3. März: Prenzlau

Prenzlau (Ziel: Peter Gottschling) Vorstadt, Stadtarchiv

Die Sonne begrüßt uns beim Aufwachen, die Autos draußen sind dick mit Rauhreif bedeckt. Es bleibt den ganzen Tag wolkenlos. Gleich beim Frühstück treffen wir die Reporterin vom Nordkurier, die uns intensiv ausfragt. Wir folgen ihr ins Stadtarchiv, wo sie uns bei der Recherche fotografiert. Unser Ideengeber, Peter Gottschling, hat als Kind von 1939 bis März 1945 am Vorstadtbahnhof in einem für Offiziere gebauten Haus gewohnt, sein Vater war Oberstabsarzt. Wir schauen nach dem Haus, das er nur einmal, kurz nach der Wende, in schlechtem Zustand gesehen hat. Das Archiv hat uns gesagt, dass die Straße jetzt “Am Vorstadtbahnhof” heißt, und uns die Bauunterlagen herausgelegt. Wir durchblättern den gesamten Schriftverkehr vom Bauauftrag der Wehrmacht an den Maurermeister und Architekten Rudolf Weiß als Bauträger, Kauf, Baupreise, Finanzierung, Mietkalkulation. Das Haus wurde noch vor Kriegsbeginn fertiggestellt. Im letzten Adreßbuch der Stadt von 1938 ist Herr Weiß als Eigentümer der Mackensenstr. 1 verzeichnet, der Vater unseres Ideengebers ist aber noch nicht in der Auflistung. Es gibt weiteren Schriftverkehr über das Bauvorhaben eines zweiten Hauses nach demselben Plan, das sich aber immer weiter verzögerte wegen Materialmangels am Kriegsbeginn, und nach den vorhandenen Unterlagen sieht es so aus, als wäre es nicht mehr gebaut worden. Jetzt erst kommen wir dazu, im Hotel einzupacken. Die Tourist-Info ist gleich gegenüber, mit voller Sicht auf die imposante Ostfassade der Marienkirche. Das war nicht immer so. Bis zu den Bränden am Kriegsende war der Platz davor dicht bebaut, dann nochmal seit der 750-Jahr-Feier 1984, was in den 90ern wieder abgerissen wurde. Jetzt ist wieder eine Teilbebauung bis zur Landesgartenschau 2013 geplant. Wir finden eine geeignete Uckermark-Landkarte, die auch für unsere weiteren Ziele Joachimsthal und Poratz geeignet ist, und noch einige historische Bilder und umfassende Infos über Wandern und Radfahren. Wir laufen am Mitteltor vorbei durch Wohnsiedlungen, danach nur noch lockere, meist gewerbliche Bebauung mit teilweise einzelnen alten Häusern. Inzwischen wissen wir auch, dass die 85% Zerstörung der Innenstadt nicht durch Luftangriffe, sondern durch Brände am 24. April 1945 entstanden sind. Brandstiftung ist wohl sicher, aber ob es die Wehrmacht beim Rückzug war, ist nicht geklärt. Unser Ideengeber hat davon nichts mehr mitbekommen. Wir nehmen einen Nebenweg über altes Pflaster und durch den Uferwald des Strom – so heißt der größere Bach, Nebenfluss der Ucker, der auch hinter dem Offiziershaus fließt. Er ist über weite Strecken eisbedeckt. Wir erreichen die Vorstadt und erkennen das Haus, ein schlichtes zweistöckiges Gebäude, das jetzt komplett saniert und voll bewohnt ist. Zunächst erkunden wir die Umgebung. Gleich dahinter läuft die stillgelegte Bahnstrecke Prenzlau-Templin, die alte Bahnhofs-Aufschrift “Prenzlau Vorstadt” ist an einem Gebäude zu erkennen. Davor steht das alte Häuschen der “Vorstadt-Wage” mit großer, holzbeplankter Wiegeplatte. Zuletzt entschließen wir uns zu klingeln und sprechen eine Hausbewohnerin mit ihrer acht Monate alten Tochter, die leider erst seit zwei Jahren dort wohnt und nichts zur Geschichte weiß. Die Nachbarn, die seit 50 Jahren dort wohnen, sind momentan nicht zu Hause. Wir ziehen weiter zu den naheliegenden Schulen. Auf dem Weg sehen wir mehrere Trafohäuschen, die von einer Künstleragentur für die Stadtwerke mit kreativen Prenzlauer Motiven bemalt sind. Es ist deutlich zu erkennen, dass die Schulgebäude früher Kasernen waren. Im Vergleich zum Stadtplan stehen weniger Gebäude; offensichtlich sind bei der Umnutzung und Sanierung Gebäude abgerissen worden. Von dieser Siedlung führt ein schöner Fußweg durch die Felder direkt zum See. Hier gibt es einige schöne klassizistische Gebäude. Der Blick von der Uferpromenade über den großen Unteruckersee ist wirklich schön. Die ganze Uckermark ist voll mit kleineren Seen, die durchaus 50 m tief sein können. Die Landschaft ist leicht hügelig, im Süden von Prenzlau gehen wir sogar durch die Bergstraße, gesäumt mit schöner Gründerzeitbebauung, hinauf zum Friedhof, und rückblickend schaut man direkt von oben auf den See. Ab April fährt wieder regelmäßig das Ausflugsschiff. Jetzt ist der See mit bis zu 15cm starkem Eis zugefroren, es gibt sogar Schlittschuhläufer. Die Enten und Schwäne sonnen sich auf dem Eis, watscheln leicht rutschend darauf herum und landen schlitternd auf dem Eis. Nach einer Kaffee-Einkehr gehen wir ins Museum im Dominikanerkloster, es reicht vor Schließung leider nur noch für einen kurzen Blick in die schlichte weiße Klosterkirche, einem gotischen Backsteinbau mit einem imposanten dreistöckigen Altarbild von 1509. Wir sehen den von einer schon im 17. Jahrhundert baufälligen Kirche übriggebliebenen wuchtigen Nikolaiturm, kaufen im Regionalladen Uckerkaas und fahren in der Dämmerung im gut gefüllten Zug nach Berlin. Es ist jetzt wieder empfindlich kalt. Tagsüber war es sehr angenehm, die Sonne heizte etwas, die Handschuhe waren endlich mal ein paar Stunden unnötig.

Dieser Beitrag wurde unter Ziel Ideengeber abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setzen Sie ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort auf 3. März: Prenzlau

  1. Peter Gottschling sagt:

    Wir haben gerade mit großer Freude den Bericht vom 2. und 3. März gelesen und sind ganz begeistert von den positiven Veränderungen seit unserem Kurzbesuch nach der Wende. Am meisten habe ich mich natürlich über die Postkarte mit dem Photo meines Geburtshauses gefreut. Auch der “Strom” hinter dem Haus hat sich in mein Gedächtnis eingeprägt, da ich dort als Zweijähriger ein unfreiwilliges Bad genommen habe. Auch die Backsteinkirche habe ich wiedererkannt, jetzt sieht sie allerdings durch die Renovierung ansprechender aus. Der Uckersee ist mir noch als Badesee in Erinnerung, ohne Eis und Enten. Vom Bahnhof Prenzlau Vorstadt sind wir in den 40er Jahren einmal nach Templin gefahren.
    Durch Ihre bebilderten Reiseeindrücke sind meine Kindheitserlebnisse sehr aufgefrischt. Eine Nostalgiereise bietet sich direkt an. Vielen Dank dafür, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, eine so weite Reise an einen für Sie völlig unbekannten Ort zu unternehmen.