12. August: Waren, Fahrt nach Wismar

Waren: Suche nach der Getränkeproduktion (Ziel: von mir), Weiterfahrt nach Wismar

Schon früh ruft die Stadtarchivarin Frau Linne an und nennt die Ernst-Alban-Straße 9 als vermutlichen Standort der Getränkeabfüllung, die allerdings höchstens bis 1995 existiert hat. Unterlagen hat sie keine. Wir frühstücken gut mit vielen anderen Gästen zusammen, mit Blick in den Garten, den wir nach dem Auscheck besichtigen. Das Lebenshilfswerk Waren hat ab 2001 hinter dem Hotel eine Gärtnerei mit Baumschule und Pflanzenverkauf errichtet, in der Behinderte ausgebildet werden. Das Gelände der ehemaligen Stadtgärtnerei wurde integriert, dadurch stand eine Halbinsel im Tiefwarensee zur Verfügung. Entstanden ist ein wunderschöner Garten mit einer geordneten barocken Abteilung, in die die Zitrusfrüchte integriert sind, ein englischer Gartenteil mit Hecken, Rosen und freigelegtem altem Baumbestand und langer Uferlinie, ein Heide- und ein Blumengarten. Dazu kommt ein kleines, jedoch sehr variantenreiches Kakteen-Schauhaus und Orchideen. Dieser Garten ist an sich schon einen Besuch wert. Vom Plateau der Feuertreppe genießen wir einen besseren Blick über den See. Mit nur wenig leichtem Regen schaffen wir die nächste Etappe: Am Bahnhof schließen wir unser Gepäck ein und gehen durch die Wohnsiedlungen von Waren-West ins Gewerbegebiet. Wir passieren die Westsiedlung, die der Berliner Architekt Günther Paulus 1936 bis 1941 um den Friedrich-Engels-Platz für die deutschen Werksangehörigen eines Rüstungsbetriebes erbaut hat. Es sind schöne Backsteinhäuser, deren Vorgärten und Bürgersteige heute noch akkurat gepflegt werden, was uns sogar live vorgeführt wird. Im Blockinneren gibt es Kleingärten mit Schuppen, dann folgen einige Straßen mit meist älteren, ebenfalls gut erhaltenen Einfamilienhäusern.
Jetzt gelangen wir in die Ernst-Alban-Straße. Es hat sich viel verändert, etliche Hallen sehen neuer aus, viele sind mindestens saniert und neu verkleidet, damit kaum wiedererkennbar. Vor allem ist das Umfeld aufgeräumter, die Außenflächen sind sauber oder begrünt, Straßen und Bürgersteige ausgebaut. Nur einzelne Hallen sind unverkennbar DDR-Hinterlassenschaft. Wir kommen an der Nr. 9 vorbei, wo heute die Warener Waschfee sitzt, die von der Stadtarchivarin Frau Linne als ehemaliger Standort der Getränkeproduktion genannt wurde. Hinten am Wendehammer, am nächsten an der Bahn gelegen, befindet sich auf einem Gelände ein Getränkemarkt mit zwei weiteren alten Hallen. Da ich mich an den Wendehammer erinnern kann, gehen wir hier erstmal stöbern. Die Inhaberin des Getränkemarktes denkt mit uns nach, kennt aber die Geschichte des Geländes nicht so genau und vermutet, dass es nicht in Frage kommt, weil die bis vor kurzem in anderen Hallen existierende Mosterei schon zu DDR-Zeiten produzierte, was uns andere später bestätigen. Dafür nehmen wir Original Mecklenburger Fassbrause der kleinen Vielanker Brauerei, eine typische DDR-Limo, zum Probieren mit. Wir laufen um die Hallen bis zum Bahndamm, als auf der eingleisigen Strecke ein kleiner Triebwagen der ODEG, die wir schon aus Joachimsthal kennen, vorbeifährt; das dürfte genau der Zug sein, den wir zwei Stunden später nehmen wollen. Der Hof besteht aus großen, nicht ganz ebenen Betonplatten, die Wege aus Betonfertigteilen, erkennbar an den versenkten Eisenhaken, alles noch DDR-Hinterlassenschaft. Gegenüber liegt die große Fischverarbeitung der Firma Friedrichs aus Hamburg, zu deren Büro werden wir weiterverwiesen. Die Damen lassen sich gerne bei der Mittagspause stören, tatsächlich kann sich eine Mitarbeiterin, die schon lange hier im Gewerbegebiet arbeitet, an die Getränkeproduktion im Gebäude der Waschfee erinnern. Zur benachbarten, etwas abgerupft und verlassen aussehenden Disko nebenan können die Damen berichten, dass das nur am Tag so aussieht; morgens begegnen sie manchmal noch den letzten Gästen. Wir ziehen weiter zur Waschfee. Vorbei an einem kleinen als privat gekennzeichneten Gebäude und nach Blicken in die Halle mit großen Mangelanlagen finden wir hinten im noch original betonierten Hof, in dem links ein Metallbaubetrieb werkelt, von hinten den Aufgang ins Büro über der Halle. So ganz klickt es bei mir noch nicht. Hier oben sind alle Räume für die Mitarbeiter. Wir werden in die Verwaltung verwiesen, dort wird gleich der Inhaber und Geschäftsführer Wolfgang Woiterski eingeschaltet, der von unseren Forschungen sehr angetan ist und viel berichten kann. Im Gespräch schließt sich die Geschichte: Er selbst

zwei Mathematiker

ist wie ich Diplom-Mathematiker, damit hätte er in der DDR in die Wissenschaft gehen sollen, die EDV war eher für die anderen Naturwissenschaftler vorgesehen. Er fühlte sich jedoch als Praktiker und landete schon um 1975 in der Wäschereibranche. Nach der Wende leitete er einen kleineren Wäschereibetrieb in der Rosenthalstraße in Waren. Den Betrieb konnte er vor der Eingliederung in eine größere Einheit durch die Treuhand retten, indem er ihn selbst übernahm. Das kleinere zentrumsnahe Gelände konnte er gut verkaufen und damit von Coca-Cola 1993 den mittlerweile ausgeräumten Betrieb kaufen. Den Betrieb müßte ich damals als AFG unter Geschäftsführer Weiß kennengelernt haben, er hatte sich wohl schon gleich nach der Wende aus dem VEB Getränkekombinat Neubrandenburg gelöst. Coca-Cola hat den Betrieb bald übernommen, sicher von vornherein mit dem Ziel, die Produktion zu konzentrieren, die Mitarbeiter wurden großzügig mit bis zu 100.000 DM abgefunden, heute wird nur noch in Bad Doberan abgefüllt. Die Anlagen waren noch nicht alt, das Gebäude wurde 1982 vom Landbaukombinat errichtet. Er führt uns durch einige Räume, frühere Labore, zeigt alte Fliesen, Holz-Deckentäfelung und eine DDR-Spezialkonstruktion: die tragenden Beton-Fensterrahmen, auf denen die Dachträger aufliegen. Es gibt also für das Dach keinen umlaufenden Ringanker, die Fenster lassen sich zu vertretbaren Kosten nicht verändern. Insgesamt hat er hier kostenbewusst erweitert und übrige Hallen weiterverkauft, sicher das Geheimnis, wie er den Übergang geschafft hat. Sein Betrieb ist von 600 auf 2200 Tonnen Jahreswaschleistung gewachsen, er führt noch einen größeren Betrieb in Stralsund und gehört zu einem deutschlandweit anbietenden Wäschereiverbund. In der Halle musste er einen neuen Boden legen, der alte war durch Mengen von Glassplittern unbenutzbar. Das habe ich damals mitbekommen: die Anlagen waren in schlechtem Zustand, es gab oft Bruch. Als ich nach dem kleinen Eingangshäuschen frage, hilft Herr Woiterski meiner Erinnerung auf die Sprünge: Das war nicht die Verwaltung, sondern das Pförtnerhaus, dort hing eine große alte Telefonzentrale, und ich kann mich dunkel erinnern, dass der Pförtner mir eine Verbindung in den Westen herstellen musste, als ich auftretende Probleme klären musste. Wir verabschieden uns begeistert, mehr ist aus meiner Erinnerung nicht herauszuholen. Damals war ich schließlich nur auf die Arbeit konzentriert, Fotos habe ich keine gemacht, und viel Zeit, Waren anzusehen, hatte ich bestimmt nicht, übernachtet habe ich sicher in einem Ferienheim. Da sieht heute alles ganz anders aus: Waren weist 25 Hotels und Pensionen aus, dazu noch jede Menge Ferienwohnungen und Privatzimmer. Bei leichtem Regen durchqueren wir die Plattenbausiedlungen im Westen, die großenteils saniert und wärmegedämmt sind, beim Rest läuft die Sanierung und teilweise der Rückbau an. Am Volksbad am Müritzufer entscheide ich mich, nicht zu baden, es ist zwar warm genug, aber in keiner Weise attraktiv bei feuchtem, trübem Wetter. Vorbei an Ufervillen in unterschiedlichem Zustand gehen wir Richtung Altstadt. Kurz vor dem neuen Naturmuseum Müritzeum fängt es heftig an zu regnen, wir kehren kurz ein und stellen fest, dass es in den nächsten Stunden ähnlich nass bleiben wird, und machen uns daher auf die letzten Meter Richtung Bahnhof. Auch wenn wir einiges ausgelassen haben, sind wir sehr angetan von Waren, das sich bei unserem Kurzbesuch in überwiegend sehr gutem Zustand präsentiert hat, und der Mecklenburgischen Seenplatte. Es sind allerdings auch sichtbar große Summen investiert worden. Am Nachmittag fahren wir auf der eingleisigen Bahnstrecke über Parchim gemächlich mit Blick auf Wiesen und Wälder mit viel Regen und Rehen nach Ludwigslust, das sich auf einem kurzen Rundgang während der Umsteigezeit ebenfalls als interessant zeigt, auch wenn wir es nicht bis zum Schloss und in die Altstadt schaffen. In Wismar angekommen, bekommen wir auf dem Weg ins Hotel und beim Rundgang in der Dämmerung schon einen guten Eindruck von Altstadt und Hafen, den wir morgen vertiefen werden. Wir essen im Hotel; ich bin begeistert vom der gleich zweifach auf meinem Teller liegenden Ostseeflunder mit Speckwürfeln, die sich bestens zerlegen lässt. Heute abend kommt die Müdigkeit, mit der ich gestern gerechnet hatte, der Bericht zum umfangreichen Tag bleibt bis morgen liegen.

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