13. August: Rundgang in Wismar

Wismar: Kirchen, Karstadt, Sektkellerei, Stadt

Heute haben wir uns entschieden, Wismar zu entdecken, weil am Samstag die Geschäfte offen sind. Schon die Breite Straße mit dem Hotel ist malerisch. Im Vorbeigehen ist uns das Gebäude der früheren Löwenapotheke aufgefallen, heute Café und Weinhandlung, spontan gehen wir hinein und treffen die Architektin und Inhaberin Doreen Rump. Alles ist sehr schlicht und stimmig gestaltet, und einige uns bekannte Pfälzer Winzer sind vertreten. Das gefällt uns gut, so kommen wir gleich ins Gespräch. Dazu gesellt sich noch Dr. Zielenkiewitz, der Präsident der Bürgerschaft. Wir erfahren viel über die Sprengung des kriegsbeschädigten Kirchenschiffs der Marienkirche Anfang der 60er in einer Nacht- und Nebel-Aktion, Weltkulturerbe-Status der Stadt, verschiedene Ausstellungen, das Zeughaus, Seilschaften und den Stolz der Bürger auf ihre Stadt, den wir in LU vermissen. Das ist ein fulminanter Tages-Start. Richtung Marktplatz kommen wir am Karstadt-Stammhaus vorbei. 1881 ist Rudolph Karstadt mit dem neuen Anspruch angetreten: alles unter einem Dach, günstigst zu Festpreisen, aber nur gegen bar. Heute ist es ein eher kleines Kaufhaus, es dürfte nach der Wende wieder von Karstadt übernommen und saniert worden sein. Es soll ein altes Kontor geben, das finden wir erst auf Nachfrage in einer hinteren Ecke, eher eine lieblose Altmöbelansammlung als ein Museum. Auf dem riesigen quadratischen Marktplatz mit seinen schmucken Giebelhäusern verliert sich ein eher kleiner Wochenmarkt, das ganze Ensemble, aus dem das Backsteinhaus des alten Schweden und die Wasserkunst besonders hervorsticht, zeugt allerdings von dem Reichtum der Hanse. Durch kleine Straßen gehen wir zur Hanse-Sektkellerei, deren Gewölbe sich unter einem hässlichen Neubau am Rande der historischen Innenstadt versteckt. Das alte Gewölbesystem selbst ist beeindruckend, hier werden hauptsächlich Marken des heutigen Stammhauses Schloss Wachenheim angeboten, eine spezielle Hanse-Abfüllung reift sogar hier vor Ort. Zu DDR-Zeiten wurde hier Wein zu verschiedenen Cuvees mit Phantasienamen verschnitten. Wir sind in einer kurzen ruhigen Zeit zwischen Bustouren und Touristengruppen da, so bekommen wir exklusive Proben und Erläuterungen der Verkäuferin. Durch andere Straßen erreichen wir den malerischen Fürstenhof, heute Amtsgericht. Das macht das Weltkulturerbe aus: in der fast kreisrunden Altstadt von etwa einem Kilometer Durchmesser, um die eine Ringstraße entlang der früheren Stadtbefestigung führt, hat jede Straße ein fast geschlossenes historisches Ambiente zu bieten, wenig Fachwerk, viel Backstein, schöne Giebel, kein übertriebener Kontrast zwischen poppiger Übersanierung und dazwischenliegenden Abbruchhäusern. Hier wartet zwar auch noch manches, aber nicht in übelstem Zustand. Und es gibt viel guterhaltenes Kopfsteinpflaster der grobesten Sorte. In einem netten Cafégarten machen wir Pause, dann nehmen wir uns die Kirchen vor: Wir beginnen mit dem übriggebliebenen wuchtigen, quadratischen, über 80 Meter hohen Turm von St. Marien. Ein Film erläutert anschaulich die damalige Baudurchführung, manches davon haben wir noch nicht so anschaulich gesehen: die Grundriss-Konstruktion mit großen Schnurzirkeln, die Herstellung der Formsteine mit Schablonen, der Gerüstbau, das Hochziehen schwerer Teile mit Tretrad-angetriebenen Seilwinden. Am Platz steht noch das beeindruckende Gebäude des Archidiakonats, zwischendurch immer mal ein unsaniertes Gebäude. Das Zeughaus muss für Montag bleiben, wenn die Bibliothek geöffnet ist. In der mächtigen, an Rostock erinnernden Kirche St. Georgen ist ein Konzert, wir können nur durchs Fenster in den fast fertig wiederaufgebauten Innenraum schauen. Die heute evangelische Heiligen-Geist-Kirche ist aus einem Siechenhaus gewachsen und bildet mit diesen Nebengebäuden einen schönen Innenhof. Der quaderförmige Innenraum mit der alles frei überspannenden Holzdecke, die die bei einer Pulverexplosion um 1700 zerstörte Gewölbedecke ersetzt hat, deren Spannbalken noch etwas unmotiviert und unsymmetrisch unter der Decke hängen, birgt viele interessante Details, die etwas vom Kirchen-Üblichen abweichen. Der Küster Rüdiger Röpke spricht uns an und gibt uns umfassende Erläuterungen, leider begrenzt durch die Öffnungszeit der Wismar-Ausstellung unter dem Rathaus, in die wir wenigstens kurz reinschauen wollen. Hier gibt es Vitrinen mit Dokumenten, Sammlerstücken und Texttafeln besonders über die Hansezeit, recht anschaulich dargestellt, der kurze Überblick reicht uns. Beeindruckend ist auch die wuchtige, hohe Nikolaikirche aus Backstein, die uns an Stendal erinnert. Mit Mühe erreichen wir die Turmführung auf St. Marien, für die wir uns eingetragen haben. Man ist sekundengenau gestartet, lässt uns netterweise aber zwei Minuten später noch hinterher. Die Sicht aus dem Turm ist zwar schlecht, und in die Uhrspitze darf nur der Uhrmacher, die Holztreppenkonstruktion im riesigen offenen Quadrat des Turminneren mit den langen gotischen Fenstern und dem 750 Jahre alten, komplett originalen Glockenstuhl samt Glocken ist sehenswert genug. Neben dem gesprengten Kirchenschiff, dessen Grundriss 1,50 Meter hoch gegenwärtig als Mahnmal wieder den bisherigen Parkplatz ersetzt, steht die Notkirche, eine in drei Modelltypen von Otto Bartning entworfene und in 43 Exemplaren gebaute, sehr preiswerte, leicht vor Ort zusammenbaubare Holzbogenkonstruktion, die mit Trümmersteinen ausgefacht wurde, und, wie viele Provisorien, heute noch hält. Auf das von Dr. Zielenkiewitz erwähnte Konzert der “Herren”, das gleich in dieser Kirche stattfindet, verzichten wir nach dem langen Tag, was sich im Endeffekt als nicht so schlau erweist. Wir streben statt dessen gleich seine Restaurantempfehlung, den Ziegenkrug, an, leider hoffnungslos auf längere Zeit ausgebucht, im nächsten gefällt uns das Schnitzel-orientierte Angebot nicht, wir landen im “Zum Weinberg”, einem Muss für Touristen mit seinem 650 Jahre alten Innenraum und leider auch darauf abgestellter Speisekarte, Fisch nur als langweilige, wenig regionale Filets. In der Not wähle ich kalte eingelegte saure Heringe, die ich mit dem Wein zusammen nicht vertrage. Es liegt mir jedenfalls im Magen, ich bin schlapp, und in der Nacht dreht sich alles um. Wären wir ins Konzert gegangen, hätte danach der Zigenkrug Platz gehabt, der Text wäre vielleicht noch am Abend entstanden, und ich hätte nicht bis Montag abend mit meinem Magen gekämpft. Hätte … Wir sind ja positiv verwöhnt im Bahn-Reise-Jahr, aber es kann ja nicht alles optimal laufen.

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