24. März: nach Radolfzell

Fahrt nach Radolfzell, Frühlingswanderung an der Promenade und durchs Naturschutzgebiet, Steinbalancierer (Ziel: Peter Krauss)

Diesmal haben wir kurzfristig zweimal umgeplant. Bei den Zielen in München und Passau ließen sich manche Termine zu dieser Jahreszeit nicht regeln. Also starten wir passend zum Wetter mit dem Bodensee. Als Folge hatten wir Neumünster überlegt, doch genau jetzt hat der Stadtarchivar Urlaub. Rausgekommen sind jetzt Heilbronn, Hamburg, Bremerhaven und Münster.
Die Abfahrt ist, zumindest für mich, wie immer knapp. Ich finde immer einen Weg, das so hinzubekommen, diesmal habe ich meinen Wecker zwar gestellt, aber nicht eingeschaltet. Die S-Bahn ist sekundengenau, ich auch, in den drei Sekunden Piepsen zum Türenschließen steige ich ein. Ich mag das, Marlis ist schon eine S-Bahn vorher nach Mannheim zum Frühstück holen gefahren. Das ist optimal, dann muss sie meine Just-in-Time-Kalkulation nicht miterleben.
Auch ohne mein Smartphone klappt alles, selbst das knappe Umsteigen in Baden-Baden, wir sitzen optimal im oberen Stock des IRE in einer eigenen Vierergruppe für die Fahrt im Sonnenschein durch den Schwarzwald. Durch viele kleine Tunnel und durch steile Bergtäler windet sich der Zug hoch. Kurz vor St. Georgen (806m ü.M.) liegt zwischen den Gleisen noch etwas Schnee.
Das ist der Abschied vom Winter. Es geht durch Villingen und Donaueschingen Richtung Bodensee. Die Donau ist ein breiter Bach. Bei der Einfahrt nach Singen bietet die Burg auf dem Hohentwiel einen imposantes Bild.
In Radolfzell fällt der Blick aus dem Zug direkt auf den See mit platanengesäumter Uferpromenade, auch vom Hotelzimmer haben wir Seeblick. Hierhin hat uns Peter Krauss geschickt: Ihm hat es dieser Ort angetan, seine Frau würde hier am liebsten hinziehen. Beide fahren kein Auto. Ihnen gefällt die Uferpromenade, die Naturschutzgebiete, das Naturfreundehaus und das Städtchen an sich.
Bei lauen Frühlingstemperaturen und Sonne machen wir uns am Seeufer entlang auf zur Mettnau-Halbinsel mit ihrem Naturschutzgebiet. Jachthafen, Konzertmuschel, Villen, Kurkliniken säumen den Weg durch den schönen Uferpark mit alten Bäumen und Rasenflächen mit Veilchen und anderen Frühlingsblumen. Bäume zeigen Knospen oder erstes Grün. Das Bauamt vermisst vom Ufer aus die Bojenverlegung auf dem See. Auf der Straße findet ein Fotoshooting mit allen Nahverkehrsfahrzeugen der Stadtwerke statt. Vor dem Kiesstrand sind Enten und Schwäne sehr aktiv. Wege und Bänke sind gut bevölkert….das alles ist Frühlingsanfang am Bodensee! Wir erreichen das weite Gelände des Strandbades. Hier entdecken wir gleich die Steinesammlung mit dem Steinskulpturengärtchen, auf das uns unser Ideengeber Peter Krauss aufmerksam gemacht hat. Volker Paul balanciert seit 1997 Steine. Er hat das zu einer echten Meisterschaft gebracht, es ist sein Alleinstellungsmerkmal. Täglich trainiert er, und so stapelt er in kürzester Zeit kleine und große Steine zu Türmen, Pagoden, Tempeln und anderen Phantasiefiguren. Er hat den totalen Blick für die Schwerpunktlinie und die ruhige Hand mit millimetergenauem Gefühl für das labile Gleichgewicht und die Reibung zwischen den Steinen, und kann sich auch bei großem Publikum vollständig darauf konzentrieren. Die Skulpturen können bis zu zwei Meter hoch werden, aber sie sind sehr fragil und unbeständig. Der sieben Steine hohe Turm, den wir vorfinden, steht schon seit gestern. Kein Wind hat ihn umgeworfen, kein Hund ist drangestoßen. Als wir schon alles genau betrachtet haben, kommt der Künstler an seine öffentliche Trainingsstätte und erzählt von seiner Idee, und wie er sich durch laufendes Training die jetzigen Fähigkeiten erarbeitet hat. Schnell baut er dabei ein paar Türme, dicke Steine auf ganz dünnen. Er lebt vorwiegend von Events, auf denen er auftritt. In “Wetten, dass” hat er schon Bowlingkugeln und unbekannte Steine mit Erfolg auf Zeit gestapelt. Er ist nicht der einzige, der sich hier ähnlich lange mit Steinestapeln beschäftigt: Der Lebenskünstler “Sepp Bögle, An der Mole, letzter Baum, Radolfzell” lebt von April bis Oktober hier.
Nach der beeindruckenden Vorstellung von Volker Paul kehren wir erstmal im Strandcafé ein. Die sonnenbeschienene Terrasse ist voll besetzt, es gibt hervorragende Torten. In der Abendsonne begeben wir uns vorbei am Kurzentrum Mettnaukur ins Naturschutzgebiet auf der Halbinselspitze, das man im März noch betreten darf. Vom hölzernen Aussichtsturm lässt sich gut fotografieren; hinter dem Naturfreundehaus am anderen Seeufer fahren die Züge nach Konstanz, unter uns Schilf und Schwäne. Auf der Turmtreppe bekommen wir den Tipp: stellen Sie 6500°K ein, dann gibt es ein tolles Braun – stimmt! Durch hohes Schilf an alten, verwachsenen Bäumen vorbei wandern wir durchs Moor an die Inselspitze mit vollem Blick auf die Insel Reichenau. Die matschigen Stellen werden durch drahtbespannte Bohlensteige überbrückt; die von der Touristeninfo empfohlenen Gummistiefel sind wirklich nicht nötig, wir haben sie auch nicht im Gepäck. Der Himmel über der Abendsonne ist kreuz und quer von Kondensstreifen durchzogen, das geht wohl vom Zürcher Flughafen aus. Auf dem Rückweg erleben wir den Sonnenuntergang durchs Schilf. AmStrandbad erreichen wir genau den stündlichen Stadtbus 5 zum Bahnhof und fahren sofort weiter nach Markelfingen. Mit einer Viertelstunde Nachtwanderung erreichen wir das Naturfreundehaus, außerhalb des Ortes gelegen mit langem Seeufer, komplett neu modern saniert. Die Gastronomie ist offensichtlich beliebt; wir belegen den letzten Fenstertisch. Es gibt solides regionales Essen, auch Bodenseefisch, zu normalen Preisen. Auf dem Rückweg machen wir in Radolfzell noch einen kurzen Abstecher in die Altstadt mit ein paar Kneipen als ersten Eindruck, morgen kommt die Stadt richtig dran, da ist sie bestimmt auch belebter.
Übrigens: Rechnerisch hätten wir jetzt mit Einzelfahrkarten die erste unserer zwei Bahnkarten abgefahren.

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3 Antworten auf 24. März: nach Radolfzell

  1. Gabriele Heck sagt:

    Aufgrund Deiner “Just-In-Time”-Eichung muss es einer Verspätung der S-Bahn zu verdanken sein, dass ich Dich vor einigen Jahren auf dem Bahnsteig in Frankfurt wieder getroffen habe! Geradezu schicksalshaft ;-) .

  2. Peter Krauss sagt:

    Ist ja interessant: Es gibt jetzt also noch einen Steinbalancierkünstler in Radolfzell. Wir kannten bisher nur Sepp Bögle.

    Herzlichen Dank für den schönen Reisebericht (und für die Postkarte, natürlich!)

    Peter

  3. Volker Paul sagt:

    Hallo und Guten Tag,

    recht herzlich möchte ich mich an dieser Stelle bei Frau Marlis Jonas und Herrn Joachim Krueger für den netten Besuch auf der Halbinsel Mettnau in Radolfzell bedanken!
    Ich freue mich schon über diese kommenden Fotos, die hier zu diesem sehr ausführlichem Text hinzugefügt werden.
    Wünsche Ihnen noch eine angenehme und spannende Reise, mit Grüssen vom Bodensee, Paul!