13. Juli: von Kassel nach Gronau

Besuch in Kassel bei Fleischerei Rohde – Ahle Worscht – und Besuch in Gronau

Es ist kühler, trübe und vor allem feucht. Die heutigen Orte sind sozusagen eigene Sehnsuchtsorte: Das nächste Fahrtziel sind Driemels in Gronau bei Hildesheim, die Marlis von einer Fortbildung kennt, und die wir zufällig auf dem Schiff und in Hiddensee am 5. und 6. Mai getroffen haben. Seitdem gilt diese Einladung fürs Bahnreisejahr. Hier in Kassel haben wir uns an die Fleischerei Rohde erinnert, deren Arbeit besonders für die Kasseler Ahle Worscht wir als Slowfood-Mitglieder laufend beobachten, und die wir schon auf mehreren Messen seit 2004 getroffen haben; zu einem Besuch hats bisher nie gereicht, den hat Marlis gestern mit Herrn Rohde organisiert, dank Internet unterwegs geht das recht einfach. Beim Packen merken wir: meine Jacke fehlt. Wir kombinieren: sie kann nur im Lokal von gestern abend geblieben sein, da steigen wir zu Rohde mit der Straßenbahn sowieso um, und es hat schon geöffnet, die Jacke ist tatsächlich da – echt Glück gehabt, Wiederbeschaffung auch noch ohne Zeitaufwand! Der Verkaufsraum der Fleischerei ist klein, aber bestens sortiert, in ausgesuchten Mengen gibt es wichtiges und oft in der richtigen Qualität schwer beschaffbares Zubehör zum Essen von Gewürz über Brot und handwerklichen Käse. Frau Rohde erkennt uns sofort und holt begeistert ihren Mann. Er erinnert sich jetzt auch und steigt gleich mit der Führung ein: Produktion und Lagerung finden in einem über 100 Jahre alten denkmalgeschützten Fachwerk-Hinterhaus statt, das mit seinen Lehmziegelwänden optimale Reifungsbedingungen bietet. Heute herrscht etwas unvorhergesehener Stress: Er muss sechs Ausfälle ausgleichen, bei 21 Angestellten im Zweischichtbetrieb eine echte Aufgabe, zumal bei der traditionellen Warmfleischverarbeitung alles just in Time ablaufen muss: Die zu liefernden Tiere stimmt er ein Jahr im voraus mit seinen Bauern ab, die diese dann selbst zum nahen Schlachthof fahren, von wo sie sofort, noch über 40° warm, in die Zerlegung und Verarbeitung bei ihm kommen, etwa sechs schwere einjährige Schweine mit etwa 180 kg, deren Fütterung genau mit ihm abgestimmt ist. Alles wird aufgezeichnet, er vergibt Chargen-Nummern für die Produktkennzeichnung, aus denen er alles: Schwein, Lieferant, Verarbeitungstag usw. nachverfolgen kann – traditionelle Verarbeitung heißt eben nicht primitiv, es beißt sich nicht mit guter Organisation und Nutzung der heutigen Informationstechnik und Kommunikationsmöglichkeiten, das beweist er eindrucksvoll, ein echter Slowfood-Produzent. Wir werden vorschriftsmäßig mit Einmalkittel, Schuhüberzügen und Haube ausgestattet. Auf engem Raum ist alles gut optimiert: Transport der geschlachteten, warmen Schweine in die Zerlegung über Waage und Temperaturmessung, Wurstherstellung, Abfüllen in Därme. Im oberen Stock befindet sich die Vortrocknung und die Hauptreifung, die Würste durchlaufen hier feste Stationen bei kühlen Temperaturen, bis sie sozusagen am Ende angekommen sind, meist nach einem Jahr. Alles ist systematisch und begehbar mit Trockengestellen ausgerüstet, die komplett mit Würsten behängt sind, auch die Decke. Es wird regelmäßig umgehängt und der Weißschimmel abgerieben. Heraus kommt in dieser lückenlos nachgewiesenen Produktionskette, in der alle Daten im Computer gesammelt werden, ein komplett laktose- und glutenfreies Produkt, wobei in allen Schritten auf Freiheit von Gentechnik geachtet wird. Zusatzstoffe sind allein Salz und Gewürze. In verschiedenen Gebäudeteilen des Vorderhauses sind Nachreifung, Versand und Aufenthaltsräume untergebracht. Es wird genau nach Bedarf hergestellt, der allerdings schon ein Jahr vorher disponiert wurde, die Schweine müssen schließlich erst wachsen. So kommt es, dass im Moment alles ausverkauft ist, da der typische Sommerknick nicht wie erwartet eingetreten ist. Wir bekommen von der ältesten Wurst, der Zweijährigen, schön trocken und mürbe, zu probieren, ein Glas Gurken, eingelegt nach Omas Rezept, und Biobrötchen gibt es dazu, köstlich. Hier steckt echtes Engagement und Spaß an der Arbeit dahinter, so konsequent ist alles auf transparente Qualität in der gesamten Kette ausgerichtet. Wir sind echt beeindruckt und kaufen die passenden Würste als Mitbringsel für unsere nachfolgenden Stationen ein. Unseren weiteren Fahrplan verschieben wir kurzerhand um eine Stunde, diese Führung war zu spannend, um sie durch Planungen zu begrenzen, die sich auch ändern lassen. Am Bahnhof Wilhelmshöhe können wir so einen etwas früheren der vielen ICE nach Göttingen nehmen, dann geht dort der Umstieg sicherer, nach Banteln, wo uns Driemels aus Gronau erwarten. Hier sind wir wieder im Leinetal, wie schon in Heiligenstadt. Nach herzlicher Begrüßung, Kaffeetrinken und Hausbesichtigung ignorieren wir alle Wetterberichte und lassen uns zu einer Rundwanderung im Leinetal und durch Gronau verführen. Wir unterhalten uns intensiv, Hans-Jürgen hat Volkshochschulen geleitet und ist jetzt Kulturamtsleiter im Kreis, wir haben viele gemeinsame Themen und Ansichten, Michaela ist künstlerisch tätig mit Malerei und Mode, es gibt einen regen Austausch, da stört noch nicht mal der leichte Regen und das trübe Wetter, der Regenschirm bleibt trocken, weil nicht dabei. Wir kommen an einem Naturschwimmbad vorbei, das ein Verein betreibt, dort kehren wir ein, noch billiger als im Eichsfeld; Driemels sind Mitglieder und haben daher einen Schlüssel. So können sie schwimmen wann sie wollen, sowas würde mir auch gefallen. Am Abend endet die große Wanderrunde, auf der Terrasse unter der Markise essen wir zu Abend und lassen es um uns herum regnen, bis Mitternacht halten wir es draußen aus, dann besichtigen wir bei einem Grappa die imposante Rock-Schallplatten- und CD-Sammlung.

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Eine Antwort auf 13. Juli: von Kassel nach Gronau

  1. Gabriele Heck sagt:

    Ich hoffe, die ein oder andere Wurst bleibt noch übrig und wir können auch mal probieren? Die sehen richtig lecker aus; und die Beschreibung macht Appetit.