15. Juli: Neumünster

Neumünster: Treffen mit Kulturbüro und Presse, Stadtrundgang (Ziel: Prof. Dr. Günter Dhom) und Museum Tuch+Technik

Vor dem Fenster unseres Zimmers habe ich einen Pool gesehen und gefragt, ob ich den nutzen könnte. Er ist zwar privat, aber ich darf! Ich liebe es, mich morgens statt länglich unter der Dusche im kühlen Pool aufzuwecken, wenn das direkt aus dem Bett heraus geht. Heute morgen ist es zwar feucht und kühl, das Wasser ist aber durchaus erträglich, nach einigen Schwimmzügen sogar angenehm. Danach fühle ich mich richtig wach und beginne mit dem Rest des Aufstehens. Wir haben einen Termin beim Kulturbüro der Stadt mit der Leiterin Frau Höhn und dem Redakteur des Holstein Courier, Rolf Ziehm. Zustandegekommen ist der Termin durch den Kontakt mit dem Stadtarchiv. Der Leiter, Dr. Obst, hat uns zu einigen Fragen weitere Hinweise gegeben und uns weitergereicht. Wir berichten über unsere Reisen und Erlebnisse und kommen gut in Fahrt, der Redakteur schreibt kräftig mit, Montag soll ein Bericht erscheinen. Die zündende Idee, wie man das Thema für die Stadt aufbereiten könnte, bleibt leider aus, die Randbedingung “kein Geld” schwebt wie immer im Raum. Wir bleiben in Kontakt. Rolf Ziehm fährt mit uns zur Redaktion und läuft eine Runde über Museum, Kleinflecken, Teich, Lütjenstraße und Großflecken und macht Fotos von uns. Dabei wird einiges klarer. Die Mühle am Ausfluss des Mühlenteichs in der Lütjenstraße direkt gegenüber dem alten Haus Nr. 7 von Puppen-Popp, wo Dr. Dhom das Rauschen des Wassers und die Eisenbahnen im Fenster beschrieben hat, steht nicht mehr, die Schwale kommt erst hinter der neuen Bebauung wieder aus dem Rohr, aus der Mühlenbrücke ist mittlerweile eine ganze Überbauung geworden. Nur das Gasthaus zur Mühle, das eine Beziehung zum Neumünster-Roman “Bauern, Bonzen und Bomben” von Hans Fallada hat, steht noch. Am Haus Nr. 2, wo die Großeltern Kutscheidt von Dr. Dhom gewohnt haben, sind keine Spuren mehr von Kutscheidts zu finden; kein Wunder, nachdem wir rausbekommen, dass das Haus ein Neubau ist und nur im Obergeschoss das alte Fachwerk nachempfunden wurde. Beim genauen Hinsehen ist das an einem alten Foto im Schaufenster des Feinkostgeschäfts Rüschmann zu erkennen, leider hat der Laden gerade Sommerferien. Ihren Charakter hat die schmale und ungerade Straße, jetzt als Fußgängerzone, behalten. Wir haben zwei Postkarten aus den 50er und 60er Jahren, auf denen der Blick von der Lütjenstraße über den Großflecken in die Holstenstraße abgebildet ist. Die zwei markanten Eckgebäude und die Umgebung sind bestens zu erkennen, nur auf dem Platz sind jetzt neuere größere Pavillons, die die Sicht etwas versperren. Vorn am Teich zeigt uns Herr Ziehm einen großen Flachbau von der Postkarte, den wir kaum erkannt haben: das Schwarz-Weiß-Foto und einige Verbauungen haben die Wiedererkennung erschwert. Im Kuhberg – dem Broadway von Neumünster – wohin laut Dr. Obst Puppen-Popp später in die Nr. 34 umgezogen ist, finden wir tatsächlich ein Geschäft, das neben Spielwaren noch Bücher und Musikinstrumente führt. Wir unterhalten uns mit den Inhabern, sie sehen sich tatsächlich in der Nachfolge und haben vor ca. fünf Jahren Teile des Warenbestandes übernommen, als die Popp-Schwestern aus Altersgründen aufgehört haben. Wir ziehen über den Wochenmarkt, der auf dem riesigen Großflecken viel Platz hat, weiter Richtung Bahnhof, schauen in die katholische Kirche St. Maria-St. Vicelin von 1893, zu der der Fabrikant Sager in der Boomzeit der Tuchherstellung das Grundstück gestellt hatte, nachdem durch die Anwerbung von Arbeitskräften – unter anderem aus dem Eichsfeld (vor drei Tagen waren wir in Großbartloff!) – eine nennenswerte katholische Gemeinde entstanden war. Gegenüber finden wir einen grünen runden Zylinder aus Stahlblech, ein noch funktionstüchtiges Pissoir aus dem 19. Jahrhundert, das hier steht, weil es in dieser Straße oft größere Ansammlungen Wartender an der Bahnschranke gab, bis 1904 die Eisenbahn hochgelegt wurde. Am südlichen Ende des Teiches mit Fischtreppe am Abfluss – man will wieder Lachse in die Schwale locken – steht die Stadthalle aus den 80er Jahren, an die mit einem Übergang der lichte Block (“Vitirine”) des Museums Tuch + Technik von 2007 angeschlossen ist. Hier werden vom Förderverein über Jahrzehnte erhaltene große Textilmaschinen in Funktion gezeigt, und, systematisch aufbereitet und anschaulich erläutert, die Entwicklung der Textilherstellung seit der Steinzeit, besonders aber seit der Industrialisierung und ihrer Blüte in Neumünster, dargestellt – sehenswert. Die Sonderausstellung zur europäischen Quilt-Kunst spricht uns nicht besonders an, das sind nicht unsere Muster. Wir können mit der Museumsdirektorin Astrid Frebert sprechen und diskutieren Möglichkeiten einer Ausstellung des Reiseprojektes. Das gibt einige Anregungen, zumal wir auch die in Frage kommenden Flächen sehen, es kann weitergären, vielleicht auch auf Museumsseite. Wir überqueren den früheren ersten Platz, den Kleinflecken. Im Café Oldehus, einem typischen alten Fachwerkhaus gegenüber dem Alten Rathaus, genehmigen wir uns eine Kaffeepause mit hervorragender Torte. Die Stadttöpferei, die einzige Deutschlands mit einem dort wohnenden Stipendiaten, hat leider die Öffnungszeiten geändert und morgen ganz zu, da können wir nur durchs Fenster schauen und sehen Objekte mit deutlich künstlerischem Anspruch. In dieser Straße, dem Fürsthof, gibt es die ältesten Häuser, die die Stadt teilweise saniert hat und selbst nutzt. In und um den schönen Rencks-Park, vor Jahrhunderten Klosterbereich, gibt einige imposante Fabrikantenvillen in unterschiedlichsten Zuständen, auch Backsteingebäude wie die Anschar-Kirche oder die AOK zeugen von der Bedeutung der Zeit um 1900. Insgesamt ist die Bebauung in Neumünster sehr gemischt. Neben einzelnen Bauten aus dem 18. Jahrhundert sind einige repräsentative Villen und Funktionsgebäude aus der Zeit der Industrialisierung von 1850 bis 1910 vorhanden, die teilweise auf Umnutzung warten. Wie wir mitbekommen haben, sind in den 60er und 70er Jahren weitere erhaltenswerte Gebäude der damaligen Erneuerungs- und Straßenverbreiterungswelle zum Opfer gefallen, daher sieht das Bild der Innenstadt recht großzügig und etwas gewürfelt aus, richtig auffällige Sünden fehlen zum Glück. Für heute reicht es uns an diesem trüben und manchmal feuchten Tag. Die Restaurantsuche im Hotel fördert nichts Überzeugendes in erreichbarer Nähe zutage, also nehmen wir den empfohlenen Mexikaner gegenüber. Dort essen wir sicher nicht gehoben, aber doch originell, gut und preiswert. Es ist richtig voll, viele junge Leute sind da, abends wird das hier zum Treffpunkt.

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3 Antworten auf 15. Juli: Neumünster

  1. Liebe Marlis, lieber Joachim,

    wir haben uns bei mir am Eiswagen getroffen und uns über die alte Zeiten, die Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft unterhalten und habt Fotos gemacht, aber leider habt Ihr uns gar nicht in euren Beitrag über Neumünster erwähnt, obwohl das doch von Euch gesagt wurde. Ich konnte da leider nichts finden…

    Liebe Grüße Carsten Rühmann

    • Joachim (Text) & Marlis (Fotos) sagt:

      Hallo Herr Rühmann,
      wir haben Sie nicht vergessen, die Beschreibung und die Bilder sind im Bericht von gestern, wir haben Sie ja direkt nach unserer Ankunft in Neumünster getreoffen. Viel Spaß beim Anschauen, über einen Kommentar dazu freuen wir uns natürlich.
      Marlis & Joachim

  2. Gabriele Heck sagt:

    Liebe Marlis, lieber Joachim,

    die Anmerkung, dass “kein Geld” da ist, um das Thema (Euers eben) für die Stadt aufzubereiten, hat mich eben beim Lesen zum Nachdenken angeregt:

    1. Grundsätzlich kann man doch immer (und nicht nur in Neumünster) zum Beispiel die ansässigen Geschäfte, öffentlichen Einrichtungen oder auch Gaststätten (Ihr beide weilt ja schließlich genug in jenen) dazu anregen, einige Infos von Euch zu “veröffentlichen”.
    2. Da Ihr die Berichte und Fotos ja erst fertig habt, wenn Ihr schon wieder weitergereist seid, könnte dies z.B. Eure Postkarte sein, deren Motiv Eurer Internetseite entnommen ist. Oder fertigt doch ein A4-Miniplakat an, das man farbig kopieren kann (dafür sollte immer Geld da sein) und das auf Euer Projekt aufmerksam macht. Oder Visitenkarten.
    3. Wenn Ihr das in den besagten Räumen auslegen oder aushängen dürft, dann werden die Einwohner vielleicht darauf aufmerksam und neugierig, Eure tollen Berichte und Fotos im Internet anzuschauen. Oder meint Ihr nicht?
    4. Internet: Heutzutage verfügt fast jeder Ort über eine Intranetseite. Dort könnte man vor/während/nach Eurem Besuch einen Hinweis einstellen, den Pressebericht veröffentlichen bzw. verlinken oder einen Link auf Euren Blog einrichten. Das dürfte bestimmt nicht viel kosten. So wäre Euer Blog mit allen Orten verwoben, die Ihr aufgesucht habt.
    Aber wahrscheinlich habt Ihr das schon oft angeregt?