24. Mai: Kehna und zurück

Fahrt nach Kehna (Ziel: Erdmuthe Menze), Besichtigung der Lebensgemeinschaft, Rückfahrt

Wir schreiben Texte und rufen in Kehna an. Wir können kommen, ruhig etwas früher. Dadurch wird der Gang durch Gießen kürzer und beschränkt sich auf den fast direkten Weg zum Bahnhof: Stadttheater, Blick auf die Johanneskirche, in die Fußgängerzone auf den Seltersweg, über das Elefantenklo und vorbei an Liebigmuseum und Mathematicum. Wir schließen das Gepäck wieder ein und fahren zwei Stationen weiter als gestern, nach Niederwalgern, von dort fährt mittags dreimal ein Schulbus nach Kehna. Die Fahrerin nimmt uns gerne mit und kümmert sich rührend um die fünf Grundschulkinder im Bus. Wie gestern ist das Wetter stabil und sonnig, für uns geradezu ideal. Kehna ist ein abgelegenes, idyllisches Dörfchen mit heute 80 Einwohnern, das fast nur aus stattlichen Fachwerk-Bauernhöfen besteht und seit 1988 unter Denkmalschutz steht. Bei einem kurzen Dorfrundgang finden wir beide Höfe der “Gemeinschaft in Kehna”, gegründet von Mitarbeitern aus Friedelhausen, mit im Grundsatz ähnlichen Zielen. Im Detail gab es wohl verschiedene Ansichten über die weitere Richtung, und als 1993 die Gelegenheit zum Kauf dreier Höfe in Kehna bestand, startete ein Kreis um den jetzigen Geschäftsführer Michael Gehrke und Rafael Mader mit dem Ausbau, der 1996 fertig wurde. Acht Bewohner aus Friedelhausen zogen mit um. Als Mitte der Neunziger mein Bruder Rolf, damals in Gießen, sich mit seiner jetzigen Frau Erdmuthe Menze neu orientierte, war auch ein Einstieg in Kehna im Gespräch. Beide entschieden sich dann für ein Projekt in Aachen, am Ort von Erdmuthe, das sie maßgeblich mit aufbauten. Daher hat Erdmuthe Kehna als Ort benannt. Wir treffen Michael Gehrke, der sich wirklich Zeit für uns nimmt und sich nach Rolf erkundigt. Auch andere können sich an ihn und seine genialen Lösungen in allen technischen Bereichen erinnern. Rolf betreute damals einen Diplomanden, der ein Heizungskonzept für Kehna ausarbeitete, das vom Prinzip her auch realisiert wurde. Man setzt hier mehr auf Offenheit und soziale Kontakte nach außen; wichtig ist den Initiatoren die Einbettung ins Dorf, das man aber nicht “übernehmen” will. Zwei der drei Höfe sind voll und liebevoll ausgebaut mit Wohnungen, Verwaltung und Werkstätten. Wichtig ist auch hier der Ansatz der Lebensgemeinschaft auf Basis der Anthroposophie und der heilpädagogischen Camphill-Bewegung.
Die Unternehmungen sind hier andere: Kaffeerösterei, Schreinerei, Weberei sowie Landschaftspflege, die unter anderem die Brennholzproduktion für die eigene Holzheizung und Kaminbetreiber übernimmt. Man vertreibt intensiv übers Internet, das manche der Verkaufsmöglichkeiten erst eröffnet, und an Firmen und Kantinen. Ein kleinerer Teil wird auch vor Ort verkauft, die Rösterei ist wie ein Laden geöffnet, und man kann gemütlich im Hof einen Kaffee trinken. Die Mitarbeiter zeigen uns mit Begeisterung ihre Arbeit, sei es Handselektion von Kaffee, Verpacken oder Weben. Mit immer frisch geröstetem Kaffee, immer in Bio-Qualität und fair gehandelt, spielt man einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung der Gemeinschaft ein. Mit einer Frauenkooperative bestehen direkte Kontakte, dieser Rohkaffee wird selbst importiert und an andere Röstereien vertrieben. So hat sich der DeKene-Kaffee einen Namen am Markt gemacht. Der dritte Hof wird aktuell mit viel Eigenarbeit von Grund auf saniert, und dort soll spätestens Ende 2012 die neue, größere Rösterei mit Café und neuen Wohnungen eröffnen, dann ist der Vollausbau der Gemeinschaft erreicht, die insgesamt etwas kleiner als in Friedelhausen, das wir gestern besucht haben, ist. Dynamik und Atmosphäre erscheinen uns ähnlich, mit ähnlichen Lebens- und anderen Arbeitsschwerpunkten. Auch hier sind wir von der Entwicklung und der laufenden Arbeit äußerst beeindruckt.
Die ganzen Gräser, die wegen konstant regenfreiem Wetter heftig Pollen verteilen, setzen Marlis heftig zu und legen sich auf die Stimmung. Wir laufen daher etwas früher als geplant nach Niederwalgern und erreichen noch im Hellen Ludwigshafen.

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2 Antworten auf 24. Mai: Kehna und zurück

  1. Rolf Krueger sagt:

    Moin,

    ja, Kehna war mal unser kleiner Traum. Erdmuthe und ich, heute verheiratet in Aachen. Beinahe wären wir dort gelandet. Sogar mit Kind (Jule, nicht meins, aber so gut wie) und Kegel. Und wenn ich die Bilder und die Texte so sehe, tuts mir durchaus ein bisschen (vielleicht auch ein bisschen mehr) leid. Aber unser Weg ging nach Aachen, auch dort haben wir eine kleine Gemeinschaft mit aufgebaut, das Kinder- und Jugendhaus Kahlgrachtmühle, dass es heute, nach 15 Jahren, immer noch gibt.

    Aber Kehna und Friedelhausen sind schon was Besonderes. Einmal sind und waren dort Menschen (Michael, Rafael, Bernhard, Jean-Lu und….), wo die Arbeit mit ihnen mir viel mehr bedeutet hat, als das Geld, was ich dafür bekommen habe. Vom Rotwein abgesehen. Dann auch viele der Bewohner, von denen wahrscheinlich noch einige da sind. Mit Namen fällt mir nur Irene ein, da waren aber noch mehr, die ich sehr mochte und mich gerne an die manchmal sehr “lebhaften” Begrüßungen erinnere, wenn ich in Friedelhausen oder Kehna mit Werkzeugkiste aufgetaucht bin.
    Ich kann nur sagen, ich wünsche mir, dass diese Orte noch lange existieren und die Arbeit weitergeht, die dort in den 80er Jahren begonnen hat. Und ich war sehr gerne eine zeitlang mit auf dem Weg. Kann nur sagen, es war toll, auch wenn es manchmal gerumpelt hat.
    Wie das im Leben so ist, in jeder Katastrophe steckt ein neuer Anfang. Hätten sie sich in Friedelhausen nicht “gezofft”, was wir über einige Jahre miterleben durften, gäbe es heute Kehna wohl nicht. Bin froh und zufrieden dass ich ein bisschen mit “dabei” war.

    Danke und viele liebe Grüße an alle in Kehna und Friedelhausen, die mich noch kennen.
    Und auch an alle, die mich nicht kennen.

    Rolf
    Vielleicht komm ich ja doch noch mal vorbei, leider nicht mehr mit Werkzeugkiste. Schniff.

  2. Erdmuthe Menze sagt:

    Hallo Marlis, hallo Joachim,

    ich war ganz aufgeregt, als ich diese Zeilen las, weil mir die ganze Situation noch mal wieder deutlich vor Augen stand. Es war damals eine wirklich existentielle Entscheidung für mich, mich für Kehna zu entscheiden und der Schule erst mal den Rücken zu kehren! Dass es dann doch nicht geklappt hat, war ja am Anfang nicht klar. Auch meine Tochter hatte sich entschieden, der Waldorfschule in AC den Rücken zu kehren und es in Kehna zu versuchen. Ich hatte mich schon beurlauben lassen und musste dann im letzten Moment die Beurlaubung wieder rückgängig machen. Aufregende Zeiten!

    Und eure Aktion finde ich wirklich gut!

    Viel Erfolg weiterhin

    Erdmuthe