4. Februar: über Altenmünster zurück

Abfahrt Bad Salzungen, ab Schweinfurt mit Bus ins Dorf Altenmünster/Ortsteil von Stadtlauringen (Ziel: Marianne Schäfer-Engelmann). Sehr schönes Dorf, viele Kontakte, alter Bauernhof. Rückfahrt nach LU.

Heute stehen wir recht früh auf, wir müssen packen und um 9:41 fahren. Ideengeberin Marianne Schäfer-Engelmann, die wir am 18. Januar in Neuwied besucht haben, hat uns einen Ort genannt, in dem ihre Eltern sie am Kriegsende als Kind in Sicherheit gebracht hatten: Altenmünster in Unterfranken, heute Ortsteil von Stadtlauringen. Es liegt etwas abseits und ist schwer zu erreichen, passt aber gut in den Rückweg. Es geht nur mit dem Bus von Schweinfurt aus, und da nur eine sinnvolle Kombination am Tag: 12:24 Ankunft im Nachbarort Ballingshausen und 3 km Fußweg, zurück 17:36 ab Altenmünster. Marianne hat uns einige Hinweise auf den Bauernhof Goch gegeben, in dem sie einige Zeit gewohnt hat, zu den Kindern des Hofes und zu der Umgebung. Zuletzt war sie 1965 dort zu Besuch. Wir sollen für sie erkunden, was aus dem Bauernhof geworden ist und wer dort heute lebt.
Die Detailvorbereitung machen wir im Zug. Marlis hatte schon nach dem Ort recherchiert, da gab es immerhin einen Wikipedia-Eintrag, der uns die Größe von 278 Einwohnern, drei Kirchen, einen Naherholungs-See, einen Pilgerhof und die Bürgermeister bis zur Eingemeindung aufzählt. Ein Zeitungsartikel berichtet, dass Norbert Gock (der Name stimmte nicht ganz!) 2009 91-jährig gestorben ist, und dass er der letzte Bürgermeister war und politisch und in Vereinen sehr viel für den Ort getan hat. Im Internet suchen wir die Seite von Stadtlauringen, finden die Telefonnummer der Stadt, ein paar Sätze zum Ortsteil und den Namen des Mitgliedes im Gemeinderat, der aus Altenmünster kommt. Marlis telefoniert und wird gleich mit Herrn Düring verbunden, der sich bestens in den Ortsteilen auskennt. Er sagt uns, wie wir vom Bus in Ballingshausen den neu gemachten Wanderweg nach Altenmünster finden, so dass wir nicht entlang der Straße laufen müssen. Wir erfahren die richtige Telefonnummer des Gemeinderats Ewald Köttler, unsere Recherche im Telefonbuch hatte nur die des Nebenerwerbshofes ergeben. Und Marlis ruft dort gleich an und erfährt von Frau Köttler, wann ihr Mann zu Hause ist und wer den Hof Gock, der nicht mehr bewirtschaftet wird, verwaltet. Bei Frau Warmuth meldet sich nur der Anrufbeantworter, aber offensichtlich kümmert sich schon das halbe Dorf um unser Anliegen. Wir sind jedenfalls kaum aus dem Bus in Ballingshausen ausgestiegen, kommt ihr Anruf. Natürlich kann Sie uns den Hof zeigen, sie hat dort auch lange gearbeitet, und ist etwa genauso alt wie unsere Ideengeberin Marianne. Wir laufen zur Seestraße und dann den Weg weiter, er ist komplett alsphaltiert und führt leicht bergab nach Altenmünster, das in einem flachen Talkessel liegt, also optimal für unsere Rollkoffer. Schon der Weg ist malerisch: das Dorf kommt uns förmlich entgegen, die Straße läuft neben uns auf dem Kamm, ein Bus fährt quasi im Himmel, die Felder sind in den Vertiefungen schneebedeckt, das Grün schaut raus. Und das Eis von gestern ist weggetaut. Wir erreichen das Dorf und müssen noch ein Hindernis umschiffen: der Weg ist von einem riesigen Reisighaufen versperrt, der beim Zerlegen von gefällten Bäumen am Feuerlöschteich enstanden ist. Wir passieren den Pilgerhof, identifizieren einen aus dessen Scheune herausragenden Anbau mit hohen Fenstern als die Scheunenkirche, von der wir gelesen haben, und finden die Bushaltestelle, auf deren Plan unser Abfahrtsbus verzeichnet ist. Das Schild, das uns Herr Düring zur Lokalisierung des Gock-Hofes benannt hat: “Ellertshäuser See”, finden wir auch noch, da kommt uns Frau Warmuth schon hinter der evangelischen Kirche mit ihrem Elektrofahrrad entgegen. Nach ausführlicher Begrüßung rufen wir sofort die Nichte von Norbert Gock, Heidrun Kranig, an, die die Erbschaftsangelegenheiten regelt und uns gleich viel erzählt – es hätte endlos weitergehen können. Wir dürfen jedenfalls das ganze Haus ansehen, Frau Warmuth beginnt gleich mit der Führung. Norbert Gock war alleinstehend. Er hat den Hof eher nebenbei geführt und hatte dazu einige Mithelfer. Er hat sich intensiv um alle Belange des Dorfes gekümmert: als Bürgermeister, dann als Gemeinderat und zweiter Bürgermeister der Verbandsgemeinde, bei Flurbereinigung, Waldbereinigung, Jagd, Gartenbauverein und Nutzung des Ellertshäuser Sees, der auf der Gemarkung von Altenmünster liegt. Etwa 1990, über 70 Jahre alt, hat er die Bewirtschaftung des Hofes beendet, aber weiter im Haupthaus von 1935 gewohnt und dort kaum etwas verändert. Alles ist aufgeräumt und gepflegt, es könnte ein Haus in einem Freilichtmuseum sein. Es gibt keinen Fernseher, keine Heizung, nur Öfen, und das Klo war noch lange im Hof. Marlis fotografiert wie besessen. Wir erfahren vieles über die Geschwister und den Zusammenhalt in der Familie und legendäre Familienfeste. Es gibt Fotobücher, in denen das Familienleben nachvollziehbar ist, und die von Marianne erwähnte Schwester Delfine öfter zu finden ist. Jetzt suchen die Erben nach einem angemessenen Käufer des Anwesens.
Der ganze Ort macht einen harmonischen, stilvoll-gemütlichen Eindruck. Wir bekommen die kleine katholische Kirche und das Pfarrhaus gezeigt. Der alte Pfarrer ist leider vor einigen Tagen plötzlich verstorben, der jetzige ist für mehrere Gemeinden zuständig und wird das Haus erst nach einer Modernisierung beziehen. Eine für den Ort sehr wichtige Leistung des alten Pfarrers war die Schaffung des Pilgerhofes: in Folge der 1974 erfolgten Seligsprechung des Altenmünsterer Pfarrers Liborius Wagner aus dem 17. Jahrhundert wurde 1981 der seit 30 Jahren unbewirtschaftete Hof, auf dem Frau Warmuth geboren wurde, anlässlich eines Wagner-Jahres von der Diözese zu einer Pilgerstätte und Tagungshaus ausgebaut und die alte Scheune zur Kirche umfunktioniert, indem in die Scheunendurchfahrt ein kleines Hauptschiff eingebaut wurde, ein überaus interessanter Bau. Wir werden dann zum Ellershäuser See gefahren, einem in den 50er Jahren angelegten Stausee, der heute der größte und Unterfranken ist. Er war für die Bewässerung der Felder gedacht, das hat sich aber nie gelohnt, so blieb er für Erholung übrig. Am See gibt es das einzige Lokal des Ortes, ein einfacher, uriger Bau aus den 50er Jahren, der allerdings demnächst ersetzt werden soll. Wir kehren dort kurz ein, wandern in den Ort zurück und holen unser Gepäck. Wir besuchen noch kurz den Gemeinderat Ewald Köttler und erfahren weiteres: der Ort war der erste der Gegend mit Kanalisation und asphaltierten Straßen. Im Dorf arbeiten heute noch alle zusammen, und dafür genügen zwei Vereine: die freiwillige Feuerwehr und der Gartenbauverein, der sich um das ganze Ortsbild kümmert. Konfessionsgrenzen spielen keine Rolle. Und so ist dieses kleine Dorf einer der wenigen Fälle ohne Schrumpfung und mit Kindern: die Nachkommen bleiben hier, und in begrenztem Maße gibt es Zuzug im Neubaugebiet. Schulen gibt es nur in der Umgebung, dafür aber Schulbusse, Läden gibt es keine. Heute gibt es nur noch einzelne Nebenerwerbs-Landwirte, die Felder werden im wesentlichen von größeren Höfen der Umgebung bewirtschaftet. Über die Kriegsereignisse, von denen Marianne noch berichtet hat, lässt sich nichts weiteres in Erfahrung bringen, Zeitzeugen leben nicht mehr.
Wir müssen weg, der Bus um 17:36 kommt tatsächlich ein paar Minuten später fast für uns allein, das verwundert die Einheimischen. Sie hätten uns auch nach Schweinfurt gefahren, aber für uns kommt das natürlich nur in allergrößter Not in Frage. Die Heimfahrt mit der Bahn klappt im wesentlichen planmäßig. Jetzt sind wir voll mit Eindrücken, und stellen nach dieser Reisewoche fest, dass unsere Neugier wohl immer dafür sorgen wird, dass die Tage voll und spannend sind. Zu Lesen brauchen wir uns jedenfalls nichts mitnehmen, und einen Fernseher auf dem Zimmer brauchen wir auch nicht. Die heutige Technik mit Netbook, Smartphone, WLAN, Surfstick, GPS brauchen wir dafür umso mehr. Was wir heute gemacht und erlebt haben, wäre ohne das nicht gegangen. Ganz herzlichen Dank an alle, die uns heute so umfassend, selbstverständlich und begeistert mit Informationen versorgt und betreut haben!

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8 Antworten auf 4. Februar: über Altenmünster zurück

  1. B.u.H.Kranig sagt:

    Liebe Frau Marlis Jonas
    und Herr Joachim Krueger,

    ganz herzlichen Dank für die netten Grüße, Karten und Berichte zusammen mit dem “Mobil”-Heft der Deutschen Bahn. Dass die Begegnungen in Altenmünster so begeistern, freut uns natürlich sehr und ich habe den Eindruck, dass das kleine Dorf schon etwas stolz ist.

    Unser Treffen am 21. Mai mit Marianne Schäfer-Engelmann und ihrem Mann war jetzt natürlich der Höhepunkt. Sie beide haben dies Treffen ermöglicht und wir danken Ihnen für Ihre tolle und erfolgreiche Spurensuche.

    Es war wahnsinnig nett, lustig, spannend und manche Erlebnisse konnten aufgeklärt werden. Ihre Helfer (Frau Warmuth, Herr und Frau Köttler und die Presse) kamen auch dazu. Ebenso meine Schwester und am Abend meine 95jährige Mutter, die sehr oft
    in Altenmünster war, auch 1945, als Marianne dort ankam.

    Nun wünsche ich Ihnen weiterhin gute Reise
    bei herrlichem Sommerwetter und schönen Herbsttagen.

    Herzliche Grüße
    Heidrun Kranig

  2. Pingback: Bahn Zeit Reise

  3. Marianne Schäfer-Engelmann sagt:

    Hallo Wolfgang,
    nur durch die Bahn-Zeit-Reise von Marlis und Joachim höre ich auch von Dir ein Lebenszeichen.
    An Deine Mutter und an Deine Schwester habe ich noch sehr genaue Erinnerungen, ich glaube, Du warst damals (1944) noch sehr sehr klein…
    Aus Hamburg kommend war der Hof Deines Onkels eine sicherere Unterkunft als eine Wohnung in einer Großstadt. Mich hat Tante Nelly in Altenmünster evakuiert, weil ich vor lauter Angst kaum noch etwas essen wollte. In Altenmünster tat sich dann für mich ein Paradies auf: frischgebackenes Brot, Schinkenwürfelchen, Eierspeisen, Milch – einfach wunderbar und unvergesslich!
    Im Sommer werde ich Heidrun treffen – in Altenmünster !!!

    Herzliche Grüße an Dich und Deine Schwester von

    Marianne Schäfer-Engelmann

  4. Marie Schäfer-Engelmann sagt:

    Dass Ihr tatsächlich nach Altenmünster gefahren seid und mit Hilfe des halben Dorfes den Bauernhof und Familienangehörige gefunden habt – ich kann es noch nicht fassen. Einfach überwältigend! Wenn ich die Bilder der Erinnerungen sehe – ich bin zu Tränen gerührt. Mit Heidrun habe ich sofort telefonisch Kontakt aufgenommen – nach 50 Jahren habe ich sie wiedergefunden – und das habe ich nur Euch zu verdanken. Einfach wunderbar!! Im Sommer werden wir uns in Altenmünster treffen.
    Auch für den dicken Brief meinen herzlichsten Dank. Jetzt habe ich wieder ein so lebendiges Bild von A. vor mir und freue mich riesig auf den Besuch. Ich danke Euch beiden so sehr, danke, danke!! Eure Reise ist einfach großartig!!!
    Herzliche Grüße Eure Marianne und Joachim

  5. Heidrun Kranig sagt:

    Liebe Frau Jonas
    und Herr Krueger,

    kurz nach Ihrer Ankunft in Altenmünster haben wir miteinander telefoniert.
    Frau Warmuth hat Ihnen meine Telefonnummer gegeben, Sie begleitet und Sie bestens informiert.
    Ihr Bericht rührt mich sehr. Zutreffend, auch Ihre Bemerkung zum Hause Gock:
    “Es könnte ein Haus in einem Freilichtmuseum sein”.
    Nach dem Tode unseres Onkels hatten wir alle diese Idee. Diese habe ich schon einmal der Marktgemeinde Stadtlauringen vorgeschlagen. Ich denke, dies sollten wir noch einmal versuchen.
    Grüße bitte an Marianne Schäfer-Engelmann und weiterhin schöne Reisen an Orte der Erinnerung.
    Altenmünster bleibt für mich immer ein Ort der Erinnerung und Sehnsucht!

    Herzliche Grüße
    Heidrun Kranig

  6. Wolfgang Schüßler sagt:

    Hallo, ich bin der Neffe des in Ihrem Artikel genannten Altbürgermeisters Norbert Gock und habe mit Rührung Ihren Bericht gelesen. Viele Erinnerungen an unvergessliche Familientreffen und Ferienerlebnisse wurden dadurch wachgerufen. Der Hof meines Onkels spielte dabei eine zentrale Rolle, die mit seinem Tod erloschen ist. Die Verbindung zu Altenmünster aber bleibt.
    Viele Grüße
    Wolfgang Schüßler

  7. Sabine Warmuth sagt:

    Hallo,
    wir haben uns gestern in Altenmünster getroffen. Ich bin die Tochter von Frau Warmuth. Sie haben ja einen wunderbaren Artikel über Altenmünster geschrieben. (Bei dem Artikel hat sich nur ein kleiner Namensfehler eingeschlichen, wir heissen nicht Wasmuth sondern Warmuth.)
    Viele Grüße und noch viel Spass auf ihrem weiteren Weg.

  8. Ute Weisensee sagt:

    Grüß Gott! Am selbigen Abend hatten wir Frauen unseren monatlichen Stammtisch und Ihr Besuch wurde auch erwähnt, da Sie von verschiedenen Leuten gesehen wurden! Ja, ja, so etwas fällt in so einem Dorf sofort auf. Es ist schon bemerkenswert, dass “Fremde” über ihre Freunde einen Ort besuchen und so interessiert darüber sind. Schade, dass Sie nur so kurz Zeit hatten, zum Übernachten wäre im Pilgerhof bestimmt noch ein Platz frei gewesen…
    Grüße aus Altenmünster