hotel. Die Sauna ist sehr kompakt, das Dampfbad kocht gut durch. Wir genießen diese Einlage, stellen aber fest, dass wir, besonders im Reisejahr, solche Ausstattung im Hotel nicht brauchen. Wir schaffen es locker, unsere Zeit mit Unternehmungen zu füllen, ohne dass wir uns erholen müssen, dazu reicht uns das Ausschlafen. Jedenfalls strengt das Reisen weniger an als der Alltag, ich habe mich in dem Dreivierteljahr langsam, aber stetig erholt und fühle mich fit wie seit Jahren nicht mehr. Für den Abend haben wir wieder ein Restaurant in der Nähe der Hackeschen Höfe reserviert, dort essen wir gut. Im Hotel bereiten wir uns auf das morgige Seminar vor, da gilt es, trotz Sonntag etwas früher aufzustehen.

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22. Juli: Berlin

Berlin: Rundreise mit Bahnen, Schiff und zu Fuß durch West-Berlin (Ziel: Bernd Pfütze)

Morgens regnet es aus gleichmäßig grauem Himmel. Wir lassen uns nicht beirren und treffen uns mit Bernd Pfütze auf dem S-Bahnsteig im Bahnhof Zoo. Er hat uns eine besondere Idee hinterlassen: Er will uns durch sein “altes” West-Berlin führen, von 1959 bis 1969 hat er, nach der Übersiedlung aus Dresden, hier gelebt, bevor er zum Studium in Heidelberg endgültig Richtung Pfalz wechselte. Wir fahren zum Wannsee, dort hat er eine Rundfahrt auf den Seen vorgesehen. Es regnet bei 15° immer noch, wenn auch erträglich. Ergebnis: keiner der vielen Touristen, die wir in Berlin gesehen haben, will auf dem Wannsee fahren, es wird aber eine Mindestbelegung von 15 Fahrgästen vorausgesetzt. So ist heute morgen noch kein Schiff ausgelaufen, nur die BVG-Fähre nach Kladow fährt stündlich. So kann es eben immer Überraschungen geben. Uns machts nichts, wir kennen alles nicht, wir überlegen, was wir jetzt machen. Bernd ist erleichtert, dass wir das locker nehmen; wir sind uns zwar schon oft begegnet, haben aber noch nie was miteinander unternommen. Um 12:30 fährt sicher ein Schiff, weil eine Gruppe angemeldet ist. Bernd kommt auf die Idee, bis dahin die Liebermann-Villa zu besuchen, ich schaue nach, wo sie ist, das passt. Es ist ein Spaziergang durch die alten Villenviertel am Wannsee, die Uferseite ist fast komplett von Yachtclubs, Segler- und Angelvereinen mit großen alten Gebäuden und Yachthäfen belegt, alles mit alten Bäumen zugewachsen. Auf der anderen Straßenseite wechseln alte mit neuen Villen ab. Bis zur Nazizeit hat Liebermann seine Villa genutzt, dann kam eine wechselvolle Geschichte mit verschiedenen Nutzungen. In den 90er Jahren gelang es einem Verein, die Villa als Museum zurückzugewinnen, mittlerweile ist auch der Garten ins Ausstellungsprogramm einbezogen. Uns reicht es nur zu einem Blick in den Shop. Über einen Parallelweg gehen wir durch diese grüne und bestimmt ziemlich teure Gegend am Rande des früheren West-Berlin zurück zum Anleger. Das Schiff wartet, die Kassierin erkennt uns nicht wieder und verkauft uns die gewünschten Karten nach Potsdam; dass noch ein Schiff für die 7-Seen-Rundfahrt zur selben Zeit genügend Fahrgäste hat, verrät sie nicht, sonst hätten wir vielleicht das genommen. Na gut, die Strecke nach Potsdam kennt Bernd auch nicht, ging ja früher gar nicht. Wir fahren dicht an den bewaldeten Ufern entlang, oft sind Villen und kleine Schlösser zu sehen. Gegenüber liegt das große Strandbad, mit Sandstrand, Strandkörben und Sonnenterrassen. Wir passieren Kladow, die Pfaueninsel und Cecilienhof, wo im August 1945 das Potsdamer Abkommen der drei Aliierten USA, Sowjetunion und Großbritannien geschlossen wurde. Gerade an den Ufern nahe Potsdam hat sich viel verändert, altes ist restauriert, Lücken sind modern bebaut, ein Spazierweg am Ufer wurde freigelassen. Wegen Wind sind die Außendecks auf dem Schiff geschlossen, innen sehen wir auch gut und können uns besser unterhalten. In Potsdam durchqueren wir die neue Rathausgalerie, die noch einige freie Läden hat, zum Bahnhof. Wir entschließen uns, am Bellevue auszusteigen und ins Hansaviertel zu gehen, da steht die Akademie der Künste von 1960, wo Bernd viele Aufführungen besucht hat, und drumherum zur IBA 1957 eine Mustersiedlung mit Sozialwohnungen von namhaften internationalen Architekten auf kriegszerstörtem Gelände erbaut wurde. Mittlerweile ist die Siedlung sehr zugewachsen, alle Bäume sind so groß, dass die Gebäude teilweise schwer als Gesamtobjekt wahrnehmbar sind. Ein Bürgerverein widmet sich der Erhaltung und der Beseitigung des bestehenden Sanierungsstaus, führt Führungen durch und betreibt in einem Weinladen eine Information, wo wir uns mit einem Plan versorgen. Besonders auffällig sind die Gebäude von Schwippert, Eiermann, Niemeyer und Gropius. Die Akademie der Künste ist wegen Sanierung bis August eine unbetretbare Baustelle, das Grips-Theater im Einkaufszentrum hat Sommerpause, alles wesentliche Orte aus Bernds Erinnerung. So gibt es einige Gründe, das Viertel nochmal zu besuchen. Wir laufen weiter durch die Grünanlagen, deren Wege seit 30 Jahren ein Gaslaternen-Freilichtmuseum darstellen, in dem auch Mannheim und Frankenthal vertreten sind, und über die Schleusen des Landwehrkanals zum Bahnhof Zoo. Dort fällt uns auf, dass man dabei ist, die Gebäudereihe vom alten Kino Zoopalast und weiter an der Budapester Straße abzureißen, und auch sonst viele Gebäude in der Umgebung Neubauten sind. Unsere Erfahrung mit dem Café Kranzler bestätigt er, so hätten wir den Haken an diesen Sehnsuchtspunkt gestern auch ohne Besuch setzen können. Der alte Turm der Gedächtniskirche ist zur Restaurierung so eingerüstet, dass er fast wie ein Hochhaus aussieht. Wir besichtigen die noch vorhandene Vorhalle der alten und das Innere der neuen Kirche und begegnen so wieder Egon Eiermann und seinen Glasfenstern. Dies sind also die Orte, die die Touristen, denen es am Wannsee zu feucht war, aufsuchen, es ist hier recht voll. Nach diesem durch Wetter anders als von Bernd geplanten und dadurch vielleicht noch interessanter verlaufenen Tag trennen wir uns hier in der Nähe unseres Hotels. Wir telefonieren hinter einigen Locations, die uns zum Essen einfallen, her, aber – Freitag-Abend – alles schon reserviert. Wir fahren wie gestern zum Hackeschen Markt und drehen eine Runde über Hamburger Straße und Auguststraße und werden in der Rosenthaler Straße in einem einfachen, ebenfalls gut besuchten Lokal fündig und sind mit den überbackenen Speisen ganz zufrieden. Unsere fälligen Einkäufe lassen sich in den Kiezmärkten hier sogar am späteren Abend gut erledigen. Wir kehren ins Hotel zurück. Im Zimmer wird noch etwas getippt, morgen können wir ausschlafen und dann das wohl beste Frühstück des Reisejahres bis zwölf genießen.

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21. Juli: nach Berlin

Berlin: Kranzler, “Nordsee von oben”, Essen bei Fantone

Kurz nach Neun sind wir unterwegs, nachmittags haben wir einen Termin beim Verkehrsclub Deutschland, wo ich seit Jahrzehnten Mitglied bin. Die Bahnfahrt verläuft komplett planmäßig, in Spandau ist der Zug sogar acht Minuten früher. Bis zum Hauptbahnhof verliert er den Vorsprung wieder, da scheint das Gleis nicht vorzeitig frei zu sein. Das Wetter ist trübe bis nass, wir beschäftigen uns mit Lesen, Nachholen von Reisenotizen und Vorbereitung auf den Nachmittag. So wird endlich die Stoffsammlung für einen allgemeinen Beitrag zum Bahnfahren fertig, bald wird wohl der fertige Text im Blog folgen. Planmäßig klappt auch der Nahverkehr in Berlin, wir treffen minutengenau beim VCD in der Rudi-Dutschke-Straße ein. Wir werden von zwei Mitarbeiterinnen erwartet, bewaffnet mit Sprachaufzeichner und Fotoapparat. Sie haben sich eine Audio-Slideshow ausgedacht, die auf der Homepage unter Senioren zum Thema Bahnreisen im Alter laufen soll, die zweite Show auf der VCD-Seite überhaupt. Beide sind gut vorbereitet mit Fragenzettel, wir auch, und wir sind passend für Reisefotos noch mit allem Gepäck unterwegs. Es ergibt sich ein erfrischendes Gespräch, unsere Erfahrungen und Erzählungen kommen offensichtlich gut an. Jetzt sind wir mal gespannt, was dann im August rauskommt, mit 600 Seitenbesuchen täglich ist das sicher eine interessante Adresse.
Mit dem M29-Bus fahren wir quer durch Berlin zum Kudamm, wo wir diesmal in einem sehr teuren Hotel zum Sommer-Sparpreis wohnen. Hier in Berlin ist die Urlaubszeit preislich von Vorteil. Das Hotel ist klar designed, großzügig und gut gelegen, wir wohnen im neunten Stock. Nur manche Details sind suboptimal gelöst – schick, aber funktionsbehindernd. Für abends haben wir uns einen Kinofilm ausgesucht, also gehts gleich los, zuerst auf einen Kaffee, da bietet sich das Café Kranzler schräg gegenüber an, schon oft gehört, aber nie geschafft. Verpasst haben wir leider nichts: Zwar ist die Lage des Rundbaus als Dachterrasse im dritten Stock recht schön, mit Blick auf unser Hotelzimmer, aber man gibt sich wenig Mühe. Hier kann man höchstens zum Touristengucken nochmal hingehen. Mit der S-Bahn fahren wir zum Hackeschen Markt und sehen tatsächlich Werbung für das Hotel auf Hiddensee, in dem wir waren. Weiter gehts mit U zum Rosenthaler Platz. Wir kommen pünktlich zum Film “Die Nordsee von oben” im kleinen Acud-Programmkino mit zwei Sälen an. Von den Eintrittspreisen hier kann man bei uns zu Hause nur träumen. Auch wenn ich, wie üblich am ersten Reisetag, ziemlich müde bin, der Film bringt einmalige Bilder von Emden bis List zu Wattenmeer und Dünen und thematisiert dezent Übernutzungen und die Bedeutung des Naturschutzes. Besonders widmet er sich den landschaftlichen Einmaligkeiten in Luftbildern; entsprechend kommen manche Inseln wie Norderney und Juist kaum dran, dafür Langeoog, Spiekeroog, Amrum, Sylt und besonders die Halligen umso intensiver, eine gelungene Abrundung unserer nordwestlichen Reiseerlebnisse.
Danach haben wir im Café Fantone in Charlottenburg reserviert, das wir über Slowfood schon im März entdeckt hatten. Wieder werden wir vom Inhaber bestens bedient, essen von der handgeschriebenen Karte Sardinen, Lasagne und Calamaretti in sehr gelungener, eigenwilliger Interpretation, werden mit einem selbstverständlich hausgemachten Fruchtmousse zum Dessert verwöhnt und bleiben als letzte Gäste übrig. Hier werden wir wohl bei jedem Berlinbesuch einmal vorbeikommen! Den Rückweg machen wir zu Fuß und gewöhnen uns bei dem halbstündigen, jetzt nicht mehr nassen Spaziergang wieder an Berlin.

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Bericht im Holsteiner Courier

Der Holsteiner Courier hat in seiner heutigen Ausgabe auf der Neumünster-Seite über das Presse-Gespräch vom Freitag ausführlich berichtet:
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17. Juli: zurück nach Ludwigshafen

Neumünster: Matinee im Gerisch-Park, Rückfahrt

Heute ist es wieder kälter, und ergiebiger Regen ist angekündigt, unpassend für das Konzert. Ich interpretiere den Regenradar und vermute, wenn überhaupt, anfänglich leichten Regen. Wir gehen zum Gerisch-Park, es ist schon viel Betrieb. Man platziert sich locker im Garten, mit eigenen oder bereitstehenden Stühlen. Viele sind mit Regenmänteln und Regenschirmen angerückt, ich zähle 200 bis 300. Auch ein kleines, feines und preiswertes Catering hat das Café aufgebaut, alles sehr gut organisiert. Frau Gerisch ist überall präsent. Anfänglich nieselt es etwas, da ist es gut, dass wir uns auf Abstand gesetzt haben, so können wir über die Regenschirme hinwegsehen. Stimmung und Atmosphäre im Garten sind angenehm, von der erhöhten Terrasse mit der Villa im Hintergrund kommen die neun Bläser – Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott und Horn – zwar nicht sehr laut, doch gut hörbar und sehr differenziert rüber, es gibt außer leichtem Wind- und Regenrauschen keine Nebengeräusche. So sind die Stücke von Françaix, Prokofjew und Bizet ein echter Genuss. In der kurzen Pause kann man sich versorgen und Blicke von verschiedenen Positionen über die Konzertgesellschaft schweifen lassen. Hinterher schauen wir uns die gestern übriggebliebenen Werke des Parks und die Fotos von Carsten Höller in der Galerie in der Gerisch-Villa an. Zum Abschluss gibt es eine wunderbare Harry-Maasz-Torte im sehr gelungen und klar eingerichteten Café. Nach diesem die Reise krönenden Sonntag-Vormittag machen wir uns auf den Weg zum Bahnhof, vorbei am Hotel und dem Museum, wo Marlis sich ein Andenken ausgesucht hat. Unterwegs können wir in die Vicelinkirche schauen, eine bedeutende, in Reinform erhaltene klassizistische evangelische Kirche von 1834. Beim Gang über den Großflecken halten wir erneut vergeblich Ausschau nach dem Stand von Carsten Rühmann und seinen Sahnescheiben; ein Glück, dass wir ihn und wenigstens eine Scheibe gleich bei Ankunft in Neumünster erwischt haben. Der ICE auf der Rückfahrt ist praktisch voll; die Idee, schon in Hamburg-Dammtor statt wie im Fahrplan im Hauptbahnhof umzusteigen, erweist sich als gut, so können wir in Ruhe zwei dauerhaft unreservierte Plätze zusammen finden, bevor sich der Zug richtig füllt. Wir sind mit Lesen und Tippen voll beschäftigt, die Stunden der Rückfahrt reichen eigentlich nicht, zum Rausschauen reichts kaum, zumal das Wetter schlechter als am Vormittag im Norden ist, und wir kennen die Strecke auch schon zur Genüge; der Blick auf den Odenwald kündigt die Ankunft an. Der Zug schafft es, bis Mannheim pünktlich zu bleiben. Die Ausstellung der World Press Photos im Bahnhof sparen wir uns auf, wir wollen nicht noch später nach Hause kommen. So endet wieder ein Reiseabschnitt.

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