21. September: Hiddensee

Hiddensee: Wanderung über die ganze Insel von Süd nach Nord, umgekehrt mit dem Bus

Hier gibt es Frühstück bis elf und keinen Autolärm. Also wird ausgeschlafen, ich allerdings deutlich kürzer, so bekomme ich alle Texte fertig, und bei den Fotos fehlen nur zwei Tage. Das Frühstück gehört zu den besten, die wir hatten: frische Salate, gute Joghurts, klassische Musik, nicht von der Stange. Wir lassen es uns gut gehen, kurz nach zwölf gehen wir los. Vorbei an der Buchhandlung und der in einer Amtsstube versteckten Touristinfo – über den Hof läuft der Inselpolizist und grüßt – wählen wir den boddenseitigen Wallweg nach Kloster, von dem wir gute Sicht auf die sumpfigen Wiesen, den Bodden und den vor uns liegenden Dornbusch mit Leuchtturm haben. Zwischendurch blinzelt mal kurz die Sonne durch. In Kloster schauen wir uns das Fachwerk-Hotel Hitthim und den alten Torbogen an. Um die kleine Inselkirche von 1332 liegt der Friedhof mit sehr alten Grabsteinen, dem Grab von Gerhart Hauptmann und geräumigen, von großen Hecken umgebenen Grabstätten. Innen ist die Kirche schlicht und schön blau-weiß gestaltet mit bemaltem Holz-Tonnengewölbe und Taufengel schwebend darunter. Die Straßen sind eher Wege und bis auf die Hauptstraßen ungepflastert. Im Frühjahr waren wir in der Bäckerei, dort gehen wir wieder vorbei, bevor wir nach Norden abbiegen. Da kommen uns vor einer Galerie gegenüber Ausstellungsstücke aus Filz bekannt vor, bei genauerem Hinsehen stellen wir fest, dass Michaela Driemel ausstellt und anwesend ist. Ihren Mann hatten wir im Frühjahr auf dem Schiff nach Hiddensee getroffen und dann auf der Rundfahrt ihre damalige Ausstellung besucht, später sind wir an ihrem Wohnort Gronau gewesen. Wir gehen hinein und treffen sie tatsächlich an; sie stutzt und erkennt mich dann, wir begrüßen uns herzlich. Wir verabschieden uns nach kurzem Gespräch und vertagen uns auf morgen beim Frühstück, sie hat einige Kunden um sich herum. Hübsche Häuschen ziehen sich auf dem Weg nach Norden den Hang hoch, dann geht es in eine Landschaft über, die dem Namen Dornbusch alle Ehre macht: eine wilde hügelige Wiesengegend, sandig, darauf verstreut allerlei Dornenbüsche, darunter Sanddorn mit prallen, orange leuchtenden Beerenbüscheln an den Ästen, geschützt durch unauffällige, lange Dornen. Überall bieten sich Blicke vom Hang nach Süden über die Insel, besonders vom Hexenberg. Oberhalb, auf dem Kamm, wächst lockerer Laubwald. Auf diesem Wanderpfad ist gar nichts los; dieTagesausflügler haben wir unten auf den Pflasterwegen in Pferdeplanwagen und den Läden getroffen und sehen sie auf dem breiten Weg hinauf zum Gasthaus Klausner ziehen; auch unser Weg führt uns dorthin, viel ruhiger und abwechslungsreicher, aben ein bisschen mühsamer. Den Klausner passieren wir, bei der Live-Dudelmusik hätten wir eh keine Lust zur Einkehr. Diesmal treffen wir den Leuchtturm von 1888 direkt und rechtzeitig, nach etwa 100 Stufen sind wir 92 m über dem Meer, der höchste Leuchtturm an der deutschen Ostseeküste. Die letzten zehn Stufen sind eine schmale Leiter, dann können wir die gesamte Boddenlandschaft bis Kap Arkona, die Nordzipfel Alt- und Neubessin, Stralsund und Zingst und die freie Ostsee überblicken vom offenen Rundgang um den Turm unterhalb der mächtigen Fresnellinse des heute automatischen Feuers. Wir steigen über einsame Sandwege ab in den ältesten, kleinsten und nördlichsten Ort der Insel, Grieben, 50 meist reetgedeckte Häuser. Es reicht zur Einkehr im alten Seemannsgasthof Enddorn mit Kaffee und Kuchen und leider Sprühsahne, bis uns der Inselbus mit 20 Plätzen und übersichtlichem Fahrpreissystem – Halbtageskarte 3 € – einmal längs über die Insel von Endstation zu Endstation nach Neuendorf zum Hafen fährt, der letzte Bus, für uns mitten am Tag. Die weißen Häuser stehen locker, verbunden allenfalls durch unauffällige Trampelpfade im Wiesengelände, nur der Pflasterweg zum Hafen, auf dem der Bus fährt, führt hindurch. Mittendrin liegt eine sumpfige Wiese. Durch die Düne kommen wir an den Westrand und sehen bei der Restaurierung der Buhnen aus Holzpfählen zu, die originelle Baumaschine ist ein Bagger mit Ramme und fährt auf Raupen im Wasser herum und sitzt auf einem zwei Meter hohen Sockel. Wir wandern Richtung Vitte, in gebührendem Abstand nehme ich mein letztes Bad des Reisejahres im Meer, hier sind wir alleine, die Badehose kann trocken bleiben, der Sand ist fest und fein, das Wasser wenig salzig, dafür ist es richtig kalt, 14 Grad lese ich hinterher in WetterOnline, Warmschwimmen ist angesagt, es kribbelt, und hinterher weiß ich nicht, ob es kalt oder heiß ist. Wir laufen noch ein Stück auf dem gut begehbaren, langsam breiter werdenden, sauberen Strand, auf dem viele braune Seegrasbüschel liegen, dann biegen wir ab über die Düne durch den Waldstreifen in die Heide. Die Landschaft ist abwechslungsreich und wellig, sumpfige Stellen wechseln mit trockenen, verteilt stehen Birken und Büsche, alles eingerahmt von Waldstreifen. Und genau jetzt öffnet sich für eine Viertelstunde der Himmel, und alles glitzert im Abendlicht. Das Heidekraut ist zwar in der Fläche schon grau und trocken, aber einzelne Büsche bieten sich noch fotogen blühend an. Und in einer Birke entdecken wir die Netze von zwei Kreuzspinnen, die sich heftig im Wind gegen den Autofokus wehren, irgendwann haben wir sie, und die Mücken uns. Die Sonne verschwindet wieder und wir an den Strand zurück. Nach den restlichen Kilometern laufen wir in der Dämmerung von Süden her in Vitte ein und essen gut zu Abend, zum Abschluss gibt es einen Sanddorn-Eisbecher für beide. In der Summe haben wir heute die Insel vom nördlichsten Ort über den Leuchtturm bis zum südlichsten mit allen Landschaftsarten durchschritten, der Inselbus hat uns dabei geholfen.

Dieser Beitrag wurde unter eigenes Ziel abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setzen Sie ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten auf 21. September: Hiddensee

  1. hallo marlis und joachim,
    schön, dass ihr noch einmal hiddensee besucht habt, wenn auch wieder in einem knapp bemessenen zeitfenster. die herbsttage, sanddornzeit, waren uns immer die liebsten, wenn auch die finger vom “sanddornmelken” schon arg zerschunden waren, es aber in dieser zeit auch ein einmaliges licht zum fotografieren gab und gibt, wie man ja sieht. vielleicht vielleicht schafft ihr ja noch ein drittes mal und werdet wieder neues entdecken, wie z.b. die sprosser in den kartoffelrosen vor kloster im juni, die einsamen sandstrände südlich von neuendorf …
    die steinbotschaft auf eurer karte hat uns natürlich ganz besonders gefallen.
    alles gute und viel freude bei den letzten entdeckungsfahrten.
    ulli & christine

  2. Gabriele Heck sagt:

    Hallo, Ihr beiden,

    das sind aber schöne Naturfotos! Auch die Fotos vom vorhergehenden Bericht haben mir so gut gefallen, dass ich mich kaum daran satt sehen konnte.
    Lachen musste ich über die Hosen im Wind.

    Wegen des ersten Satzes bin ich nachdenklich geworden: Wo gibt es denn heute noch keinen Autolärm. Oder besser gesagt: Wo ist es heute überhaupt noch STILL?
    Es sind ja nicht nur die Autos. Alles macht Geräusche. Überall brummt, ziept, summt es. Auch zuhause. Der PC, der Kühlschrank, die Lampe. Und wenn es endlich mal wirklich ruhig ist, dann saust es im Ohr. Kein Wunder. Also: Genießt die Stille!