23. Mai: Friedelhausen und Gießen

Fahrt von Laubach nach Friedelhausen (Ziel: Rolf Krueger und Erdmuthe Menze), Übernachtung in Gießen

Wir schlafen aus, frühstücken und texten gestern fertig. Ein Missgeschick gibt es noch zu beheben: Marlis ist ein Salbentopf beim Einpacken aus dem Badfenster über das Schneefanggitter in die Dachrinne gehüpft, keine Chance, den ohne großen Aufwand zu angeln. Zum Glück ist die Apotheke nahe und Marlis hat die Rezeptur mit. So lässt sich das übers Frühstück regeln. Wir erreichen eine Verbindung mit dem Bus hintenrum nach Grünberg über schöne Waldstrecken, die mich an die Zeit in Laubach erinnern. Der Bahnhof in Gießen ist genauso erinnerungsbehaftet: von Laubach aus war er immer der Ausgangspunkt von Reisen, davor der Ankunftsort für Besuche beim Onkel, und die ersten zwei Jahre habe ich in Gießen studiert. Wir haben für unsere zwei Ziele heute und morgen Gießen als optimalen Ausgangspunkt gewählt und schließen unser Gepäck hier ein, bevor wir nach Friedelhausen weiterfahren, das wir schon nach einigen Minuten erreichen. Von diesem kleinen Waldhaltepunkt sind es zwei Kilometer zum Hofgut Friedelhausen, das uns unsere Ideengeber, mein Bruder Rolf mit seiner Frau Erdmuthe, genannt hat. Auf dem Weg dahin sehen wir die Lahn, gehen auf die Brücke und sehen unten eine Kanu-Anlegestelle mit Tretbootverleih, auch der Lahnradweg macht hier eine Schleife. Ein restaurierter Bauwagen mit kleinem Vorbau stellt einen Imbiss mit Biergarten dar, hier trinken wir erstmal was, bevor wir uns aufmachen zum Hofgut, einer anthroposophischen Hofgemeinschaft mit 60 Arbeitsplätzen für Behinderte, davon 41 Bewohnern in Familien und noch etwa 20 weiteren, die zur Arbeit kommen. Vorbei am Neubau, der Scheune und der Gärtnerei kommen wir in den Innenhof des Hauptkomplexes, sitzen lauschig auf der Bank unter großen Bäumen und schauen dem geschäftigen, keinesfalls hektischen Treiben zu. Immer wieder überquert jemand den Hof, mit Eimer, Schubkarre oder Geräten. So haben wir schon viel von der angenehmen Atmosphäre hier aufgenommen, als wir jemand zum Ansprechen finden, die uns den Weg zur Verwaltung weist und den Kontakt herstellt. Bettina Brand ist für Führungen zuständig. Nachdem wir von Rolf erzählt und unsere Projektkarte übergeben haben, erinnert sie sich an den Artikel über uns in Bahn-Mobil, den sie gelesen hat. Begeistert nimmt Sie sich Zeit für eine kurze Führung, aus der dann 45 Minuten werden, die uns ebenfalls begeistert, und die wir für Rolf komplett aufzeichnen. 1982 wurde das Hofgut vom Graf von Schwerin, dessen Schloss hinter dem Hügel steht, gepachtet. Ich habe Rolf einmal bei seiner Arbeit Anfang der 90er Jahre hier besucht, er hat hiertechnische Anlagen gebaut und gewartet. Seitdem hat sich viel geändert. Alle Gebäude sind saniert und in Benutzung, ein Café und die Käserei sind angebaut, der Rittersaal im alten Schloss von 1564 ist von einem Restaurator in den letzten Jahren original wiederhergestellt worden und dient als Versammlungsraum und für monatliche Kulturveranstaltungen, zu denen in der ganzen Umgebung eingeladen wird. Der ganze Komplex wirkt ausgesprochen aufgeräumt, friedlich und idyllisch, rundherum die Gärtnerei, die Stallungen, Wald, und nicht weit unterhalb fließt die Lahn vorbei. An der Zufahrt liegt die Scheune mit den landwirtschaftlichen Geräten; die kommt mir von meinem früheren Besuch bekannt vor, daneben ein Geräteschuppen, wir können einen Blick in eine gut geordnete Werkstatt werfen. Noch davor liegt als erstes Gebäude der Neubau, im April eröffnet, mit dem die Anzahl der Bewohner erweitert werden konnte, nachdem schon alle alten Gebäude genutzt waren. Es ist eine Lebensgemeinschaft, wer sich, meist nach der Schule, bewirbt und wenn sich nach einer Probezeit beide Seiten das Zusammenleben sinnvoll vorstellen können, startet einer Art Lehre. In diesen zwei Jahren lernt er alle Arbeitsmöglichkeiten in Landwirtschaft, Gärtnerei, Käserei und Hauswirtschaft kennen, so dass die beste Arbeit gefunden werden kann. Wir sind sehr angetan und verlassen, kurz nachdem alle um 17 Uhr ihre Arbeit beendet haben, das Anwesen und schauen uns das englisch-neugotische Schloss von 1851 aus dunklem, weichem Basalt – Lungstein aus Londorf – an. Auf dem Rückweg machen wir unser Foto vor dem Hofgut und gehen auf die Imbisswiese vor Odenhausen, um den sonnigen Tag hier draußen mit Tretboot auf der Lahn und Bratwurst zu beschließen. Wir fahren der Strömung gemütlich entgegen – nur unter der Brücke müssen wir heftig Gas geben – und beobachten Enten, Vögel, Insektenschwärme. Die Ufer sind lauschig und naturbelassen, überall hängen Weiden und andere Bäume und Sträucher über. Ein Paddler überholt uns. Nach der kurzen Bahnfahrt nehmen wir in Gießen den Stadtbus zum Hotel am Ludwigsplatz. Viele Erinnerungen meiner zwei Studienjahre ab 1971 kommen hoch. Das mittlerweile alte Kongresszentrum am Berliner Platz, das noch ältere, aber nicht weiter gealterte Stadttheater, das Dachcafé am Berliner Platz erkenne ich. Die Straßenführung habe ich noch im Kopf, ebenso manche Buslinien. Wir gehen die Ludwigstraße entlang vorbei am Hauptgebäude der Uni unter der Bahn durch zur Mensa, dem Otto-Eger-Heim. Die wird jetzt saniert (wird auch Zeit). Alles vom Eindruck her wie damals, nur dass die einzelstehenden Gründerzeithäuser entlang der Ludwigstraße so ansehnlich sind, und die Liebig- und Wilhelmstraße, an der ich zeitweise gewohnt habe, ganz grün und voll Villen sind, war mir nicht mehr so in Erinnerung. Ich finde das kleine Gebäude des mathematischen Instituts und die damals neuen Riesenkästen der Chemie und Physik, heute saniert oder in Sanierung. Dahinter haben sich, wie überall, Biologie, Biochemie, Gentechnik und Umwelt in neuen Gebäuden ausgebreitet. Was ich nicht finde, ist das damalige Hörsaalgebäude. Zwischen Physik und Chemie gibt es einen zugewucherten Wald, darunter der Parkplatz, an dem es meiner Meinung nach liegen sollte. Auf einem Uniplan im Internet sehe ich kein Hörsaalgebäude mehr. Weitere Recherche ergibt, dass es vor der Physik liegt, ich habe es wohl durch die Sanierung und eine Baustelle am Parkplatz nicht erkannt. Es dämmert, wir gehen zu einem Biergarten, den wir auf dem Weg gesehen haben. Das Publikum ist studentisch, das Angebot auch. Es gibt “Hessen-Tapas” wie Handkäs oder Wurstsalat, und Flammkuchen “Der Hesse” mit Grüner Soße und Eiern. Spät sind wir im Hotel, und müde, so dass dieser Text erst am Dienstag entsteht.

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Eine Antwort auf 23. Mai: Friedelhausen und Gießen

  1. Rolf Krueger sagt:

    Moin,

    ja, da hängen viele Erinnerungen dran. Und einige der richtig schönen Abschnitte meines Lebens.

    Um 1980. Da hatte ich einen Arbeitsplatz in dem hübschhässlichen, grauen Monster, letztes Bild oben. Chemiegebäude der Uni Giessen. 6. Stock, Insitut für Pflanzenphysiologie. Müsste ziemlich genau hinter der Kante des Baumes am rechten Bildrand sein. Fast 4 Jahre, war eine richtig interessante Zeit. Und so hässlich das Teil auch ist, der Blick von meinem Arbeitsplatz über Giessen, bis Friedelhausen und noch weiter war einfach phänomenal.
    Davor hatte ich schon 3 Jahre auf der anderen Gebäudeseite verbracht und mit Rudolf Radetzky eine Diplom-Gemeinschaftsarbeit geschrieben. War immer interessant, nette Leute, viele Spässe. Halt nochmal verschärftes Studentenleben mit regelmässiger Arbeit.

    Danach hatte dann die Wissenschaft ein Ende und es kam die Phase der hauptberuflichen Handwerkerei. Viel davon war in Friedelhausen. Das kostete diversen Rotweinflaschen zusammen mit Michael und Rafael (heute in Kehna) den Kopf. Viele Projekte entstanden, viele sind heute wahrscheinlich schon wieder vergangen oder von der ständigen Umbauerei, die zurm heutigen Friedelhausen geführt hat, überwuchert worden. Zusammen mit Schorsch (dem 2. Elektriker vom Jugendzentrumsfestival) sind dort so spannende Sachen wie diverse Heizungen, vieles in der Käserei, Beregnungsanlage der Gärtnerei, die Steuerung und technische Ausrüstung des Gewächshauskomplexes, eine solarbetriebene Heutrocknungsanlage für Großballen und, und, und… entstanden. Immer zum “Sozialtarif” 20% unter unseren Stundensätzen. In Friedelhausen gab es immer verrückte Ideen und wir waren oft die “Umsetzer”.
    Oft waren wir auch “Feuerwehr” bei so Sachen wie Blitzeinschlägen, Wasserversorgung oder Melkanlage kaputt… Da bin ich dann mal unfreiwillig die vereiste Einfahrt auf der Werkzeugkiste runtergerutsch.
    Oder so schöne Fragestellungen, wie man denn durch eine ca. 1,5 m dicke Decke kommt (es war die dünnste Stelle!). In der “Burg” nichts ungewöhnliches.
    Oder die Idee für ein “Einrohrnahwärmenetz”, mit dem sich Horst Müssig, ein junger, ganz netter Ingenieur, an der FH Giessen eine 1 in seiner Diplomarbeit geholt hat. Idee war von mir, Horst hatte bei uns (dem Biologen und dem verrückten Elektriker Schorsch) vorher Praktikum in Friedelhausen gemacht.
    Da gäbs noch soooooooo viel zu erzählen

    Schniff
    Rof