9. März: Lutherstadt Wittenberg

Lutherstadt Wittenberg: Stadtkirche, Reformation (Ziel: Ulrich)

Unser Ideengeber Ulrich hat uns die Stadtkirche Wittenberg genannt, in der Luther gepredigt hat. Passend dazu stellt sich heraus, dass unser Standort, das Luther-Hotel, von der Berliner Stadtmission betrieben wird. Um zwölf Uhr haben wir eine eigene Führung in der Stadtkirche vereinbart. Uns führt Kirchmeister Bernhard Naumann. Wir sind eineinhalb Stunden mit ihm unterwegs, er erklärt uns engagiert viele Details in der Kirche. Wir haben uns schon vorher etwas über Martin Luther nachgelesen: Nach allgemeinem Magisterstudium am Beginn des Jura-Aufbaustudiums wurde er aufgrund eines persönlichen Erlebnisses Augustiner-Mönch. Als Priester und Doktor der Theologie erhielt er eine Professur an der Wittenberger Universität. Er setzte sich zunehmend mit den Hintergründen des damaligen Ablasshandels in der katholischen Kirche auseinander, was zu seinen 95 Thesen an der Schlosskirche führte. In den darauffolgenden Disputen gewann er unter anderen als Anhänger und Mitstreiter den Griechisch-Professor Philipp Melanchton und den späteren Stadtpfarrer Johannes Bugenhagen. Als weitere wichtige Unterstützer fallen uns besonders als Übersetzer Justus Jonas sowie als Maler und Drucker Lucas Cranach der Ältere auf. Bernhard Naumann erläutert uns ausführlich die Altarbilder von Cranach von 1547, die Rolle der Reformatoren auf den Darstellungen von Taufe, Abendmahl, Predigt und Beichte, und wie in der Symbolik dieser Darstellungen das reformatorische Gedankengut zu erkennen ist. So betrachten wir uns auch einige der Epitaphen, die sich an den Wänden des Chores befinden, und das Taufbecken von Vischer, das schon Bugenhagen genutzt hat. Die neugotische Gestaltung des Kirchenraums mit Orgel, Kanzel und Empore in für protestantische Kirchen typischem Grau-Gold stammt erst von 1811. Wir diskutieren die Bedeutung von Cranach bei Bebilderung und Gestaltung, Druck und Verbreitung der Schriften und Bibelübersetzungen. Uns wird klar, wie die hohe Auflage und der freie Verkauf bei breiten Schichten das Lesen-Lernen und den Zugang zu Bildung ermöglicht hat. Hier hat die Reformation sicher über die Veränderungen in den christlichen Kirchen noch viel mehr bewirkt. Die Kirche beeindruckt nicht unbedingt durch ihr eher schlichtes und außen grobes, wuchtiges Aussehen als durch die Zeugnisse und tiefen Spuren der Reformation und bringt uns Zusammenhänge der Reformationszeit nahe, von denen wir in der Schulzeit zwar einiges gehört, aber in dieser Tiefe nicht verstanden haben. Der nahegelegene Marktplatz beeindruckt durch seine Weite, auf der das repräsentative Renaissance-Rathaus und die Standbilder von Luther und Melanchton, beide ohne die in Restaurierung befindlichen Baldachine, gut zur Geltung kommen. Am Nachmittag schauen wir in das Pfarrhaus von Bugenhagen, in eine kleine Ausstellung in den Cranach-Höfen und eine alte Druckwerkstatt. Cranach war eine der wichtigsten Unternehmerpersönlichkeiten in Wittenberg und zeitweilig auch Bürgermeister. Wir besuchen die Schlosskirche, die sich mehr als Luther- und Reformations-Gedenkstätte präsentiert. Luther und Melanchton sind hier beigesetzt. Optik und Ausstattung sind im Wesentlichen aus der Zeit um 1880 und durch die Pläne von Schinkel und die wilhelminische Zeit geprägt. Wir erkennen einen durchgängigen Stil, der uns – auch durch den stark ausgeprägten Gedenkcharakter – nicht besonders gefällt. An der Außenfassade fällt die Bronzetür mit den eingegossenen Thesen auf Lateinisch auf, die die 1760 bei einer der vielen Beschädigungen verbrannte Original-Tür ersetzt hat, und der ausgefallene Rundturm auf. Wir beenden den Tag mit einem Spaziergang zur Elbe, die von der Altstadt durch die Bahnlinie und eine vierspurige Umgehungsstraße stark abgetrennt ist. Umgeben ist sie durch breite, etwas feuchte Wiesen, die wir nur auf Wegen durchqueren können. Wahrscheinlich sind sie als Überflutungsgebiet bei Elbehochwassern vorgesehen. Auf diesem Weg wird mir klar, was mich in allen Altstädten der ehemaligen DDR unbewusst befremdet: Nach der Verfallsphase in der DDR wurden nach der Wende große Teile gründlich saniert. Sie sehen jetzt gut – zu gut – aus, und alle in einem ähnlichen neuen Erhaltungszustand. Dazwischen fallen dann die Gebäude und Hinterhöfe, an denen meist aufgrund unklarer Besitz- oder Erbverhältnisse noch nichts gemacht wurde, und die noch weitere 20 Jahre verfallen sind, besonders krass auf, ebenso die Baulücken sowie die Neubauten, die einen vollkommen anderen Stil, aber einen ähnlich neuen Zustand haben. Diese Mischung kommt uns, die wir im Westen aufgewachsen sind, wo die geschichtliche Konstellation eine andere war und solche Kontraste nicht entstehen konnten, unnatürlich vor. Dabei ist sie nur ungewohnt und der völlig neuen Konstellation nach der Wende geschuldet.

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2 Antworten auf 9. März: Lutherstadt Wittenberg

  1. Ulrich sagt:

    Wirklich sehr habe ich mich über Euren Gruß aus “meinem” Wittenberg gefreut und auch über die Zusendung der Informationen. Ich finde es großartig, dass ihr dort wart und es Euch gefallen hat. Ihr habt auch mir damit eine Freude gemacht, vor allem mit dem, was ihr berichtet.
    Herzliche Grüße Euer Ulrich

  2. I.-Yvette sagt:

    Hallo Ihr Zwei,

    Habe mich gefragt, ob Ihr wohl in LU seid? Die Frage ist leicht zu beantworten, da muss ich nur auf bahn-zeit-… und schon weiss ich, wo Ihr seid.
    Einmal mehr ein spannender, sehr interessanter und informativer Bericht. Habe mir gerade überlegt, was der beste Ersatz ist, wenn man selbst gerade nicht verreisen kann, will… Natürlich das Lesen und Verfolgen Eurer Reiseroute mit den wunderschönen Fotos, die einem fast das Gefühl geben, selbst da gewesen zu sein.
    Weiterhin viel Freude!
    Liebe Grüsse
    Yvette