4. September: Regensburg

Regensburg: Stadtrundgang

Heute lassen wir es ruhiger angehen. Regensburg besuchen wir aus eigenem Interesse, ohne konkrete Aufgaben. Wir haben nichts Spezielles vorbereitet. Wir starten mit Ausschlafen, Texten, Lesen und Frühstücken in einem zum gegenüberliegenden Dom passenden Raum. Gegen Mittag laufen wir los, ich habe von einem früheren Kurzbesuch eine grobe Idee der Stadt. Zwischendurch schauen wir Schaufenster an, es gibt originelle Geschäfte, wenn auch nichts, was wir unbedingt haben wollen, die Ziele für Montag lassen also auf sich warten. Bei dem heute noch schönen Wetter gehts gleich zur Steiernen Brücke, das Muss in Regensburg. Die Donaubrücke aus dem 12. Jahrhundert war damals die Brücke schlechthin, ein technisches Wunderwerk, und das Vorbild für die Prager Karlsbrücke 200 Jahre später. Sicher ist sie auch ein wesentlicher Aspekt für den Weltkulturerbe-Status seit 2006. Dazu passend gibt es im alten rechten Brückenhaus eine Ausstellung in historischem Ambiente mit groben Balkendecken und -stützen mit allen Hintergründen in modernster Präsentation. Das ist auch wichtig; die Stadtprospekte sind unvollständig, uneinheitlich und nicht immer richtig, da gibt es bessere Beispiele. Eine Stadt mit der Wirtschaftskraft und den Tourismusmassen sollte mehr hinbekommen. Zu Füßen des Gebäudes an der Donau liegt die “Wurstkuchl”, ein kleines Gebäude, das schon beim Brückenbau als Kantine gedient haben soll, und nur hausgemachte kleine Bratwürste auf Kraut serviert, natürlich mit Bier oder Wein. Sowas geht nur hier mit dem historischen Hintergrund. Von der Brücke ergibt sich ein malerischer Blick auf die Altstadtfront am Donauufer, auf der anderen Seite liegt der zum Erbe gehörende Stadtteil Stadtamhof, früher sicher Auslagerungsbereich für Spital und ähnliches, vielleicht auch Wohngebiete, heute eine Insel durch den nördlich verlaufenden Schleusenkanal, der für die Schiffbarkeit der Donau über Regensburg hinaus und den Main-Donau-Kanal nötig war. Wir gehen zurück über die Donauinseln und den Eisernen Steg von 1901 mit erneutem Altstadtblick. Durch stille Altstadtgassen im Westen kommen wir zum Stadttheater, hier beginnt die belebte Zone mit Kneipen, Läden, Sehenswürdigkeiten und geschlossenem Altstadtbild. Regensburg kommt zugute, dass es hier nie Brände oder Zerstörungen gab, daher gibt es sogar noch Reste aus der Römerzeit. Die Stadt war immer weltlich orientiert, auf Handel ausgerichtet und früh protestantisch; hier wurden Kaiser gekrönt, und von 1663 bis 1806 tagte hier der immerwährende Reichstag, dessen Entscheidungen der Kaiser nicht übergehen konnte. Nach Besuch am alten Rathaus steigen wir auf den einzigen Aussichtsturm der Stadt, den der Dreieinigkeitskirche, immerhin hoch genug, um über die Dächer zu schauen und die vielen alten Wohn- und Kirchentürme zu sortieren. Im Innenhof der Kirche entdecken wir eine der interessantesten Sehenswürdigkeiten, den Friedhof der Gesandten des immerwährenden Reichstags, bestehen aus einer Wand mit 20 großen Epitaphen. Einen Besuch des früheren Klosters und heutigen Schlosses und Kommerz-Zentrums der Thurn und Taxis schenken wir uns, wir streifen weiter durch die Gassen, besuchen ein Café und besichtigen die prächtige, innen barocke Alte Kapelle und den Dom, dessen gotischer Bau im 13. Jahrhundert begann und bis ins 19. Jahrhundert andauerte, als dessen zwischenzeitlich barocke Innenausstattung wieder purifiziert wurde, um als einzige große gotische Kirche in Bayern herzuhalten. Sie ist innen beeindruckend, jedoch sehr dunkel; das liegt an vielen, oft über 600 Jahre alten tief farbigen Kirchenfenstern, die in der Sonne wie Leuchtkästen strahlen, und den dunklen Steinen. Zum Abschluss kehren wir in der Wurstkuchl ein und können bei Bratwurst und Kraut ausländischen Touristen zuschauen, was denen so zur Handhabung von Würstchen, Kraut, Brötchen und Senf einfällt. In der Dämmerung streifen wir durch die restlichen Gassen, bis es anfängt zu regnen. Zur Geschichte von Regensburg wollen wir nichts weiter berichten, dazu kann man genug in Führern und Wikipedia nachlesen; wir wollten eher die Atmosphäre spüren. Die ist angenehm locker in lebendigem historischem Ambiente, das nicht überrenoviert ist, mit einer Stadt, die auch heute wirtschaftlich erfolgreich ist. Es geht hier eher um das ganze Stadtbild und die historische Aussage als um spezielle herausragende Sehenswürdigkeiten, von der steinernen Brücke mal abgesehen. Andererseits merken wir: es fehlt der Reiz der Aufgaben unserer Ideengeber oder auch eigener Erinnerungen. Da haben wir keine Fragestellungen, die außergewöhnliche Begegnungen und Erlebnisse induzieren und die Orte eher nebenbei, aber intensiver und aus anderem Blickwinkel näherbringen. So bleiben uns nur das Rumsuchen in touristischen Informationen und mehr oder weniger gut gewählte Spazierwege, auch mal entspannend, das ganze Reisejahr hätte das sicher nicht getragen.

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3. September: in den Böhmerwald und nach Regensburg

Grenzüberschreitung: mit der neuen Ilztalbahn und Bus zur tschechischen Grenze, Bahn nach Vimperk, von Lipka zurück über Passau nach Regensburg

Bei der Ankunft in Passau haben wir einen Prospekt der Ilztalbahn entdeckt, die seit 16. Juli 2011 die stillgelegte Strecke reaktiviert hat und am Wochenende fährt. Beim Studieren sehen wir, dass das der gesuchte Ausflug in die Tschechei ist: mit der Bahn bis Waldkirchen, mit dem Bus an die Grenze nach Nové Údolí, dann weiter mit tschechischen Zügen, mit einem gemeinsamen Donau-Moldau-Ticket. Der Zug in Passau startet mit sechs Minuten Verspätung, das Füllen dauert lange, am Ende ist der Doppeltriebwagen komplett voll mit Fahrgästen und Fahrrädern. Der Zug dient als Lift: rauf in den Bayerischen Wald, und dann runter mit dem Fahrrad, das wird offenbar bestens angenommen, besonders bei dem heutigen Wetter, der Nebel hat sich gerade gelichtet. Die Auffahrt ist landschaftsnah, die eingleisige Strecke führt über die Donau in Kurven durch Felseinschnitte, über kleine Brücken und Wiesen oder mitten durch dunkle Wälder, die Bahnhöfe zeugen von vergangenen Zeiten. Durch die vielen Gäste steigt die Verspätung; der Bus wartet zwar, er kann aber nicht mehr aufholen, der tschechische Zug ist weg, es fährt nur stündlich einer, und das abwechselnd in die beiden Richtungen Winterberg oder Budweis über den Moldau-Stausee und Krumau. Dadurch haben wir Zeit, die Installationen auf tschechischer Seite zu betrachten. In dem kleinen Museum im Eisenbahnwaggon treffen wir auf ein Plakat aus dem zweiten Weltkrieg, dessen Slogan “Räder müssen rollen für den Sieg” wir in Fritzlar überpinselt am Bahnhofsgebäude gefunden hatten. Wir finden eine Wanderkarte, die ganze Gegend in 1:75000 hochdetailliert für 3,29 €. Jetzt lässt sichs planen, direkt von der Grenze sind die Strecken zu anderen Bahnhöfen zu aufwendig, das entscheidet über die Richtung: der nächste Zug fährt Richtung Prachatice, wir steigen in Volary um nach Vimperk. Die kleinen Triebwagen sind ähnlich modern wie die deutschen, auf der offensichtlich belebteren Strecke nach Budweis fahren sogar Doppelstockwagen. Die böhmische Seite des Waldes ist also bahnmäßig viel besser erschlossen als die deutsche, die Linien sind gut vernetzt. Geschwindigkeitsrekorde sind allerdings nicht zu erwarten, dafür Fahrten durch einsame Hochmoore und Ausblicke; unser höchster Bahnhof ist Kubova Hut’ mit 995m, wahrscheinlich der höchste unseres Reisejahres, allerdings nicht in Deutschland und außerhalb der Bahncard 100. Die Schienen sind weniger komfortabel, sie sind geschraubt und entsprechend rumpeln die Stöße. Es ist ein Erlebnis, Deutsch klappt gleich hinter der Grenze nur noch selten, Englisch besser, in Euro rechnet allerdings jeder um, und Speisekarten sind dafür meist in Deutsch. Zuerst haben wir eine Bergtour Kubova Hut’ nach Zaton über den Boubin mit 1362m ins Auge gefasst, das dürfte aber knapp werden und es gibt keine Einkehr. Wir specken ab und fahren weiter nach Vimberk. Hier gibts wenigstens einen Ort zu sehen, und wir haben die Wahl beim Rückweg nach Kubova Hut’ oder kürzer nach Lipka. Vimberg hat ein Schloss aus dem 13. Jahrhundert, es liegt malerisch oben am Berg, der Ort zieht sich aus dem Flusswinkel bis zum Schloss. Schönheiten im deutschen Sinne sind hier nicht zu erwarten, das Ortsumfeld zeigt etliche Plattenbauten, alte Garagen und unrenovierte Häuser, auch die teilweise ganz schöne Altstadt ist nur stellenweise saniert. Hier gibts eben kein Westdeutschland oder Solidaritätszuschlag, nur EU-Infrastrukturmittel für Bahnhöfe und Straßen. Die Wanderwege in der Karte sind bestens zu finden, die Farbmarkierungen einfach, eindeutig und gut zu finden. So kommen wir locker durch Vimberk und finden gleich ein Lokal zum Einkehren, Bier, Wein, Linsensuppe und Apfelstrudel zu tschechischen Preisen, guter Einstieg. Es geht bergauf, wir bekommen einen super Blick auf Vimperk und wandern durch Wald, Feld und einen kleinen Ort mit oftmals schönen Panoramen und noch besserem Wetter gemütlich nach Lipka. Dort reichts für ein Getränk, dann fährt der Zug pünktlich zurück. Diesmal ist es ein ganz alter Triebwagen, der an unsere früheren Schienenbusse erinnert, funktioniert aber und hat was nostalgisches. Mit einmaligem Umsteigen kommen wir wieder an die Grenze, die eineinhalb Stunden bis zur Abfahrt des Busses nutzen wir zum einfachen tschechischen Abendessen im einzigen Gasthof, passt scho. Jetzt ist der Bus pünktlich und fast voll, wir fahren dem orangenen Sonnenuntergang durch den bayerischen Wald entgegen. In Waldkirchen am Bahnhof reichts zu einem kurzen Gespräch mit einem Mitglied des Betreibervereins. Die Kalkulation würde bisher super aufgehen, man sei überwältigt von der Nachfrage, der Morgenzug sei mit den Anschlüssen noch ein Problem, besonders wenn wie bei uns heute eine Gruppe von 80 Leuten angemeldet ist, dazu die vielen Fahrräder. Das will man noch verbessern. Wir finden solche Initiativen äußerst begrüßenswert, zumal sich dem Ausflügler auf tschechischer Seite ein vollständiges Bahn-Netz mit jeder Menge Wanderwegen bietet. Bei der Bahnfahrt wird es komplett dunkel. In Passau treffen wir zusammen mit einem Dampf-Sonderzug ein, sammeln unser Gepäck ein und fahren eine halbe Stunde später weiter nach Regensburg, wo wir heute übernachten. Wir haben ein Hotel direkt am Dom in alten Häusern gefunden. Wir blicken aus dem Fenster im vierten Stock frontal auf das Domportal mit den Türmen, unter uns der Platz voll mit Cafés, alles belebt. Da setzen wir uns noch bis nach Mitternacht dazu.

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Bericht in der Passauer Neuen Presse

Heute morgen, in der Samstagsausgabe, ist ein großer Bericht über unser Projekt und unsere Spurensuche vorgestern in Passau erschienen, wir haben ihn noch am Ort gelesen, ein seltener Fall. Passau ist wirklich schnell.
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2. September: Ausflug nach Bad Füssing und Pocking

Bad Füssing: Europs größtes Kurbad?, Pocking: Schweinsbraten

Nach dem Frühstück gibts ein lockeres Gespräch mit der Passauer Neuen Presse, unser Projekt stößt auf deutliches Interesse. Wir steuern ein Foto bei, jetzt sind wir auf den Artikel gespannt. Wir planen den Rest des Reiseabschnittes und starten mit dem Bus nach Bad Füssing. Davon haben schon viele erzählt, wir wollen uns diesen Hype mal ansehen. Vorrecherchen ergeben, dass der Thermalbetrieb erst in den 60er Jahren gestartet und sich bis in die 80er voll entwickelt hat. Mit Historie hat das also nichts zu tun, Basis ist eine bei anderen Bohrungen zufällig entdeckte sehr starke, 56° heiße Thermalquelle, die per Ringleitung in vier öffentliche Thermen und weitere private Kureinrichtungen verteilt wird. Bad Füssing entstand dann 1971 durch Zusammenlegung mehrerer kleiner Gemeinden mit vormals landwirtschaftlicher Struktur. Beim Durchlaufen durch den kleinen Ort treffen wir nur auf Kureinrichtungen: Pensionen, Appartmenthäuser, Kurmittelhäuser. Alle freistehend, nicht hoch, aus den letzten Jahrzehnten, ohne jeden Charme, wahrscheinlich zweckmäßig. Die angebotenen Appartments sind recht groß und günstig; die Möblierung ist allerdings noch hässlicher als die Häuser selbst, da würden wir nicht geschenkt drin wohnen wollen. Überhaupt begegnet uns hier nur sehr Gewöhnliches, dafür äußerst Aufgeräumtes. Irgendwie Appartmentstil wie an der türkischen Küste, nur nicht so groß und noch steriler. Nichts da, was uns interessiert, dafür alles da, was uns nicht interessiert. Wir sehen uns die katholische Kirche von 1964, einen modernen Bau mit spitzem Schiff von 1964, und die kleinere evangelische, ein Sichtbetonbau von 1972, an. Die letztere könnte uns in ihrer schlichten Quaderform (Motto: Ein feste Burg …) gefallen, hätte man nicht die eine Ecke 1991 schräg mit einer modernen Orgel mit Prospekt aus rötlichem Holz und die noch freien Wände 1994 mit fünf möglichst großen quadratischen abstrakten Bildern eines bekannten Malers vollgestopft und so versucht, die Kirche gefälliger zu machen. Es gibt viele Geschäfte bis zu Kaufhäusern, die Mode ist extrem bieder, dafür viel davon. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass das der Massengeschmack ist, schließlich kommen hier viele Selbstzahler hin. Entsprechend ist auch das große Kulturprogramm: Stars, Volksmusik, Leichtes, Altbekanntes. Der Ort wird in manchen Publikationen als das größte Heilbad Europas bezeichnet; mit allen Ortsteilen knapp 7000 Einwohner, aber über 14000 Gästebetten und über 2,6 Mio. Übernachtungen im Jahr. Wir suchen noch nach dem Reiz des Ortes. Sind es die vielen Golfplätze drumrum, der nahe Inn mit Auenwald, oder das letzte erhaltene und skurril mit allen möglichen alten Gerätschaften behängte Bauernhaus am Markt des Ur-Ortsteils Safferstedten, das wie ein Relikt wirkt, oder das Romantikhotel gegenüber mit Bächlein davor? Die Parks sind langweilig, Rasen mit Bäumen und ein paar Bänken und mal ein Teich, dafür sehr aufgeräumt. Im Kurpark kommen einige bunte Beete und Hecken dazu. Die ganze Architektur besteht aus relativ phantasielosen 70er-Jahre-Betonbauten, auch die große Spielbank und die Kurhäuser. Vielleicht liegt der Reiz auch in den vier riesigen Thermen, alle mit einer wahren Erlebnis-Landschaft an Außenbecken. Für uns ist das hier jedenfalls gar nichts, es dürfte mit der reizloseste Ort des Reisejahres gewesen sein. Am Nachmittag fängt es wieder so an zu regnen wie gestern, wir sind passend in der Nähe eines Cafés und nehmen Kaffee und Kuchen zu uns, das ist hier allerdings recht preiswert. Wir sitzen hier etwas länger als geplant, bis der Regen erträglich wird, und laufen dann noch durch den Kurpark und nehmen den Bus 90 Minuten früher, und stoppen in Pocking, dem Startpunkt unseres Reisejahres. Damals wollten wir die Mutter eines Ideengebers besuchen, wir trafen sie nur an der Tür, sie hatte Besuch und hatte uns eingeladen, nochmal auf einen Schweinsbraten zu kommen. Und dann ist sie im Januar plötzlich gestorben! Nun können wir sie nur noch auf dem Friedhof besuchen, finden ihr Grab, beten und zünden bei jetzt aufkommender Sonne ein Licht an. Es stimmt schon nachdenklich, wie sich Situationen so plötzlich und unerwartet ändern können. Wir gedenken ihr mit einem Besuch im Pockinger Hof, den wir am 10.10.10 schätzen gelernt haben, und essen einen vorzüglichen Schweinsbraten und Weißwürste, alles ungeheuer preiswert und bayrisch, wenn auch zur falschen Tageszeit. So erreichen wir den Zug nach Passau, der gemütlich in der Abendsonne in Schleifen durch kleinste Orte zuckelt, die österreichischen Orte am Hang auf der anderen Innseite im Hintergrund, mit langsam aufsteigendem Nebel. So sind wir endlich einmal früher im Zimmer, die Texte machen Fortschritte, und wir können vielleicht etwas früher schlafen, so lang waren die Nächte bisher ja nicht, und morgen haben wir ordentlich was vor.

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1. September: Passau

Passau (Ziel: Ursula Gottschling): Schiffsfahrt, Stephansdom mit Orgelkonzerten, Altstadt, Klostersuche

Ich nutze morgens das Schwimmbad, das zwar nicht mehr ganz modern, aber geräumig und in gutem Zustand ist, das wird meine nächsten Tage sicher auch eröffnen. Beim Frühstück fehlt nichts. Der Wetterbericht zeigt keinen Tropfen für Passau, ich lasse den Regenschirm da. Wir wollen vor dem Mittagskonzert die Drei-Flüsse-Schiffsfahrt machen, aber irgendwo vertrödeln wir zwei Minuten, um 11:01 ist das Schiff beim Ablegen. Wir disponieren um und zielen auf das Dreiflüsseeck. Auf dem Weg kommen wir am Kloster Niedernburg vorbei. Unsere Ideengeberin Ursula Gottschling hat uns von ihrer Behelfsgrundschule 1949/50 in einem Kloster erzählt, wir vermuten das hier, weil hier ein Gymnasium im Komplex ist. An der Pforte sitzt eine sehr nette Schwester, die eine Grundschule glaubhaft verneint, zumal sie uns sagen kann, wo die Nibelungenhalle, die der Schilderung nach gegenüber steht, gestanden hat: auf dem Nibelungenplatz. Das nehmen wir uns für später vor. Auch die Gassen hier in der Spitze sind historisch; der recht einheitliche barocke Inn-Salzach-Stil dürfte aus der Zeit nach dem Stadtbrand 1662 stammen. Die Spitze ist eine baumumrandete Rasenfläche, am Donaufer liegen bis vorne die großen Donau-Kreuzfahrtschiffe, die wir aus Mannheim kennen, sie befahren also alle den Rhein-Main-Donau-Kanal. Sehr schön ist das höhere Tempo und die momentan graue Farbe des Inn zu erkennen, die Wasserfarben mischen sich langsam. Es ist eine imposante Ecke, die durch die Vesten Oberhaus oben am anderen Donauufer, Niederhaus unten auf der gegenüberliegenden felsigen Mündungsspitze der braunen Ilz und die umliegenden steilen Hänge bestimmt wird. Wir promenieren ein Stück am Inn entlang und dann in die Gassen hoch auf den 30 Meter hohen Domhügel, das geistige Zentrum der Passauer Fürstbischöfe bis 1803. Immerhin kommen wir zum täglichen Mittagskonzert im Stephansdom pünktlich; von anwesenden mindestens 400 Zuhörern sind wir überrascht und finden gerade so einen akzeptablen Platz unter der Kanzel. Mehr erfahren wir bei der Einführung: fünf Orgeln, drei hinten, eine in der Mitte auf dem Dach mit einem Klangloch in der Decke, eine vorn im Altarraum, alle spielbar von einem Tisch ergeben mit 17974 Pfeifen die größte Orgel der Welt in einer katholischen Kirche. Der Klang ist mächtig und beeindruckend, die ganze Kirche ist erfüllt. Wir schließen sofort die Kirchenführung mit Anneliese Hertel an. Sie erklärt noch mehr zur Orgel: die längste Pfeife 11,3m und 16 Hz, die kürzeste 6mm und 16 kHz. Die Deckengemälde wurden haltbar in den nassen Putz “al fresco” gemalt und stellen insgesamt eine bildliche Armenbibel für Leseunkundige dar, bei der die Farben inhaltliche Bedeutungen hatten. Die Kanzel mit allen Figuren ist, wie vieles, mit Blattgold überzogen, dafür wurden nur 300 g Gold benötigt. Stuckherstellung, weinende Engel, die Größe der gemalten Gesichter und die notwendige Perspektive beim Malen in den Kuppeln werden anschaulich erläutert. Das geschieht mit Funkkopfhörern, ist interessant und hochprofessionell. Wir nehmen den zweiten Anlauf zur Schiffsfahrt, diesmal klappt es, dafür fängt es an zu tröpfeln, und der Regenradar deutet an, dass Passau noch länger am Rand des südlichen Regengebiets liegen wird. Da war es doch nicht so schlau, den Regenschirm zu Hause zu lassen, das kriege ich auch deutlich gesagt, obwohl Marlis ihren regenfesten Mantel mit hat und nur ich nass werde. Die Blicke vom Schiff auf Stadt, Kreuzfahrtschiffe, Mündungsspitze und Festungen sowie die Wallfahrtskirche Mariahilf mit ihrem überdachten Treppenaufgang sind ausgesprochen malerisch, imposant die Mischung der drei Wassermassen. Wir kommen rechtzeitig zur Stadtführung, die macht jetzt der Ehemann der Kirchenführerin, Hilmar Hertel. Er erzählt uns einiges über Fürstbischöfe, Stadtbrand, Rathaus, Salzhandel und die schon immer intensiven Beziehungen zu Österreich und Italien, alles wegen dem Regen eher aus Torbögen, die Herr Hertel alle kennt. Bei der Säkularisierung 1803 landete Passau dann eher unfreiwillig in Bayern, jetzt sei man aber aktiv bayrisch. Das hört man, es klingt allerdings nicht ganz so wie in Oberbayern, wir sind eben in Niederbayern, mit Hang zu Österreich. Die Führung begleitet er mit gelungenen, trockenen, zum Thema passenden Sprüchen. Alles erzählt er, ohne mit der Wimper zu zucken wie als Abschied zum Regen: “Petrus ist ein alter Mann, er kann das Wasser nicht mehr halten”. Jetzt greifen wir erstmal eine Empfehlung auf für ein Café, der Kuchen ist gut, das Ambiente weniger. Das Wetter bessert sich, wir machen uns auf zum Kloster St. Nikola. An der Pforte sitzt eine alte Schwester, sie kann sich nicht vorstellen, dass hier Anfang der 50er provisorisch eine Grundschule untergebracht war. Wir halten es trotzdem für wahrscheinlich, alles passt: das Kloster, draußen die moderne grüne Platzanlage, der Klostergarten, war vorher Parkplatz, an der Stelle des “Stadtturm”, einem neunstöckigen Verwaltungsbau, und der Einkaufsgalerie Nibelungencenter stand bis 2005 die Nibelungenhalle von 1935 im Nazi-Stil, bekannt für Veranstaltungen der CSU und NPD. Heute ist der Eingang zum Kloster gleichzeitig Eingang der Universität, die sich weiter am Fluss Inn entlangzieht, und oberhalb liegt die Passauer Löwenbrauerei. Wir gehen weiter zum damaligen Wohnhaus unserer Ideengeberin, zur Spitalhofstr. 11, nur einen Kilometer von hier, dort ist ein entsprechend altes Haus, aber nur zwei Stockwerke hoch, gehört dem früheren Blumenladen Merkbach gegenüber, das passt nicht, bestätigen uns Anwohner. Dahinter hat früher noch ein Haus gestanden, auch nicht höher. Im weiteren Verlauf der Straße gibt es Reihenbebauung in der passenden Höhe, da könnte es dann aber jedes Haus sein. Mehr Daten haben wir nicht, also belassen wir es bei Fotos. Ansonsten ist die Gegend hier eher einfache Wohngegend ohne Besonderheiten und ohne den Charme der Innenstadt. Wir gehen flott zurück zum Dom, wir wollen das wöchentliche Abendkonzert um 19:30 hören und einen guten Platz bekommen. Das gelingt uns, in der Wartezeit wächst der Text. Diesmal spielt der Domorganist Ludwig Ruckdeschel zusammen mit dem Posaunisten Paul Zauner neben klassischen Orgelstücken Improvisationen. Wir sind begeistert und vertieft in die Musik, die Orgel erfüllt die ganze Kirche mit einer gewaltigen Dynamik, die Posaune setzt interessante Akzente. Zum Essen haben wir uns die Stiftschenke ausgesucht. Die Historie des Hauses reicht bis 1358, die Einrichtung ist alt und stilvoll-gemütlich, die Stube gut gefüllt, die Speisekarte regional, die Weine aus eigenen Gütern in Österreich, die Bedienung aufmerksam. Wir haben gerade bestellt, da nehmen am Tisch gegenüber die Solisten des Abends mit Familie Platz, wir erkennen sie aus dem Programmheft und am Posaunenkasten. Der Sohn des Posaunisten interessiert sich für meine Forelle Wiener Art, die auf dem Bauch auf dem Teller steht, so kommen wir in Kontakt. Nach dem Essen setzen wir uns auf einen Wein rüber, es entwickeln sich spannende Gespräche über unser Projekt, wir erfahren, wie Herr Ruckdeschel zum Organistenberuf und nach Passau gekommen ist, es geht um religionsphilosophische Fragen, und wir erfahren vom “INNtöne.com Jazzfestival – Jazz am Bauernhof von Paul Zauner”, das hört sich spannend an, wir nehmen das auf unsere Agenda. Marlis sammelt Autogramme ein, ein echtes Schmankerl für unsere Ideengeberin, die letztendlich die Begegnung ermöglicht hat. Glücklich über diese bereichernde Begegnung verabschieden wir uns und beenden spät diesen insgesamt sehr gelungenen Tag. Da lässt es sich verschmerzen, dass die Texte des Tages mal wieder liegen bleiben – irgendwann habe ich immer alles wieder aufgeholt.

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31. August: nach Passau

Passau: Anfahrt und erster Eindruck beim Rundgang durch die Altstadt

Am späten Vormittag starten wir bei angenehmem Wetter pünktlich und kommen fünf Stunden später ebenso pünktlich in Passau an. Kleine Fahrplan-Irritationen in Frankfurt holt der ICE wieder ein. Unser Hotel direkt gegenüber dem Bahnhof ist schon etwas in die Jahre gekommen und hat bei guter Ausstattung einzelne aus dem Rahmen fallende Schwächen. In den jetzt noch laufenden bayrischen Sommerferien steigen hier viele Fahrradfahrer auf dem Donauradweg ab.
Wir starten Richtung Altstadt; der Bereich um den Bahnhof ist ein unattraktives Sammelsurium modernerer Bauten. Das ändert sich schon nach 300 Metern, als wir in die Altstadt kommen: viele Fußgängerzonen, schmale Straßen bis zu engsten Gassen mit dickem Kopfsteinpflaster, durchsetzt mit barocken Kirchen und gesäumt mit alten, sehr abwechslungsreichen, vierstöckigen pastellbunten Steinhäusern im Inn-Salzach-Stil, den wir schon aus Mühldorf am Anfang des Reisejahres kennen. Hier ist er noch schöner, die Stadt erscheint mächtig, aber freundlich, fast toskanisch. Dazu kommen dir Flüsse: die spitze Innenstadt liegt auf der Zunge zwischen der nördlich fließenden Donau mit eher uninteressantem Ufer voll mit Touristenschiffen und dem darin mündenden Inn mit lauschiger autofreier Promenade. Es dämmert, die Sonne geht schon um 19:30 über dem steilen Nordufer der Donau unter. Nach unserem Rundgang landen wir in der schmalen Höllgasse nahe dem Rathaus in einem alten Bio-Wirtshaus, genießen zünftiges lokales Bier, Lüngerl und steirischen Salat. Die Steiermark ist beim Wein ebenso gut vertreten. Die angenehme Atmosphäre hebt die Laune, die Energie reicht noch, um den heutigen Text fertigzubekommen.

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Bericht zu Neustadt in der Rheinpfalz

erschienen in der RHEINPFALZ Mittelhaardter Rundschau am 31.08.2011

Auf den Spuren der Erinnerung
Ein Ehepaar aus Ludwigshafen besucht Orte und Stätten, die Freunden besonders viel bedeuten – Reise mit der Bahn wird Kunstprojekt

Von Marika Schiller

Erinnerungen anderer Menschen nachspüren, zu ihren Sehnsuchtsorten reisen und dabei zu sich selbst kommen – die Eheleute Marlis Jonas und Joachim Krueger aus Ludwigshafen brechen seit fast einem Jahr immer wieder auf, um mit der Bahn an Orte zu fahren, die Freunden und Bekannten etwas bedeuten – wie zuletzt Neustadt. Ein kreatives Projekt mit Nebeneffekten.

Mit nagelneuen roten Sandalen an den Füßen die Stadt entdecken. Auf dem Heimweg von der Schule dem Läuten der Kirchenglocken lauschen und den Marktfrauen Grimassen schneiden. Sich die Nase am Schaufenster platt drücken und die Biskuit-Teilchen zu 25 Pfennig beim Bäcker betrachten. Im Turm der Stiftskirche wohnte damals noch der Türmer mit seiner Familie; die Konfirmanden sammelten Geld für neue Glocken, der Zirkus kam noch aus Paris und die Winzinger Kerwe wurde als „das höchste Fest” im Jahresverlauf gefeiert. Das sind beispielsweise solche Erinnerungen aus dem Freundeskreis. Das ist Neustadt, gesehen mit den staunenden Augen eines heranwachsenden Mädchens, das seine Kindheit bis dahin im „hintersten Odenwald” verbracht hatte und in den 1950er-Jahren Neustadt als neue Heimat erlebte.

60 Jahre später hat die junge Frau von damals sich an ihre Schreibmaschine gesetzt und sie für Jonas und Krueger aufgeschrieben, für ein Projekt, das ihr gefällt. Viele Menschen hatten es ihr seit 2008 gleich getan. Hatten zurückgeblickt auf ihr Leben, sich erinnert, sich gesehnt und ihre Geschichten in ganz unterschiedlicher Form den Initiatoren des Projekts preisgegeben.

Sie in wenigen Sätzen auf einen Zettel notiert oder ausführlich beschrieben, mit Skizzen und Bildern versehen. „Schon an diesem Punkt beginnt die kreative Auseinandersetzung mit dem Thema Erinnerungen”, sagt Marlis Jonas, „für den Ideengeber und für uns.”

1948 in Dortmund geboren, studierte Jonas bildende Kunst und Werkerziehung, arbeitete als Kunsterzieherin und seit 1998 als freie Fotografin. Zum jüngsten Projekt inspirierte die heute in Ludwigshafen lebende Künstlerin ihr Mann, der beruflich oft mit der Bahn unterwegs ist und der als zahlenaffiner Diplom-Mathematiker ein besonderes Talent im Organisieren besitzt. Denn nur selten sind ihre Reisen, wie jene die sie jetzt nach Neustadt führte, Tagesausflüge. Oft verbindet das Paar verschiedene Sehnsuchtsorte miteinander, wie Waren an der Müritz inmitten der Mecklenburgischen Seenplatte mit der Hansestadt Wismar und der Ostseeinsel Poel.

„Eine Machbarkeitsstudie erstellen”, nennt Krueger den Versuch, jeweils drei bis fünf Ziele zu verquicken und dafür Fahrpläne zu studieren, nach Übernachtungsmöglichkeiten zu suchen und gedanklich den schon einmal den Ort zu skizzieren, nach dem sich der jeweilige Ideengeber sehnt. Wobei Letzteres nur vage erfolgt. „Schließlich wollen wir uns dem Moment überlassen, die Erinnerungen als Fixpunkte zwar, aber als nichts Statisches verstehen”, sagt Jonas. Ihr Reisegepäck ist stets so leicht wie möglich, ob es nun nach Berlin gehe oder nach Neustadt. Immer dabei: Kamera und Stativ, GPS-Gerät, Handy, Computer, Drucker und Ladegeräte.

Für ihr Projekt „Bahn-Zeit-Reise” sind Jonas und Krueger bislang mehr als 32.187 Kilometer mit dem Zug gefahren, haben 997 Kilometer zu Fuß und 100 Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt, waren auch mit Fähre, Tretboot oder Schiff unterwegs. Es existieren unzählige Fotos und Reiseberichte sowie Tonaufzeichnungen.

„Reisemüde sind wir dabei keineswegs geworden”, sagt Jonas, denn „die Erkundungen führen uns doch im Wesentlichen zu uns selbst.” So hat sie auch die Neustadt-Geschichte in die eigenen Nachkriegsjahre geführt, als auch sie Kinder waren. Und dazu an einen Ort, der ihnen nicht unbekannt war, den sie aber jetzt mit anderen Augen gesehen haben.

Wie alle 54 Ideengeber zuvor, wird auch die Neustadterin eine Postkarte erhalten. Zu sehen ist darauf das Ehepaar Jonas-Krueger in Neustadt (deshalb der Drucker im Gepäck). Die Grüße auf der Rückseite beginnen immer mit denselben Worten: „Wir sind auf deinen Spuren…”. Exklusiv ist dieses Mal die Beilage an eine besonders süße Erinnerung, eine Kostprobe aus dem Schaufenster der Confiserie Michel.

Noch Fragen?

Marlis Jonas und Joachim Krueger wollen die Erfahrungen während ihrer Reisen in einem weiterern Projekt aufarbeiten. Eine ausführliche Projektbeschreibung, Berichte und Fotos gibt es im Internet auf www.bahn-zeit-reise.de

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25. August: Neustadt an der Weinstraße

Tagestour nach Neustadt (Ziel: Johanna): Stadt, Stiftskirche, Haardter Schloss

Heute haben wir – besser Marlis – das größte Medieninteresse bisher losgetreten: Schon zu Hause besucht uns der Fernsehsender “Offener Kanal Ludwigshafen OK-TV”, der uns bis in die Stiftskirche begleiten wird, später haben wir ein Gespräch mit der Zeitung “Die Rheinpfalz” und am Ende treffen wir uns mit dem Radiosender “Antenne Pfalz”. Wir versuchen, uns so weit wie möglich nicht durch der Anwesenheit von Medien bei unserem üblichen Vorgehen beeinflussen zu lassen, wir reden natürlich miteinander, aber nehmen keine Rücksicht. Die Anfahrt nach Neustadt an der Weinstraße ist denkbar einfach: 30 Minuten mit der S-Bahn ohne Umsteigen. Unsere Ideengeberin Johanna (Name geändert) hat uns aus ihren fünf Jahren Neustadt Anfang der 50er Jahre einige Stichworte geliefert, die wir auf einem Zettel vorbereitet haben, auf der Fahrt bringen wir sie in eine mögliche Reihenfolge. Wir beginnen gleich gegenüber dem Bahnhof mit der gut ausgestatteten Touristen-Information und fragen nach den Festen in Neustadt. Die Winziger Kerwe an der Wiesenstraße im Juli als damals größtes Fest mit Feuerwerk gibt es seit zwei Jahren nicht mehr, heute ist das deutsche Weinlesefest das größte, dazu kommen noch diverse Weinfeste, auch in den Ortsteilen. Wir haben ausführliches Informationsmaterial mitgenommen, so fällt uns der lustige Elwedritsche-Brunnen auf, in dem sich die Pfälzer Fabelwesen gegenseitig bespritzen. Die erwähnten guten Torten sind uns sowieso ein Anliegen, unser Weg führt uns daher gleich bei der Confiserie Michel vorbei, die seit sechs Jahren von Konditormeister Jochen Müller geführt wird, den wir schon lange von Slowfood kennen. Er steht persönlich im Laden, ich nehme schon mal zwei Kugeln Eis mit – wirklich himmlisch, besonders Zitrone mit Holunderblüten. Neustadt ist uns eigentlich bekannt, da um die Ecke, so genau haben wir jedoch noch nie hingeschaut. Wir entdecken die üblichen Bausünden, die sich immerhin an die alte Straßen- und Gassenstruktur anpassen; viele schöne Fachwerkhäuser und Steinhäuser aus dem 19. Jahrhundert prägen jedoch das malerische Stadtbild. Exemplarisch gehen wir durch die Hintergasse mit immer noch vielen Lokalen. Auf dem Weg führt Marlis spontan und zur Idee passend Interviews in einem Handarbeitsladen und auf dem Wochenmarkt. Das gute und preiswerte Lokal von damals, den Gasthof zur Post mit Kopfsteinpflaster-Passage und Steintrögen finden wir erkennbar wieder, auch das Essen stimmt, heute wird es von einem Pfälzer Griechen geführt, der es locker hinbekommt, in der knappen Zeit das Mittagsgericht zu servieren, während uns die “Rheinpfalz” ausfragt. Mit dem evangelischen Pfarrer der Stiftskirche Oliver Beckmann sind wir verabredet, er ist erst ein Jahr in Neustadt, intensiv mit der Sanierung der Kirche beschäftigt und plant Angebote im Rahmen einer “offenen Kirche”, da der Eingang direkt am touristisch zentralen Marktplatz liegt. Er hat die Kirchenführerin Helga Gutermann mitgebracht, die schon hier konfirmiert wurde. Die Kirche ist eine Doppelkirche, direkt hinter dem Altar ist eine Mauer eingezogen, der östlich liegende Chor dahinter ist katholisch. Aktuell ist der Boden der Kirche entfernt, darunter sind Grabplatten aus dem 14. Jahrhundert aufgetaucht. Die Kirche in der heutigen Form geht auf die Wittelsbacher Kurfürsten Rudolf II. und Ruprecht I., den Gründer der Universität Heidelberg, zurück. Die gotische Kirche wirkt ausgeräumt besonders mächtig, nichts lenkt vom Mauerwerk ab, nur das große moderne Gemälde auf der Trennwand sticht heraus, mit Motiven von Karfreitag, Ostern bis Himmelfahrt auf dem Regenbogen. Die Kirche hat entsprechend ihrer Bedeutung zwei Türme, ein städtischer Türmer war für Feuerwache und Zeit zuständig und wohnte in der heute nicht mehr genutzten Turmwächterwohnung in der Spitze des Südturms, der dazu umgebaut worden war. Der Glockenstuhl in beiden Türmen ist weitgehend ursprünglich, die meisten Glocken sind Nachkriegsmodelle, bei der größten bringen wir den Klöppel in Schwung und staunen über Lautstärke und Nachhall eines einmaligen Anschlags. Der Pfarrer begleitet uns weiter über den Treppenweg hinauf auf das Haardter Schloss, früher mit Café, heute in Privatbesitz und nur bei bestimmten Veranstaltungen zugänglich. Prof. Dr. Frank Sobirey ermöglicht uns die Besichtigung, wir dürfen durch den Park streifen und an der höchsten Stelle in den Veranstaltungssaal und vom Ecktürmchen über Haardt zu Füßen in die Weite der Rheinebene mit großen Weinflächen und zur Rückseite in das enge Meisental schauen. Wir verabschieden uns von Herrn Beckmann und steuern das Traditionscafé Bassler an, diesmal Torte mit Wein. Auf der Gasse sitzend haben wir ein gutes Gespräch mit der jungen Reporterin der “Antenne Pfalz”, die aus Düsseldorf kommt und sich hier wohlfühlt. Das Café ist etwas in die Jahre gekommen, ein paar Innovationen könnten nicht schaden. Es ist den ganzen Tag ordentlich heiß und schwül, die Sonne zeigt sich kaum, wir bekommen aber nur jetzt ein paar Tröpfchen zu spüren. Wir gehen nochmals bei Jochen Müller vorbei, er hat zwar schon zu, sieht uns aber, stellt uns seine Backkurse für Kinder vor, verkauft uns gerne von seinen ausgefallenen Torten und ergänzt diese mit einem vorzüglichen Gugelhupf; gleich essen geht aus Kapazitätsgründen nicht. Die Marktfrau hat uns die “Schwarze Katze” empfohlen, ebenfalls ein traditionsreiches Café, seit einigen Wochen neu eröffnet und stilvoll modern eingerichtet, wo wir den gelungenen intensiven Besuchstag mit einem Pfälzer Wein beschließen, um dann mit der S-Bahn zurückzufahren.

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22. August: Alfeld und zurück

Alfeld: Besichtigung Weltkulturerbe Fagus-Werk (Ziel: Marlis & Joachim), getrennte Rückfahrt

Die Fagus-Werke in Alfeld haben wir gemeinsam auf unsere Liste gesetzt, als wir die Fotoausstellung dieses 100 Jahre alten Industriebaus, dem ersten von Walter Gropius, bei unserem Besuch im Bauhaus-Archiv Berlin gesehen haben. Nach kurzem Frühstück rollen wir schwungvoll den Berg runter am Bahnhof vorbei zum Fagus-Werk und dürfen bei der Pförtnerin unser Gepäck unterstellen. Die Werksgebäude fallen sofort angenehm auf: Die leichten, großen Stahlfensterfronten in Anthrazit mit Backsteinen in Ocker findet man heute noch modern und angenehm. Die besondere Leichtigkeit kommt durch das Aufsetzen der Fenster auf die Front und die stützenfreien Ecken; die tragende Stahlstützenkonstruktion liegt dahinter und fällt in weiß nicht auf. Alle Gebäude sind funktional und zueinander passend ausgeführt. Der Gründer, Carl Benscheid, verstand sich ausgesprochen gut mit dem jungen Gropius und hat gedanklich besonders bezüglich der funktionalen Abläufe intensiv am Bau mitgewirkt. Die von ihm gegründete Schuhleistenproduktion besteht immer noch und beliefert namhafte Schuhhersteller; da heute Kunststoff statt Buche verwendet wird, hat sich die Produktion verändert, aus der Sägerei ist ein Konstruktionsbüro für den später dazugekommenen Bau von Holzbearbeitungsmaschinen geworden, die fünfstöckige, in verputztem Fachwerk mit durchlässigen Holzböden ausgeführte Holzlagerung und Trocknung ist jetzt komplett Ausstellung zu Architektur, Schuhleistenproduktion, Schuhmode und Weltkulturerbe. Seit den 80er Jahren haben die Nachfahren die Gebäude systematisch restauriert. Wir bekommen außerdem einen kurzen Einblick in die Produktion. Wir haben nur zweieinhalb Stunden für das Gelände, es reicht knapp. Wir kehren im Café mit einfachem Mittagstisch in der früheren Turbinenhalle ein und schauen uns noch genauer auf dem Gelände und im Haupttreppenhaus um, in dem die klare Formensprache von Gropius in Fenstern, Möbeln und Treppengeländern, alles nahezu original, bestens deutlich wird. Hiermit endet der gemeinsame Teil dieses vielleicht intensivsten Reiseabschnittes, Marlis fährt nach Norden über Hannover und mit nochmaligem Besuch ihrer Schwester in Dortmund zurück, ich wähle den direkten Weg nach Süden und nutze die Ruhe auf der sattsam bekannten Strecke, um mit den Texten des Abschnitts fertigzuwerden.

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21. August: Altena, über Föckinghausen nach Alfeld

Altena: Ortsrundgang (Ziel: Marlis) und Burgbesichtigung mit Jugendherbergsmuseum, Stopp in Bestwig mit Aufstieg nach Föckinghausen (Ziel: von mir) und Fahrt nach Alfeld

Wir haben erstaunlich gut geschlafen, es ist nachts richtig kalt geworden, morgens ist es trübe und Regen setzt ein. Wir bekommen ein einfaches Frühstück serviert, für den Preis war alles in Ordnung und irgendwie ausgefallen originell und griechisch herzlich. Der Regen wird nicht mehr zunehmen und bald vorbei sein, also starten wir: der Einfachheit halber mit allem Gepäck, rauf auf die Burg Altena, unser Hotel ist genau am Fuß der Auffahrt, und runter wollen wir direkt zum Bahnhof. Also teilen wir es so auf, dass wir beide gleich schnell sind: Ich ziehe beide Koffer, und Marlis fotografiert. So laufe ich gleichmäßig gemächlich vor mich hin und brauche keine Rücksicht zu nehmen, Marlis fotografiert und holt wieder auf. Draht und die lange Tradition der Drahtproduktion bestimmt die Stadt, in Geländern, Skulpturen, Symbolen. Das Drahtmuseum lassen wir links liegen; mit der Kombi-Eintrittskarte der Burg könnten noch in Jahrzehnten reingehen! Die Burg aus dem 12. Jahrhundert mit wechselvoller Geschichte ist in bestem Zustand, kein Wunder nach den vielen Bestimmungen und der Bedeutung: hier wurde 1909 vom Altenaer Lehrer Schirrmann die erste Jugendherberge gegründet, Ausgangspunkt für die ganze weltweite Bewegung. Entsprechend ist dieser Teil der Museumsräume der für uns interessanteste. Alles ist recht dunkel, die Matratzen der Stockbetten sind strohgefüllt, im Schlafraum für Jungen sind etwa 30 Betten, lange Tische im Aufenthaltsraum. Im Film werden die für die jeweiligen Zeiten als Errungenschaften geltenden Dinge erwähnt, wie hygienisch geflieste Waschräume mit fließend kaltem Wasser. Die anderen Räume durchgehen wir schnell: Jagd, Waffen, Rüstungen, Stadtbrände und ähnliches, nichts besonders neues, aber gut gemacht und vielfältig. 2013 soll durch einen alten Luftschutzstollen ein Erlebnisfahrstuhl vom Lenneufer direkt in den Burghof gebaut werden. Von den Wehrgängen bieten sich tolle Blicke in die schmalen, steilen Sauerlandtäler, in denen die Altenaer Häuser abenteuerlich am Hang kleben. Wir gehen von der Burg ins Nebental herunter, dort sind einige einfache Hanghäuser mit kleinen, steilen Vorgärten und vielen Treppen. Damit ist Marlis zufrieden, sie war als Kind 1954 in einem solchen Haus bei der Familie ihres Kindermädchens, leider gibt das einzige Foto, das sie davon hat, keine klaren Details wieder, die Schlüsse auf den Ort zulassen. Wir passieren einige Drahthersteller und kommen auf die Brücke über die Lenne und die Bahn mit nochmals bester Sicht hoch auf die Burg. Gegenüber vom Bahnhof ist eine bekannte Konditorei, die heute offen hat, wir decken uns mit Torte ein und nehmen dann den Zug nach Hagen, wo wir nach Bestwig umsteigen. Hier reicht es für genau zwei Stunden Unterbrechung: Etwa zwei Kilometer nördlich, auf der anderen Seite der Ruhr den Hang hoch, liegt Föckinghausen, ein Dörfchen mit wenigen Häusern, wo ich in meiner Essener Zeit, also vor 1965, ein- oder zweimal als Schüler in Ferien war. Das Bild des U-förmigen, dunkelbraunen, einstöckigen Holzbaues habe ich heute noch im Kopf, wohl weil mir eine Postkarte vor Augen schwebt, die es in einem meiner alten Alben geben müsste. Im Internet ist mir ein Caritasheim begegnet, kurz vor Ankunft in Google Maps noch ein Schullandheim. Die Wege in den Karten von Google Maps und Nokia sind recht umständlich; auf denen haben wir in der Zeit zu Fuß keine Chance. Also Augen auf nach Plänen am Bahnhof: Da hängt ein Stadtplan, da sieht man zwei nahe Brückchen über die Ruhr, das fotografiere ich ab, da entlang wäre die Entfernung machbar. Ein Taxi ist vor dem Bahnhof auch nicht zu sehen, hier hätten wir das gemacht. Das Gepäck werden wir in der Bahnhofsbäckerei los, die junge Dame hilft uns gerne, wir dürfen es auch noch in ihrer Aufräumzeit abholen, bestens. Also laufen wir los, wir sehen keinen Weg und folgen zwei Minuten einer Straße, die nicht ganz passt, da kommt uns ein Paar mit Kinderwagen entgegen, die fragen wir und bekommen kompetente Antwort: hinter uns am Bahnübergang gibt es einen unauffälligen Weg durch Fabrikzäune und einen Mustergarten, der neuerdings auf die Brücke führt. Wir bedanken uns und bekommen beste Wünsche für das “sportliche Unterfangen”. Wir finden den Weg, den Aufstiegsbeginn und ein Wanderzeichen mit Ziel Föckinghausen. Nach kurzer Zeit stimmt die fotografierte Karte nicht mehr, eine Baustraße zur Autobahnbaustelle durchschneidet alles, das Wanderzeichen können wir zum Glück verfolgen, nach kurzem Weg auf der Straße biegt es in einen Feldweg, der genau in die richtige Richtung steil bergauf führt. Wir gehen sehr schnell und schwitzen, wir wollen auf dem Hinweg keine vermeidbare Zeit verlieren, damit wir nicht unverrichteter Dinge abbrechen müssen. Nach genau 30 Minuten strammer Wanderung – ich ermittle hinterher 2,5 km und 170m Steigung, eine für uns stramme Leistung – kommen wir genau am westlichen Dorfrand aus dem Wald, und da liegt er, ich erkenne ihn sofort: der U-förmige Holzbau, es ist das Schullandheim des Pestalozzi-Gymnasiums Unna. Während wir begeistert fotografieren, treffen wir eine Hausangestellte, die uns sagt, das das Gymnasium schon seit 1958 der Träger ist, und viele Klassen und Gruppen aus der Umgegend schon seit damals hierher kommen, ich war also dabei, es war kein Kinderheim. Nur ein zentraler Eingangs- und Aufenthaltsanbau ist dazugekommen, der Sportplatz ist neu angelegt. Wir dürfen sogar in ein Zimmer schauen: Viererzimmer mit zwei Stockbetten und Waschräume, freundlich gemacht, aber einfach, so ähnlich dürfte es schon vor 50 Jahren gewesen sein. In der Viertelstunde, die wir Zeit haben, bekommen wir noch alte Postkarten gezeigt, sie erzählt uns, dass auch Ehemaligentreffen von heute 70-jährigen hier stattfinden. Wir sind total stolz darauf, dass uns das gelungen ist, und laufen in Ruhe wieder nach Bestwig runter. Die Bäckerei hat zwar offiziell schon geschlossen, in der Aufräumzeit bekommen wir noch einen Kaffee und die zwei in der Theke verbliebenen Stücke Käsekuchen. Jetzt folgt die nächste spannende Aktion: viermal umsteigen nach Alfeld, davon dreimal knapp. Der Zug nach Warburg hat sechs Minuten Verspätung, da haben wir allerdings länger Zeit; in Altenbeken, Holzminden und Kreiensen läuft alles auf die Minute pünktlich, wir fahren durch schönes Bergland mit Flüssen und einigen Fachwerkörtchen. In Alfeld starten wir gleich mit Gepäck in die Innenstadt, um noch was zu essen, und werden am Marktplatz im italienisch bewirtschafteten Ratskeller fündig, dem einzigen wirklich noch belebten Ort, wo wir wunderbar draußen sitzen können, es ist heute abend ungewöhnlich warm. Danach gehts in die Gegenrichtung, hinter dem Bahnhof den Berg rauf. Die Karte kennt die Hausnummer nicht; wir dürfen immer weiter steigen, bis wir am Ende der Straße am Waldrand angekommen sind. Im Hintergrund ist Wetterleuchten zu sehen, da kommt was. Auf dem Zimmer angekommen, donnert es schon. Wir haben einen Balkon mit Dachvorsprung, wir können uns trotz einsetzendem Regen raussetzen, Alfeld liegt uns mit beleuchtetem Kirchturm zu Füßen. So werden wir für den mühsamen Aufstieg belohnt, es folgt ein wahres Feuerwerk von Gewitter, auch die gegenüberliegenden Leineberge werden hell erleuchtet. Ein krönender Abschluss dieses intensiven Tages um Mitternacht!

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