Bericht in Gesundheitspress

Das Magazin Gesundheitspress hat in seiner Herbstausgabe 2011 auf Seite 24 über uns berichtet:

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26. September: über Senftenberg zurück

Senftenberg: zweieinhalb Stunden Rundgang und Spurensuche (Ziel von mir), Rückfahrt nach Ludwigshafen

Morgens verabschieden wir uns im Hotel. Das Zimmer war etwas größer als die einfachsten, aber nicht besonders ausgestattet, der Preis war im Vergleich hoch, das Frühstück ok, aber nichts besonderes, höchstens die Spreewaldgurken und der Kürbis. Auch die Bedienung ist hier etwas rustikaler. Marlis sagt das dem Hotelier, der reagiert etwas ungehalten und arrogant; seine Argumente gelten für andere, preiswertere Gegenden viel stärker. Aber Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis, offensichtlich – wir haben es erlebt – ist der Spreewald sehr beliebt, und das Hotel liegt an der Anfahrtstraße zu den Kahnhäfen ganz in der Nähe der Parkplätze, also extrem günstig. Als wir dann gehen, merkt der Hotelier, das er wohl etwas übertrieben hat, und schenkt uns eine Packung Spreewaldgurken, immerhin! Heute ist es warm, der Himmel blau, so kommen wir nach Senftenberg, ein Ziel von mir, der zweite Ort, wo ich nach der Wende eine komplette Datenverarbeitung in einem Getränkebetrieb installiert habe. Heute morgen habe ich recherchiert und bin auf eine Seite mit den Getränkekombinaten in der Gegend gestoßen: VEB Getränkekombinat Cottbus, darin VEB Getränke Senftenberg, Betriebsteil I Abfüllbetrieb Spremberger Str. 15, und Betriebsteil II alkoholfreie Getränke Briesker Str. 15 (vormals A. Braunwarth & Sohn KG, Fabrik alkoholfreier Getränke und Biergroßhandlung, 1976 enteignet). Der zweite Teil kommt mir bekannter vor, auf dem Stadtplan hatte ich die Straße schon vorher ins Auge gefasst, auch der Name Braunwarth könnte der der Inhaber nach der Wende gewesen sein. Damals war Senftenberg vom Braunkohleabbau in der DDR geprägt und schwer dreckig; anderes habe ich nicht mitbekommen. Beim Recherchieren bin ich auf viele neue Aspekte gestoßen, das fließt in den folgenden Bericht ein. Der Bahnhof ist groß und behindertengerecht, aber komplett leer, dafür ist davor ein Servicestore, der auch ganz offiziell Gepäckaufbewahrung macht. Als erstes suchen wir den Betriebsteil I auf. Dort erkennen wir gleich einen Hof voll Getränkekisten und ein modernes Gebäude, Getränkefachgroßhandel Schenker. Die Dame an der Pforte kann uns einiges erklären: Schenker hat das gleich nach der Wende übernommen und erweitert, ich kann mich hier an nichts erinnern, auch nicht die Straße, wir kommen überein, dass es der andere Betriebsteil sein muss, an dessen Stelle jetzt ein Pitstop stehen soll. Ich habe vom Theater “Neue Bühne” gelesen und vom Bauhaus-Schulgebäude, beides ist am selben Platz in der Rathenaustraße auf dem Weg in die Innenstadt, das steuern wir zunächst an. Und: der Komplex ist von Bruno Taut gebaut, der uns schon in Hiddensee mit dem Karusel begegnet ist. Das Theater hat die Stadt dem sowjetischen Stadtkommandanten zu verdanken, der nach dem Krieg eine aktive Laienschauspieltruppe der Bergarbeiter vorgefunden hatte, und ihnen die Turnhalle der Rathenauschule aus Spielstätte zugeordnet hat. Daraus ist in der DDR ein Dreispartentheater mit professionellen Schauspielern geworden, nach der Wende konnte nur noch die Sparte Schauspiel erhalten werden; Senftenberg ist damit die kleinste Stadt Deutschlands mit einem Stadttheater mit eigenem Ensemble, erzählt uns der technische Direktor, den wir auf dem Theatergelände treffen. Er zeigt uns die Bühne mit dem 250 Plätze fassenden Zuschauerraum, und das noch begeisterter, als er von unserem Projekt erfährt. Die Truppe spielt von 400 jährlichen Aufführungen über 100 auf anderen Bühnen, auch in Süddeutschland und der Schweiz. Viele namhafte Schauspieler haben hier gelernt. Er erzählt von der umfassenden Konversion in der Stadt von der Braunkohle weg zu neuen Technologien und Tourismus, die hart war und ist und einen deutlichen Einwohnerschwund gebracht hat; insgesamt sei sie aber gut gelungen und die Stadt heute ausgesprochen lebenswert. Das finden wir beim weiteren Durchgehen ebenfalls: Die Bahnhofstraße ist ungewohnt belebt und gut saniert, fast alle Läden sind besetzt und von besserem Niveau, die Stadt sieht einladend aus und ist gut beschildert. Fast alle, denen wir begegnen, strahlen Selbstbewußtsein und Offenheit aus, das spricht für das Lebensgefühl hier. Die Briesker Straße 15 kommt mir bekannter vor, auch wenn dort der Pitstop steht; das Straßenbild passt eher, das Wohnhaus Braunwarth steht noch, wenn auch anders gestrichen und Anwaltskanzlei Braunwarth. Vom Betrieb steht nichts mehr; in der rückseitigen Sackgasse, die als Braunwarth-Anschrift ausgewiesen ist, treffen wir Frau Höna, die hier ein Elektrogeschäft betreiben, sie erzählt uns, dass die Braunwarths es noch kurz mit dem Betrieb und den alten Maschinen versucht haben, das Gelände aber bald verkauft haben, nachdem klar war, dass die Einzelhandelsketten ihre Getränke nicht listen würden. Die Braunwarth-Nachkommen sind über ganz Deutschland verteilt, an einem Getränkemarkt weiter hinten in der Straße ist noch einer beteiligt. Auch sie berichtet von der positiven Entwicklung der Stadt; unsere Zeit wird knapp, wir hätten uns gern noch länger mit ihr unterhalten. Durch die gut erhaltenen Plattenbausiedlungen gehen wir in die Innenstadt, der kleine runde Innenstadtkern ist malerisch, besonders um den Markt, auch hier steht eine Postmeilensäule aus dem 18. Jahrhundert wie in Lübbenau, nahezu alles ist saniert, sogar in den Hinterhöfen, die Läden sind ansprechend, die Stadt ist für Montag mittag gut belebt. Nach unserem Eindruck ist das die in sich stimmigste und funktionierende Kleinstadt im Osten, die wir gesehen haben, dabei hatten wir gar keine Zeit, die touristischen Ziele wie das Schloss und den 13 km² großen See anzusehen. Der Besuch ist eine Überraschung, das hatte ich nicht erwartet. Ein wenig Angst haben die Bewohner allerdings wegen des steigenden Grundwasserspiegels nach Beendigung des Braunkohlentagebaus; der füllt zwar ihren See, vielleicht aber bald auch ihre Keller. Die recht knappen Bahnanschlüsse in Falkenberg und Leipzig klappen gut, wir fahren durch Naumburg, das letzte Ziel unserer Ideengeber, das auf der letzten Fahrt drankommt, und das Weingebiet Saale-Unstrut, eine schöne Landschaft. Irgendwann bemerken wir, dass an der Tischgruppe links ein guter Bekannter aus Ludwigshafen sitzt, wir begrüßen uns herzlich. Mit dem Beginn von Hessen dämmert es, reibungslos kommen wir von dieser vorletzten und längsten Reise wieder in Ludwigshafen an.
Diese erstaunlich häufigen Begegnungen reißen nicht ab; zwei Tage später auf dem Weg zur Arbeit nach Frankfurt nimmt unsere Ideengeberin Yvette, die schon einige Kommentare geschrieben hat, ihre Reservierung nach Berlin neben mir ein.

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25. September: Spreewald

Lübbenau: Lehde-Fest, Radtour über Leide und Wotschofska

Was machen wir heute, wie entdecken wir den Spreewald? Kahnfahren, Paddelboot, Radfahren, Wandern? Kahnfahren ist eine Massenveranstaltung für Fußkranke, mit Kneipentisch auf dem Boot, direkt aus Auto oder Bus in den Kahn; natürlich der weitaus größte Anteil des Tourismus. Paddeln habe ich seltenst probiert und nie gekonnt, nicht gerade die Beschäftigung für einen Tag. Fürs Wandern gibts zu wenig Wege wegen der vielen Flussläufe und Kanäle. Da bleibt nur das Fahrrad übrig. Ich telefoniere herum, Tandems gibt es nicht oder sie sind schon eingemottet. Wir drehen erstmal eine Fußrunde durch die Nebenstraßen und die Altstadt, eigentlich nur eine Straße mit ein paar Stichgassen. Insgesamt recht lauschig, kleine Häuschen, und irgendwelche Kahnhäfen gibts am Ende jeder Gasse. Das schöne Schloss mit zwei Türmchen und Orangerie ist heute Hotel. Der “große” Hafen ist recht trubelig, eine Reihe von Touristen- und Souvenirshops links und rechts, fast wie in Titisee. Zig Kähne werden beladen, kein Wunder: Das Vorzeige-Museumsdorf des Spreewaldes, Lehde in zwei Kilometern Entfernung mit 150 Einwohnern und einem Freilicht-Museum, feiert das 20. Lehde-Fest mit Unterstützung aller umliegenden Dörfer, Bestandteil ist ein Kahn-Korso. Lübbenau ist ziemlich verstopft, die Kahnfahrer lenken die Autos auf die Parkplätze ihrer Häfen. Mir geht der Trubel auf den Geist, den hatte ich nicht erwartet. Zm Glück sind die Fahrräder, die unser Hotel verleiht, gut, wir machen uns durch den Campingplatz auf zum Fest; wenn wir schon genau jetzt da sind, müssen wir uns das ansehen. Überall parken Autos, ab dem Campingplatz ist die einzige kleine Straße dorthin gesperrt, ab jetzt parken nur noch Fahrräder. Die Wege werden schmaler, es gibt nur noch Stop and Go, bald parken auch wir. Auf dem Weg gibt es Festbier, Bratwürste und natürlich Gurken. Die Senfgurkenstücke sind übrigens wirklich lecker, die gabs schon zum Frühstück. Hinter den vollen Treppen der Brücken zum Freilicht-Museum finden wir einen noch guten Platz und erwarten den Korso. Es kommen dann, wie ein Faschingsumzug auf dem Wasser, wirklich originelle Kähne: auf einem Gasherd werden Plinsen gebacken und in die Menge geworfen, die Feuerwehr hat ihre handbetriebenen Spritzen aufgeladen und bespritzt die Menge, Kühe und Traktoren werden auf Doppelkähnen transportiert, auch die Fischer sind beteiligt. Eine wirklich originelle Veranstaltung, die mich langsam mit dem Massenauftrieb versöhnt. Irgendwann reichts uns dann doch, das soll nicht unser einziger Eindruck des Spreewaldes bleiben. Hintenrum fahren wir um den Ort, mittendurch gehts bei dem Trubel nicht. Wir fahren die Birkenallee nach Leipe, einen sehr schönen, schmalen Wander- und Radweg zwischen zwei schmalen Kanälchen unber viele kleine Brücken. In der Umgebung von Lehde ist sehr viel Betrieb, wir können nicht einfach anhalten. Überall blinzelt die Sonne durch die niedrigen Bäume, die Landschaft ist sumpfig und urwaldartig, am ehesten noch mit einer Auenlandschaft am Rhein vergleichbar. Kurz vor Leipe treffen wir die erste Kanalschleuse mit Selbstbedienung, Höhenunterschied unter einem Meter, Kapazität zwei Kähne oder neun Paddelboote. Das Schleusen dauert keine fünf Minuten, wenn denn die Paddelboote die Einfahrt einigermaßen treffen, später sehen wir noch zwei andere Konstruktionen. Nach dem Ort wenden wir, es wird ruhig, die Landschaft ändert sich. Sumpfige Wiesenflächen sind von baumgesäumten Kanälen durchzogen, öfter durchfahren wir Waldgebiete, alles auf festen, aber sehr rappeligen Wegen aus querliegenden Betonplatten aus DDR-Zeiten. Das begrenzt die Geschwindigkeit, damit auch die Anstrengung und macht den Weg passend beschaulich. Gegen halb sechs erreichen wir das 1894 von der Stadt Lübbenau gebaute legendäre Waldgasthaus Wotschofska, erreichbar über den Wasserweg und seit 1911 auch per Wanderweg, unter Denkmalschutz. Der Biergarten hat bestimmt 300 Plätze mit beschrifteten Bereichen für die Kahnfährleute; als wir ankommen, ist alles leer, wir hören von innen “wir können schließen, in der nächsten halben Stunde kommt bestimmt keiner mehr”, wir widersprechen sofort und bekommen gern was zu trinken. Es ist ein besonderer Ort, und wir erleben etwas neues: um uns herum fällt unregelmäßig was runter, irgendwann merken wir, das sind reife Eicheln. Der ganze Boden besteht aus unauffällig zwischen die Steine gemischten Eicheln. Und, was uns noch mehr verblüfft: unter den Eichen gibt es Eichbaum-Bier – aus Mannheim! Der Rückweg geht auf dem alten Wanderweg, der im Sumpf etwa einen halben Meter aufgeschüttet ist, sonst würden wir versaufen. Mittlerweile hat sich eine wunderbare enge Allee aus Birken und anderen Bäumen gebildet. Unterwegs gibt es zwei Meter hohe Treppenbrücken, über die wir die Fahrräder schieben müssen, ein landschaftlich gelungener Abschluss der Rundfahrt. Wir finden ein direkt nach der Wende von Ortsansässigen aufgebautes Restaurant, einrichtungsmäßig mit einem deutlichen Hauch DDR-Charme, jedoch besten lokalen Gerichten: Quark mit Kartoffeln und Leinöl, Hechtkotelett mit Gurkensalat, Spreewaldsoße und Kartoffeln. Alles köstlich, mit besten Zutaten. Mit Licht fahren wir den letzten Kilometer zum Hotel zurück, die Spreewald-Entdeckung ist gelungen und zum Erlebnis geworden, trotz meiner anfänglich schlechten Laune ob des touristischen Tubels hier, jetzt ist noch Zeit zum Blog-Schreiben bei sonntäglichem Fernsehgenuss.

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24. September: Über Frankfurt/Oder und Cottbus nach Lübbenau

Fahrt von Bad Freienwalde nach Lübbenau im Spreewald mit Stadtrundgängen in Frankfurt/Oder und Cottbus

Wir stehen früher auf, der Bahntakt von zwei Stunden sorgt dafür, wir wollen schließlich noch was sehen. Blauer Himmel begrüßt uns, der Chef des Hauses erklärt uns die Wintersportaktivitäten des Ortes im Skispringen, er hat den Verein gegründet. Neben den vier Schanzen, die wir gestern abend gesehen haben, gibt es die Planung für zwei Großschanzen, die ist immer noch aktuell. Fünfmal in der Woche wird auf den Schanzen trainiert, Schnee braucht man dazu nicht: Keramik-Anlaufspur, Matten-Landebereich, Rasenauslauf. Die letzte Sprungveranstaltung war am 21. August. Heute geht es nach Lübbenau im Spreewald. Die Umsteigestationen bieten sich für Stadtrundgänge an: Frankfurt/Oder und Cottbus. Frankfurt präsentiert sich nicht besonders attraktiv: Gründerzeithäuser, zu 70% saniert, nur in der Süd-Vorstadt und hinter dem Bahnhof, da findet gerade ein “Altstadt”-Fest statt, eher müde und klein. Die Stadt selbst wird überragt von großen Plattenbauten, der Stadtkern war zu 93% zerstört, der Wiederaufbau sind Blocks und Reihenhäuser. Die Straßen sind großzügig, aber unbelebt, und das an einem Samstag-Mittag. Nur einzelne Bauwerke ragen heraus: Das Hochhaus Oderturm hat ein Aussichtsrestaurant im 24. Stock, das Rathaus eine sehr schöne Backstein-Fassade, die 1991 wiedergegründete Europa-Universität Viadrina nutzt alte Gebäude als Hauptgebäude und Bibliothek, und eine echte Sehenswürdigkeit ist die größte Backsteinkirche des Nordens, St. Marien, die nach dem Krieg eine Ruine war und 1974 von der Stadt gepachtet und als Soziokulturelles Zentrum restauriert wurde. Durch die Leere kommen die Säulen und die Halle der gotischen Kirche monumental zur Geltung, auch wenn das Dach heute aus Holz ist. Der Chor und die Sakristei sind vom Gewölbe und vom Anstrich her original restauriert, die drei großen Bleiglasfenster im Chor von 1360 (Schöpfung, Christus, Antichrist) wurden im Krieg ausgebaut und sind ab 2002 aus St. Petersburg zurückgekehrt. Vom Turm, in dessen wöchentlicher Öffnungszeit wir zufällig vorbeikommen, haben wir besten Rundblick, auch über die Oder nach Polen. Wir machen einen erneuten Ausflug nach Polen, in den früheren Frankfurter Stadtteil Dammvorstadt auf der Ostseite der Oder. Hier gehts zwar auch um Handel für deutsche Besucher, jedoch nicht in der drastischen Form der Polenmärkte. Vor der Brücke liegen die toten Gebäude der Grenzkontrollen, auf der anderen Seite einerseits malerische Straßen, wobei die Häuser nicht in bestem Zustand sind, die Balkone sind teilweise durch Holzfachwerk gestützt, andererseits hochmoderne Neubauten für Einkaufszentren, Behörden und den polnischen Teil der Europa-Universität. Die Universität ist sicher ein wichtiger Aspekt für die Stadt, da sie den demografischen Problemen entgegenwirkt, und weil sie Gebäude nutzt, die sonst keiner brauchen würde.
Nach gut drei Stunden fahren wir weiter nach Cottbus. Der Empfang ist mies: Der Bahnhofsausgang ist kompliziert über zwei Unterführungen und wir kommen auf der Stadt-abgewandten Seite heraus, mit Blick auf Einkaufscenter und Bürogebäude, der Nahverkehr fährt selten, die Hauptstraße in die Stadt ist eine einzige Baustelle, die baulichen Zustände an der Bahnhofstraße sind zunächst schlecht. Schon am ungewöhnlichen, wuchtigen Staatstheater in reinem Jugendstil, das mit viel Platz auf dem Schillerplatz steht, bessert sich die Optik, es ist von abwechslungsreichen Gründerzeithäusern in gutem Zustand umgeben. Im Bereich der Altstadt gefällt uns die Stadt immer besser, hier herrscht Leben, auf den Straßen und in den Cafés ist was los, besonders auf dem Altmarkt, der Restaurierungszustand ist gut, aber nicht unnatürlich. Wir sehen schöne Backsteinkirchen und -türme. Alle öffentlichen Gebäude sind zusätzlich sorbisch beschriftet. Die durchfließende Spree sorgt für einige Parks im Stadtgebiet, auf der nächsten Spreeinsel steht das Kunstmuseum im ehemaligen Dieselkraftwerk, einem hallenartigen, imposanten Backsteinbau, der mit moderner Museumsarchitektur konkurrieren kann. Gelesen habe ich vom Filmtheater Weltspiegel, einem Jugendstilbau, der auf dem Weg zum Bahnhof liegt. Wir steuern passend durch Nebenstraßen, und treffen auf ein beeindruckendes Gebäude mit gebogener Front, ganz frisch restauriert und wieder Kino, an dessen Bar wir den ersehnten Sekt bekommen. Im ersten Stock können wir alte Fotos sehen und die baulichen Zwischen- und Verfallsstufen sehen, heute ist die Fassade wieder sehr nahe am Original, und wir erfahren einiges über das Haus und die Cottbusser Kulturszene. Durch dieses unerwartete Highlight am Ende der Runde geht unsere Restzeit schnell um. In der Dämmerung fahren wir die restlichen Kilometer nach Lübbenau an den Südwestrand des Spreewaldes. Hier ist das Hotel komplett ausgebucht. Wir essen gut, es gibt viel zu tippen. Morgen ist der Spreewald dran, wir wissen nur noch nicht wie.

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23. September: Oderbruch

Oderbruch: Radtour durch das Oderbruch mit Polenmarkt und Dörfern.
Bad Freienwalde: Rundgang durch Schlosspark, Kurviertel und Sprungschanzen

Morgens bekomme ich heraus, wie das Wlan-Profil manuell einstellbar ist, das interessiert auch den Hotelier. Es nutzt mir im Zimmer allerdings nichts, der Empfang ist zu schlecht. Wir haben Fahrräder vom Hotel, zunächst passt es Marlis nicht, da ohne Rücktritt, aber sie laufen leicht und sie gewöhnt sich dran. Auf Nebenwegen entlang der Hauptstraße nach Polen fahren wir mit Rückenwind am Nordhang, der das Oderbruch begrenzt, über Schiffsmühle und Altenglietzen durch ruhige und recht ursprüngliche, verschlafene Dörfer entlang der Alten und Stillen Oder nach Hohenwutzen. Dort führt die Brücke zu unserem zweiten Abstecher nach Polen: vorbei an Komplexen von verlassenen Grenzkontrollgebäuden nähern wir uns einer Kulisse von nicht mehr genutzten Industrieanlagen, die den Rahmen für einen umfänglichen Polenmarkt bilden. Hier gibts fast alles, von Zigaretten über Baumarktartikel, Klamotten und Gartenkitsch, Gemüse und Raubkopien. Vielleicht ein Drittel billiger als bei uns, ob das das Qualitätsrisiko aufwiegt? Nur der Sprit ist eindeutig 40 Cent billiger, die Reservekanister gibts auch in Massen, schließlich kann man sonst mit einem Tank nur 20 € sparen, weiter als 20 km sollte man dafür nicht fahren, von der Zeit abgesehen. Der bizarre Eindruck reicht uns bald, viel los ist hier auch nicht. Wahrscheinlich lief das früher besser, allerdings dürfte die sowieso strukturschwache grenznahe deutsche Region mit den Märkten ihre Probleme haben. Wir rauschen bei Rückenwind am deutschen Oderufer meist auf dem Deich Richtung Zollhaus. Die Landschaft links ist von der grün gesäumten Oder und den Hügeln am polnischen Ufer bestimmt, rechts im Bruch ist sie von Landwirtschaft geprägt und gegliedert von schönen Alleen, kleinen Dörfern und Flussläufen. Entstanden ist das durch die Begradigung und Umlegung der Oder von der westlichen auf die östliche Seite des Urstromtales und Durchbruch bei Hohenwutzen unter dem alten Fritz ab 1747; mit der folgenden Eindeichung wurde das Tal trockengelegt, die ersten Kolonistendörfer stammen von 1753. Durchzogen wird der ganze Bruch von der mäandernden Alten Oder und vielen toten Seitenarmen. Wir überqueren die alte Eisenbahnbrücke nach Polen; die Strecke ab Wrietzen ist nach dem Krieg abgebaut worden, heute wird die Trasse als Radweg genutzt, die Brücke ist gesperrt und wurde bisher nur bei grenzübergreifenden Marathonläufen wieder genutzt. Wir erreichen Zollbrücke, bestehend aus einigen Häusern, einem Deichdurchlass, einem Ausflugs-Gasthaus mit Fremdenzimmern, hier sammeln sich die Radfahrer und Autoausflügler. Wir essen Kleinigkeiten, leider sind alle Bedienungen eher unfreundlich. Auf der anderen Straßenseite ist ein neuer Komplex, das Dammhaus, mit Kunst und Gastronomie, sieht anspruchsvoll aus, ist aber geschlossen. Auf dem Weg ins Bruch liegt das Theater am Rand, ein in der Gegend mittlerweile recht bekanntes Theaterprojekt mit einem alten Fachwerkhaus als Eingang und Zelten und einer einfachen gezimmerten Freilichtbühne im Garten. Wir fahren weiter nach Neulietzegöricke, einem der ersten Dörfer im Oderbruch, man erkennt oft noch den ersten Haustyp in unterschiedlichem weiteren Ausbau und mit Hofgebäuden, man arbeitete wohl auf staatlichen Domänen. Über kleine ruhige Wege, jetzt mit etwas Gegenwind, der Marlis zu schaffen macht, passieren wir Altreetz und kommen nach Altranft, alles sehr verschlafene Orte. Unterwegs fahren wir an Rübenhaufen vorbei und werden mit der aktuellen Landwirtschaft konfrontiert, offensichtlich ist Maisernte. Die Felder werden komplett maschinell abgeerntet und die ganzen Pflanzen gehäckselt, dauernd begegnen wir den Riesenschleppern mit großen Anhängern, die die Schnitzel abtransportieren. Die rasen dermaßen über die schmalen Wege, manchmal mit Kopfsteinpflaster, dass wir öfter anhalten und uns vorsichtshalber in die Wiese verdrücken. In Altranft ist ein kleines Schlösschen mit Freilichtmuseum, das sehen wir um die Uhrzeit nur am Rande. Der Radweg an der Straße nach Bad Freienwalde fährt sich trotz welligem Gelände am Bruchrand flott. Im Ort angekommen, entscheiden wir uns, das Besichtigungsprogramm hier zu Fuß zu machen, unten am Schlosspark stellen wir die Räder ab. Am Hang im schönen Park liegt das kleine, 1798 errichtete Schloss mit Teehaus, dessen Park von Lenné gestaltet ist und das bis zu seinem Tod Walter Rathenau gehörte. Durch steile Straßen mit schönen, leider verfallenden Villen und Treppenabstieg durch Wald erreichen wir das in einem Taleinschnitt abseits liegende Kurviertel, der gepflegte Kurpark mit Teich bildet die Verbindung zum Ortsrand, imposant sind die sich an den Parkseiten gegenüberstehenden alten, sanierten Gebäude des Kurmittelhauses und des Kurhauses mit Wandelhalle, dahinter liegt, von bewaldeten Bergen mit altem Aussichtsturm eingeschlossen, die moderne Kurklinik. Hier geht es hauptsächlich um orthopädische Probleme, die Beweglichkeit ist oft eingeschränkt, mit der Stadt selbst hat das Kurviertel also wenig zu tun. Über den Turmrundweg – hier kann man ein Turmdiplom erwandern – durch Wald und über Treppen erreichen wir die Sportstadien und die Sprungschanzen. Es ist erstaunlich, dass sich an so einem niedrig gelegenen Ort eine solche Wintersport-Tradition gehalten hat. Das liegt wohl am kontinentalen Klima und der geschickten Hanglage. Die vier Schanzen bieten alles von ganz klein bis groß; die Landehänge sind mit grünen Matten belegt, die Auslaufzonen mit Rasen bewachsen. Die Geräte im Auslaufbereich scheinen Schneekanonen zu sein. Wir können uns nicht ganz vorstellen, das man ohne weitere Präparation im Sommer darauf springen kann. Das bekommen wir sicher noch raus; groß steht hier die Anschrift des Wintersportvereins – unser Hotel. Die direkte Straße von hier führt seitlich auf den Kurpark am Kurmittelhaus; die verfallenden Villen und Häuser, oft als Pensionen gekennzeichnet, verweisen auf bessere Zeiten. Die direkte, leicht abfallende Straße vom Kurpark in den Ort scheint dagegen eine der attraktivsten Wohngegenden zu sein; hier sind die Häuser und Villen, oft in schöner Hanglage, fast alle in gutem Zustand. Wir kommen in der Dämmerung an unsere Fahrräder und fahren mit Licht zum Hotel und beenden damit unsere bisher längste Fahrradtour. Wir kaufen im Kaufland gegenüber unseren Getränkebedarf und gehen ins Restaurant der Hotelchefin daneben, einen runden wintergartenartigen Nachwendebau mit vielen Plätzen, heute, im Gegensatz zu gestern, leer. Die Gerichte sind zwar einfach, aber phantasievoll zusammengestellt, wir sind zufrieden. Einmalig ist, dass wir bei einer so niedrigen Rechnung sowohl einen Gruß aus der Küche als auch einen Schnaps aufs Haus bekommen.

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22. September: Fahrt nach Bad Freienwalde

Schiff, Bus und Zug von Hiddensee über Stralsund und Eberswalde nach Bad Freienwalde

Zum Frühstück besucht uns Michaela Driemel, nach unserem kurzen, angeregten Gespräch muss sie zurück zu ihrer Ausstellung. Wir haben noch Zeit zu einem kurzen Gang an den Strand. Wenige Spaziergänger sind unterwegs, dafür gibt es kräftige Wellen und Schaumstreifen, Windstärke sechs. Auf dem Schiff ist es ruhiger, im geschützten Bodden kann sich keine große Welle aufbauen, das Schiff rollt nur bei Wellen von der Seite etwas, die Schaumstreifen sind dafür um so deutlicher. Das Wetter ist trübe, aber noch trocken. Wir starten als einzige Fahrgäste mit dem Bus nach Bergen, so sitzen wir wieder vorne und unterhalten uns mit dem Fahrer über Tourismus und Winter auf Rügen. Vor Bergen beginnt es zu regnen, das bleibt bis nach Greifswald so. Wir haben es gut getroffen mit dem Wetter; nur die Fahrtage sind verregnet. Jetzt kaufen wir zum letzten Mal im Bioladen am Stralsunder Bahnhof ein und fahren zum letzten Mal auf der Strecke Prenzlau-Eberswalde. Wir haben uns einen guten Platz gesucht und können intensiv Fotos bearbeiten. Als Marlis unsere Jacken aufhängt, kommt ihr der Herr in der Reihe gegenüber bekannt vor, das beruht auf Gegenseitigkeit. Es ist Tilmann Homberg, der Sohn der Künstlerin Mechthilde Homberg, den wir am Montag beim Besuch bei ihr getroffen haben. So haben wir Gelegenheit, mehr über ihn und die Arbeit bei den Bayreuther Festspielen zu erfahren, und wir können ihm direkt ausgesuchte Bilder vom Besuch bei seiner Mutter zeigen. Es ist schon verblüffend, wieviele Zufallstreffen sich im Reisejahr ergeben.
In Eberswalde steigen wir aus; in der halben Stunde Aufenthalt schauen wir uns vor dem Bahnhof um, entdecken die O-Bus-Linien der Stadt und stellen fest, dass es sich um eine 40.000-Einwohner-Stadt und Kreisstadt handelt; in der Nähe liegt das Schiffshebewerk Niederfinow am Oder-Havel-Kanal mit einer Hubhöhe von 36 Metern. In der hier noch einigermaßen funktionierenden Bahnhofsgaststätte ist Happy Hour, so genehmigen wir uns ein Bierchen in echter Eisenbahner-Atmosphäre. Mit der ODEG geht es die letzten Minuten auf der Strecke nach Frankfurt/Oder bis nach Bad Freienwalde, hier wollen wir uns das(!) Oderbruch ansehen. Bei der Ankunft mutet der Bahnhof etwas seltsam an; es gibt ein zweites Gleis, der zweite Bahnsteig mit den Gleisen zwei und drei ist jedoch komplett zugewuchert. Als der Gegenzug kommt, klärt es sich auf: Unser Zug ist über die Weiche in den zweigleisigen Bereich gefahren und hält auf Gleis 1b; kurz danach kommt der Gegenzug vorbei über die Weiche in den eingleisigen Bereich aufs Gleis 1a, die Züge halten also hintereinander an derselben Bahnsteigkante, man braucht keine Unterführungen und keinen Bahnhof mehr, der steht entsprechend leer.
Wir sind jetzt nahe der Dämmerung, in diesen feuchten Gegenden tanzen und stechen die Mücken. Unser Hotel liegt am nördlichen Ortsrand im nach der Wende entstandenen Industriegebiet; es ist ein großzügiger, zumindest für diese Jahreszeit etwas überdimensionierter Neubau von 1997. Wir werden nett empfangen, bekommen alles Infomaterial und eine Wanderkarte geliehen, dazu alle Tipps gegen unsere Neugier. Nur das Wlan bekommen wir nicht in Gang, auch nicht mit Hilfe des Juniorchefs. Wir starten mit einigen Empfehlungen in die Innenstadt auf der anderen Seite des Bahnhofs. Alles ist sehr verschlafen, auf dem Weg zum Bahnhof haben praktisch alle Läden zugemacht, am belebtesten ist das Industriegebiet um das Hotel. Ab dem Bahnhof ist die Straße bis zur Kirche und dem Rathaus schön gepflastert, auch die weiterführende Königstraße. Hier ist es schon hügelig, die Stadt liegt am Fuß des ungefähr 150m hohen Barnimer Bergland. Vom Kurbetrieb merken wir nichts; laut Wegweiser sind es bis zum Kurviertel noch zwei Kilometer. Die Stadt ist ausgestorben, wie auch die vereinzelten Pizzerien und die drei einfachen Restaurants. Wir suchen uns das beste aus und essen immerhin nicht ganz allein, preiswert und ordentlich; besonders die Spirituosen sind billig, die ganze Liste unter zwei Euro. Wir laufen zurück und schlafen frühzeitig ein.

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21. September: Hiddensee

Hiddensee: Wanderung über die ganze Insel von Süd nach Nord, umgekehrt mit dem Bus

Hier gibt es Frühstück bis elf und keinen Autolärm. Also wird ausgeschlafen, ich allerdings deutlich kürzer, so bekomme ich alle Texte fertig, und bei den Fotos fehlen nur zwei Tage. Das Frühstück gehört zu den besten, die wir hatten: frische Salate, gute Joghurts, klassische Musik, nicht von der Stange. Wir lassen es uns gut gehen, kurz nach zwölf gehen wir los. Vorbei an der Buchhandlung und der in einer Amtsstube versteckten Touristinfo – über den Hof läuft der Inselpolizist und grüßt – wählen wir den boddenseitigen Wallweg nach Kloster, von dem wir gute Sicht auf die sumpfigen Wiesen, den Bodden und den vor uns liegenden Dornbusch mit Leuchtturm haben. Zwischendurch blinzelt mal kurz die Sonne durch. In Kloster schauen wir uns das Fachwerk-Hotel Hitthim und den alten Torbogen an. Um die kleine Inselkirche von 1332 liegt der Friedhof mit sehr alten Grabsteinen, dem Grab von Gerhart Hauptmann und geräumigen, von großen Hecken umgebenen Grabstätten. Innen ist die Kirche schlicht und schön blau-weiß gestaltet mit bemaltem Holz-Tonnengewölbe und Taufengel schwebend darunter. Die Straßen sind eher Wege und bis auf die Hauptstraßen ungepflastert. Im Frühjahr waren wir in der Bäckerei, dort gehen wir wieder vorbei, bevor wir nach Norden abbiegen. Da kommen uns vor einer Galerie gegenüber Ausstellungsstücke aus Filz bekannt vor, bei genauerem Hinsehen stellen wir fest, dass Michaela Driemel ausstellt und anwesend ist. Ihren Mann hatten wir im Frühjahr auf dem Schiff nach Hiddensee getroffen und dann auf der Rundfahrt ihre damalige Ausstellung besucht, später sind wir an ihrem Wohnort Gronau gewesen. Wir gehen hinein und treffen sie tatsächlich an; sie stutzt und erkennt mich dann, wir begrüßen uns herzlich. Wir verabschieden uns nach kurzem Gespräch und vertagen uns auf morgen beim Frühstück, sie hat einige Kunden um sich herum. Hübsche Häuschen ziehen sich auf dem Weg nach Norden den Hang hoch, dann geht es in eine Landschaft über, die dem Namen Dornbusch alle Ehre macht: eine wilde hügelige Wiesengegend, sandig, darauf verstreut allerlei Dornenbüsche, darunter Sanddorn mit prallen, orange leuchtenden Beerenbüscheln an den Ästen, geschützt durch unauffällige, lange Dornen. Überall bieten sich Blicke vom Hang nach Süden über die Insel, besonders vom Hexenberg. Oberhalb, auf dem Kamm, wächst lockerer Laubwald. Auf diesem Wanderpfad ist gar nichts los; dieTagesausflügler haben wir unten auf den Pflasterwegen in Pferdeplanwagen und den Läden getroffen und sehen sie auf dem breiten Weg hinauf zum Gasthaus Klausner ziehen; auch unser Weg führt uns dorthin, viel ruhiger und abwechslungsreicher, aben ein bisschen mühsamer. Den Klausner passieren wir, bei der Live-Dudelmusik hätten wir eh keine Lust zur Einkehr. Diesmal treffen wir den Leuchtturm von 1888 direkt und rechtzeitig, nach etwa 100 Stufen sind wir 92 m über dem Meer, der höchste Leuchtturm an der deutschen Ostseeküste. Die letzten zehn Stufen sind eine schmale Leiter, dann können wir die gesamte Boddenlandschaft bis Kap Arkona, die Nordzipfel Alt- und Neubessin, Stralsund und Zingst und die freie Ostsee überblicken vom offenen Rundgang um den Turm unterhalb der mächtigen Fresnellinse des heute automatischen Feuers. Wir steigen über einsame Sandwege ab in den ältesten, kleinsten und nördlichsten Ort der Insel, Grieben, 50 meist reetgedeckte Häuser. Es reicht zur Einkehr im alten Seemannsgasthof Enddorn mit Kaffee und Kuchen und leider Sprühsahne, bis uns der Inselbus mit 20 Plätzen und übersichtlichem Fahrpreissystem – Halbtageskarte 3 € – einmal längs über die Insel von Endstation zu Endstation nach Neuendorf zum Hafen fährt, der letzte Bus, für uns mitten am Tag. Die weißen Häuser stehen locker, verbunden allenfalls durch unauffällige Trampelpfade im Wiesengelände, nur der Pflasterweg zum Hafen, auf dem der Bus fährt, führt hindurch. Mittendrin liegt eine sumpfige Wiese. Durch die Düne kommen wir an den Westrand und sehen bei der Restaurierung der Buhnen aus Holzpfählen zu, die originelle Baumaschine ist ein Bagger mit Ramme und fährt auf Raupen im Wasser herum und sitzt auf einem zwei Meter hohen Sockel. Wir wandern Richtung Vitte, in gebührendem Abstand nehme ich mein letztes Bad des Reisejahres im Meer, hier sind wir alleine, die Badehose kann trocken bleiben, der Sand ist fest und fein, das Wasser wenig salzig, dafür ist es richtig kalt, 14 Grad lese ich hinterher in WetterOnline, Warmschwimmen ist angesagt, es kribbelt, und hinterher weiß ich nicht, ob es kalt oder heiß ist. Wir laufen noch ein Stück auf dem gut begehbaren, langsam breiter werdenden, sauberen Strand, auf dem viele braune Seegrasbüschel liegen, dann biegen wir ab über die Düne durch den Waldstreifen in die Heide. Die Landschaft ist abwechslungsreich und wellig, sumpfige Stellen wechseln mit trockenen, verteilt stehen Birken und Büsche, alles eingerahmt von Waldstreifen. Und genau jetzt öffnet sich für eine Viertelstunde der Himmel, und alles glitzert im Abendlicht. Das Heidekraut ist zwar in der Fläche schon grau und trocken, aber einzelne Büsche bieten sich noch fotogen blühend an. Und in einer Birke entdecken wir die Netze von zwei Kreuzspinnen, die sich heftig im Wind gegen den Autofokus wehren, irgendwann haben wir sie, und die Mücken uns. Die Sonne verschwindet wieder und wir an den Strand zurück. Nach den restlichen Kilometern laufen wir in der Dämmerung von Süden her in Vitte ein und essen gut zu Abend, zum Abschluss gibt es einen Sanddorn-Eisbecher für beide. In der Summe haben wir heute die Insel vom nördlichsten Ort über den Leuchtturm bis zum südlichsten mit allen Landschaftsarten durchschritten, der Inselbus hat uns dabei geholfen.

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20. September: Königsstuhl, Fahrt nach Hiddensee

Sassnitz: Hafenrundgang, Wanderung am Königsstuhl (Ziel: Helene), Weiterfahrt nach Hiddensee

Wir haben sowohl eine Schiffsfahrt als auch die Busfahrt zum Königsstuhl vorbereitet. An der Rezeption lassen wir uns die Busfahrt empfehlen und starten zügig. Am Königsstuhl-Busplatz verteilt ein junger Mann Prospekte und gibt Empfehlungen. Die Aussichtsplattform ist mit dem Nationalpark-Zentrum verbunden und kostet Eintritt, das neue Zentrum soll vieles um die Kreidefelsen in anschaulicher Art erklären, ähnlich dem Klimahaus in Bremerhaven, wir neigen eher zu echten Naturerlebnissen. Die Viktoriasicht mit Blick auf den Königsstuhl ist frei zugänglich, und eine Treppe führt an den Strand. Wir beginnen mit der Treppe, etwa 450 Stufen. Das ist offenbar kein Fehler; unten wählen wir nicht gleich den Rundweg nach rechts, sondern gehen nach links. Hinter der nächsten Ecke erhebt sich der senkrechte Felsen des Königsstuhl imposant von unten weiß aus dem Wald und verändert Breite und Struktur innerhalb weniger Meter. Der Strand besteht aus schwarz-weißen Kieseln, wahrscheinlich mit Kreidegehalt. Die fast senkrechten und weißen Wände sind aus fast purer Kreide; unter Wasserläufen ist die Oberfläche weich, unter nassen Fingern schmiert es. So scheint das Wasser immer wieder Brocken zu lösen, Krümel am Strand weichen auf und trocknen wieder, so entsteht langsam eine glatte, harte Kreide-Bodenplatte. Viele Bäume sind mit ihrem Wurzelwerk heruntergerutscht, manchmal hängt die Wurzelplatte an der Abbruchkante förmlich in der Luft. Das ganze ist eine äußerst anschauliche Demonstration des Gesteins und der Landschaftsformation. Vorgelagert im Wasser sind einige Felsen; ein kleines Holzschiff liegt vor dem Strand, bedenklich schief und tief und von einer Plastikwurst umringt. Es dürfte wohl havariert sein; Ausflugsschiffe fahren jedenfalls in gebührendem Abstand am Felsen vorbei. Das zeigt uns, dass wir mit der Bus-/Wander-Variante das Bessere gewählt haben. Wir gehen noch etwas Richtung Sassnitz, verzichten aber auf den Rundweg über eine weitere Treppe, da uns die sechs Kilometer deutlich zu lang für unsere Zeit sind. Wir wenden, steigen wieder auf und gehen direkt weiter zur Viktoriasicht. Von zwei Plattformen blickt man direkt und auf selber Höhe auf den Königsstuhl und dessen Aussichtsplattform, die dritte ist eine über die Felsenkante ragende, verankerte kleine Plattform, die eigentliche Viktoriasicht von 1865, mit spektakulärem Blick nach unten auf den Strand und zwei imposante Kreidezacken. Dieser Blick und der ganze Ausflug haben sich wirklich gelohnt, unsere Ideengeberin, meine 90-jährige Tante Leni, hat uns die Kreidefelsen empfohlen; jetzt sind wir zufrieden und fahren zurück. Es verbleibt eine Stunde in Sassnitz, wir gehen die neue Fußgänger-Hängebrücke hinunter an den Hafen, essen etwas und gehen am alten Hafen mit zwei langen Hafenmolen und teilweise in Konversion befindlichen Industriebauten und dem früheren Hafenbahnhof entlang. Der Hafen ist 1984 als Tor zur Sowjetunion einige Kilometer südlich im Ortsteil Mukran als Tiefwasserhafen neu gebaut worden, heute ist der gesamte Ostseeraum angebunden und daher auch die neue Straßenbrücke auf die Insel Rügen nötig geworden. Weiter gehts über die neu angelegte Strandpromenade unterhalb der Altstadt bis zum Kurgarten. Der absolute Hit ist hier die bestimmt 40 Jahre existierende und etwas abgebröselte Konzertmuschel mit kleinen Nebengebäuden mit verschlossenen Bullaugen. Durch Nebenstraßen der kleinen steilen Altstadt kommen wir zum Hotel. Dort erwartet uns der Hausmeister und fährt uns direkt zum Bahnhof. Der Zug ist pünktlich, in Bergen klappt der Busübergang, und in Schaprode gehen wir direkt aufs Schiff nach Hiddensee. Im Godewind laden wir ab und starten zum ausführlichen Rundgang an der Westküste nach Norden, uns begegnen Sanddorn und Zugvögel. Wir kommen am Karusel vorbei, einem geduckten Reet-Bau mit eigenwilliger Architektur und abgerundeten Ecken, den die Stummfilm-Legende Asta Nielsen von 1928 bis 1936 bewohnte. Zufällig endet dort gerade eine Führung, so dass wir noch hineinkönnen, und das innen erstaunlich geräumige Gebäude, dass voll mit Info-Tafeln über architektonisch intereressante Häuser auf der Insel. ist. Mit dieser Überraschung endet der Rundgang; bei unserem ersten Besuch auf Hiddensee im Frühjahr war das Haus noch bewohnt und nicht zugänglich. Wir essen gut und gemütlich im Godewind. Beim nachfolgenden Tippen im Zimmer bin ich sehr müde und schaffe das geradeso, bis ich im Bett lande.

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19. September: Klein-Zastrow, Greifswald, nach Sassnitz

Greifswald: Rundfahrt. Fahrradtour nach Klein-Zastrow (Ziel: Brigitte Adler). Weiterfahrt nach Sassnitz mit Rundgang

Mit Blick auf den alten Hafen an der Ryck mit Holzbooten wachen wir auf, passend zu den heutigen Vorhaben mit fast blauem Himmel. Im Wintergarten des gut renovierten Speicherhauses frühstücken wir bestens mit übersichtlichem, aber genau richtig bestücktem Buffet und netter Bedienung, so dass wir den Ort zum Veröffentlichen der taz-Texte nutzen. Wir laufen mit unserem Gepäck am Hafen entlang, die kleine Drehbrücke führt uns sogar ihre Funktion vor, als wir in den Stadtkern abbiegen. Das Ortsbild ist gemischt aus meist renovierter Altbausubstanz, oft sogar schöne Backsteingotik, und einigermaßen angepasster DDR-Plattenbauarchitektur mit norddeutscher Backsteindekoration, die wir schon in Rostock und Wismar gesehen haben. Einmalig ist der große quadratische Marktplatz der Hansestadt, eingerahmt von sehenswerten, gut zusammenpassenden Gebäuden aus verschiedenen Epochen. Wir sehen uns in der Touristinfo einen großen Bildstadtplan auf Tonfliesen an, an dem die Künstlerin Mechthilde Homberg mitgewirkt hat, die wir später besuchen werden. Im Foyer des tiefrot gestrichenen Rathauses hängen zwei Bilder ihres Mannes Konrad. Nach Überquerung des Walls mit Resten der Stadtbefestigung erreichen wir Zweirad-Krüger, einen großen aufgeräumten Fahrradladen, der für uns Leihräder reserviert hat und solange unser Gepäck nimmt. Man merkt, hier sind Profis am Werk, die Räder sind gut und mustergültig in Schuss, beste Bremsen und Gangschaltung, aufgepumpt, leichtgängig. So schweben wir, soweit es die leicht wellige, etwas ansteigende Landschaft und der leichte Gegenwind zulassen, gen Südwesten vorbei an der Baustelle von Schröder’s Ostsee-Pipeline nach Klein-Zastrow, einem 50-Häuser-Dorf. Dorthin schickt uns Brigitte Adler. Sie war mit Mechthilde Homberg in Heidelberg-Wieblingen in der Schule. Nach etwa einer Stunde Fahrt sind wir da, die Handy-Karte kennt sogar die Hausnummern im Dorf, so dass wir ohne Rückfrage hinfinden. Mechthilde und ihr Lebensgefährte Hans-Joachim begrüßen uns herzlich, als wir in den großen Garten einbiegen, dazu einige der acht schlanken Katzen, die immer draußen oder im Schuppen leben. Das Haus bewohnt sie seit 1973, damals war sie mit ihrem Mann auf der Suche nach einem Atelier, in Greifswald war es zu klein. Sie hatten ein Anrecht auf eine Wohnung in Greifswald, das konnten sie tauschen gegen das Anwesen, deren Bewohner aus Altersgründen in die Stadt wollten. So haben sie ein kleines Gehöft aus den 30er Jahren mit etwa 5000 qm Garten bezogen, das sie damals, soweit es ging, modernisiert haben; jetzt wird allerdings nichts mehr geändert, das bleibt für die Erbengemeinschaft, sie hat noch das Wohnrecht. Ihr Mann war Kunstprofessor in Greifswald, musste in die Partei und ist 1975 mit 50 Jahren gestorben, die Hintergründe sind unklar; massiver parteiinterner Stress könnte vorangegangen sein. Sie würde gern noch in die Stasi-Unterlagen Einsicht nehmen. Sie selbst ist 1951 aus Heidelberg nach Greifswald gekommen, nachdem ihre Mutter als Kinderärztin schon 1946 hierher gekommen war und 1977 mit 63 Jahren gestorben ist. Sie selbst hat als Kunsterzieherin gearbeitet und war und ist künstlerisch tätig, ihr Schwerpunkt liegt auf Zeichnungen, das Skizzenbuch ist immer dabei. 1976 bekam sie als Künstlerin eine Reisegenehmigung in den Westen, und zufällig fand damals ein Treffen der Wieblinger Schule statt, an dem sie teilnehmen konnte. Das hat den Kontakt mit Frau Adler wiederhergestellt und zu weiteren Freundschaften geführt, die nach der Wende intensiviert werden konnten. Wir sehen uns einige Kunstwerke, Zeichnungsmappen und Kalender an, alle Achtung, auch die Werke ihres Lebenspartners. Ihr Sohn, der gerade auf den Bayreuther Festspielen Technik und Bühnenaufbau organisiert hat, kommt, und unerwartet auch ihre Tochter mit ihrem Mann, die gerade eine Skulptur aufgestellt haben und Polstermaterial zurückbringen. So gibt es eine große Runde im Garten mit kurzem, intensiven Erzählen, alle werden mit frisch gebackenem Brot, selbst angemachtem Käse und Tee bewirtet, ich bekomme dazu Pommerschen Schichtkohl – Weißkohl gekocht mit angebratenen kleinen Hackfleischkugeln -, gut abgeschmeckt, echte Hausmannskost der Region, sehr lecker, im Restaurant nicht zu bekommen. Hier im Garten haben sie immer viel angebaut, das hat die Versorgung auch in schlechten Künstlerzeiten bestens gesichert. Heute gibt es noch Obst in Mengen, wir sehen volle Birn- ind Pfirsichbäume. Sie fühlen sich hier wohl und werden so lange wie möglich bleiben. Nach zweieinhalb Stunden verabschieden wir uns mit Mühe von diesem munteren Besuch, wir wollen ja noch nach Sassnitz. Auf der Rückfahrt herrscht etwas Rückenwind, Relikte aus DDR-Zeiten und die Kirche in Dersekow begleiten uns auf dem Weg, wir sind 15 Minuten schneller und können eine Runde durch Greifswald drehen, mit Blick auf die Kirchen und in den Dom, das Uni-Hauptgebäude und die alte Bibliothek – die Uni wurde 1456 gegründet und ist eine der ältesten der Welt –, nochmals bei anderem Licht auf den Markt und weitere Straßen. Wir tauschen planmäßig Fahrräder gegen Gepäck und haben im Bahnhof noch Zeit zum Einkaufen, bevor der Zug nach Stralsund fährt, wo wir längst den Bioladen am Bahnhof kennen, dort gibt es ausgefallenere Getränke und Kuchen. Weiter gehts nach Sassnitz, in der Dämmerung ziehen wir durch die Hauptstraße zum Hotel. Der Ort liegt erhöht, der Kreidefelsen von Jasmund erhebt sich ab hier langsam, wir blicken öfter hinunter auf die Ostsee. Die Bebauung ist locker und sehr durchwachsen; neben dem schönen Kurhotel ragt ein Hotel-Plattenbau empor, zwischendurch verfallen DDR-Relikte, dazwischen zweigt neugebaut die Ladenzeile der Rügen-Galerie ab. Kurz vor unserem Hotel steigt die Straße zum Königsstuhl den Berg hoch, daneben die kleine evangelische Backsteinkirche. Die Hauptstraße vor dem Hotel ist matschige Baustelle mit Ampelregelung, hier wird alles neu verlegt und die Straße neu gestaltet, was auch für andere Stellen in der Stadt gilt. Die Rezeption hat schon zu, leider haben wir nicht den gewünschten Meerblick bekommen, höchstens scharf um die Ecke. Wir ziehen gleich weiter durch die kleine, verwinkelte Altstadt zur Seepromenade, die zurück zum alten Hafen führt. Hier liegen am Hang altehrwürdige Hotels wie der Fürstenhof in typischer weißer Bäderarchitektur mit Holzbalkonen. Zum Glück haben wir vorher in einen Reiseführer geschaut, das einzige erwähnte Restaurant ist “Gastmahl des Meeres”, dessen Speisekarte überzeugt und ist kaum teurer als üblich, bei den Gerichten, die wir wählen, sogar günstig. Ich nehme zielgerichtet Sprotten aus der Pfanne, da leuchten die Augen der Bedienung, offensichtlich wollen Touristen meistens Fischfilets. So bekomme ich einen Riesenteller mit knusprig gebratenen, leicht anpanierten Fischen – es dürften 30 sein – sie schmecken genial, dazu noch die Reste von Marlis, ich bin wieder mal pappsatt, und das von Fisch. Da kommt zur Verdauung der Treppenanstieg zum Hotel gerade recht. Den Rest des Abends brauchen wir zur Planung, irgendwie wollen wir morgen die Kreidefelsen sehen und nach Hiddensee weiterfahren. Also werden die Texte nicht ganz fertig, dieser findet seinen Abschluss auf der Fähre nach Hiddensee am nächsten Tag. Bei den weiteren Recherchen stelle ich fest, dass der Verkehrsbetrieb Greifswald-Land sogar passende Busse geboten hätte, die aber nicht in die Auskunft der Bahn eingepflegt sind.

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18. September: Berlin und nach Greifswald

Berlin: taz Redaktionssitzung, Hausführung, Versammlung Entwicklungs-KG, Fahrt nach Greifswald

Ich starte um Neun, als Marlis aufsteht. Im taz-Café frühstücke ich, ehe es zur Redaktionssitzung geht. Es ist bestens organisiert: das taz-Café, eine Art öffentliches Betriebsrestaurant und Treffpunkt, ist heute wegen der Veranstaltungen geöffnet. Eine Mitarbeiterin empfängt engagiert die angemeldeten Gäste. Um die 15 Tazler herum sitzen kompakt 50 Zuhörer. Die Sitzung beginnt mit einer ausführlichen Blattkritik. Danach stellen die einzelnen Ressorts die Schwerpunkte ihrer Seiten vor. Besonderheit ist heute die Berlinwahl, dadurch wird über sonst umstrittene Seiten nicht gekämpft, dafür wird die zeitliche Umschichtung von Artikeln und Seiten besprochen, um beispielsweise in Berlin und im Rhein-Main-Gebiet in der Nähe der Frankfurter Druckerei eine möglichst aktuelle Zeitung zu liefern; Passau bekommt die älteste Ausgabe, da der Transportweg am längsten ist. Insgesamt geht es ruhig und professionell zu, kontroverse Meinungen werden allerdings geäußert und kurz ausdiskutiert. Selbst das Publikum kann kurze Beiträge einbringen. Nach 45 Minuten sind wir fertig, kurz vor elf ist Marlis da und wir starten als eine von drei Führungen mit dem taz-Urgestein Herrn Thalhammer vom Vertrieb, der auch für die Immobilie zuständig ist. Das alte Gebäude mit Blick auf die Springer-Zentrale stand vor der Wende als einziges einer früheren Reihe nahe am Checkpoint Charlie, die taz hatte eine Stiftung gefunden, die mit ihren Mitteln das Gebäude günstig kaufen und an die taz vermieten konnte; gleich nach der Wende konnte die taz das Vorkaufsrecht nutzen und das Gebäude ohne Spekulationsaufschläge kaufen, später wurde dann der mit dem Altbau verbundene Neubau geschickt intern finanziert mit dem Kapital der taz-Panter-Stiftung, die dafür von der taz gute Zinsen erhält, die aber für die taz günstiger als am Kapitalmarkt sind. So ist die taz komplett unabhängig; das Kapital kommt von den fast 11.000 Genossen und den Kommanditisten der Entwicklungs-KG, zu denen ich auch gehöre. Daher muss ich um zwölf aus der Führung aussteigen, bisher haben wir die taz-Historie diskutiert und die oberen Stockwerke mit den komplett transparenten glasunterteilten Büros gesehen; Marlis kann dabeibleiben und auch die neugestalteten Stockwerke sehen und nochmal durch die Stadt gehen.
Ich bin bei der Versammlung der taz-Entwicklungs-KG im Kreis von etwa 15 Kommanditisten dabei. Die positive Entwicklung sorgt für Einigkeit; viel spannender ist die Vorführung der Online-Aktivitäten durch die Gruppe um Matthias Urbach, die taz.de, die Bezahlkonzepte und die Facebook-Aktivitäten umfasst. Das ist umso wichtiger, da wir Geldgeber alle ältere Semester sind und den Zugang zu diesen neuen Formen nur gefunden haben und den Sinn und die Zukunftsbedeutung allenfalls ahnen. Auch dieser Tag hat tiefe Einblicke gebracht und mich darin bestärkt, dass mein finanzielles Engagement hier richtig ist; etliche bedeutende Journalisten an großen Häusern kommen mittlerweile von der taz.
Draußen regnet es fast den ganzen Tag; wir treffen uns im Hotel, sammeln das Gepäck ein und umgehen die Engstelle auf der Stadtbahn, indem wir den Zug nach Greifswald in Gesundbrunnen besteigen. Der RE ist rappelvoll mit Menschen und Gepäck und feucht, wir brauchen etwas Zeit, bis wir angenehme Plätze gefunden haben. In Greifswald ist es schon dunkel und regnet immer noch. Die letzten Tage waren intensiv, so reicht es gerade noch zum Essen im Hotel und Tippen beim Fernsehen.

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