8. März: Joachimsthal, nach Wittenberg

Rundfahrt durch Joachimsthal (mein “Namens”ort), erster Eindruck von Wittenberg

Nach dem Frühstück besichtigen wir Joachimsthal, auf Vorschlag unserer Wirtin, Frau Wenzel, doch wieder per Fahrrad. Die Inneneinrichtung der Schinkel-Kirche ist unspektakulär; Teile der früheren Einrichtung wurden verkauft. Auf dem Schulhügel sehen wir das vor einigen Jahren neu gegründete “Freie Joachimsthaler Gymnasium”, das in einer langen Tradition steht. Dahinter befindet der neue Aussichtsturm des Biorama-Projekts, der mit dem alten Wasserturm verbunden ist. Der Höhepunkt ist der Kaiserbahnhof, den Kaiser Wilhelm extra bauen ließ, um von dort auf kürzestem Wege in sein Jagdschloss am Werbellinsee zu kommen, dessen Nordende etwa einen Kilometer entfernt ist. Der Bahnhof besteht aus einem Stations- und einem Empfangsgebäude aus Fachwerk. Beides ist jetzt fast fertig restauriert und wird kulturell genutzt. Das frühere Hotelgebäude existiert nicht mehr, das jetzige ist ein langweiliger Zweckbau. Den Werbellinsee lassen wir uns für später und fahren noch im Ortsteil Grimnitz an den großen flachen Grimnitzsee. Zuletzt besuchen wir den alten Friedhof mit dem Grab des Heimatdichters Brunold(“Geht leise über meines Grabes Flur ich schlafe nur”) und einem jüdischen Teil, darunter auch der Grabstein eines Kaufmanns namens Joachimsthal. Ein kleines Gebäude daneben könnte in seiner quadratischen Form eine Synagoge gewesen sein; von dort führt ein Weg zu einem ehemaligen “Judenhaus” direkt neben der Stadtverwaltung. Das sind allerdings reine Spekulationen; in einer Forschung der TU Braunschweig wird eine Nutzung des Wohnhauses Kirchplatz 2 als Synagoge angegeben. Hier lassen wir die Auflösung offen. Es ist einfach faszinierend, was für eine Vielfalt und Geschichte in so einem kleinen Ort steckt und wieviel sich davon erfahren lässt, und das erleben wir nicht zum ersten Mal in unserem Reisejahr. Die Anregungen unserer Ideengeber helfen dabei ungemein. Mich persönlich haben hier natürlich die vielen “Joachim”-Schriftzüge beeindruckt. Mittags begeben wir uns zum Bahnhof. Dort gibt es tatsächlich noch eine Bahnhofsvorsteherin, die Signale und Weichen stellt. Wir hören die Seile knirschen, und sie zeigt uns ihr kleines mechanisches Stellwerk. Wir fahren über Bernau und Berlin zur Lutherstadt Wittenberg, dabei treffen wir tatsächlich den Zugbegleiter der ODEG von vorgestern wieder. Der Bahnhofsbereich lässt höchstens anhand der Schilder ahnen, dass es hier eine solche Altstadt gibt. In der Dunkelheit beim Gang zum Essen bekommen wir einen flüchtigen Eindruck der beiden Kirchen und der wichtigsten Altstadtstraßen. Sehr angetan sind wir von der “Alten Canzley”, die ich im Internet als erstes bio-zertifiziertes Restaurant Sachsen-Anhalts gefunden habe. Die ganze Speisekarte gefällt uns und ist auch noch preiswert, die Bedienung angenehm, das Essen kommt schnell, und wir sitzen unter einem Kreuzgewölbe. Die Speisen wie Brokkoli-Minestrone mit roten Linsen, Spinatpfannkuchen und überbackenes Gemüse schmecken sehr fein, sind auf den Punkt gegart und richtig heiß serviert. Es ist eine sehr willkommene Abwechslung gegenüber der meist unvermeidlichen deftigen Kost in den kleinen Orten. Im Dunkeln zeigt sich die Altstadt meist gut restauriert, es gibt noch einen deutlich sichtbaren Anteil von verfallender Substanz. Mit dem Bedarf an Läden hat man sich offenbar überschätzt; es gibt in den erneuerten Gebäuden einigen Leerstand. Auch die vorherrschende einfache Gastronomie hat es wohl nicht leicht, die Preise sind dort auffallend ähnlich und niedrig.

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