6. Januar: Binz und Jagdschloss Granitz

Wanderung am Strand und im leichten Schneefall nach Granitz (Ziel: Lore Metzger), Rückfahrt mit dem Rasenden Roland

Beim späten Aufstehen regnet es leicht. Wir befürchten, dass es nichts wird mit Rügen im Schnee, aber nach kurzer Zeit geht es in Schnee über, was uns sehr freut. Wir machen uns also auf nach Granitz. Wir gehen direkt am Strand entlang. Die zwei Zentimeter Schnee sorgen für einen komplett weißen Strand, auch die vielen angeschwemmten Eisschollen sind schneebedeckt. Es sieht sehr komisch aus: wie weißer Sand. Es gibt auch weiße Sandbänke, dazwischen schwimmen kleine Eisschollen, Enten, auch einzelne Möwen und Schwäne sind unterwegs. Manche Ensembles sehen aus wie Polarmeer mit Eisbergen in Miniatur. Und auf dem Strand läuft es sich wunderbar, der Sand unter der dünnen Schneeschicht ist hart gefroren. Das scheint eine Hauptattraktion jetzt auf Rügen zu sein: richtig viele Leute wandern auf dem Strand entlang. Beim späten Frühstück ist es überraschend belebt. Die Kulisse ist beeindruckend: die weiße, ornamental-filigrane Baderarchitektur, die durch die fein beschneite Kiefernreihe mit ihren vielen Verästelungen durchscheint, ergibt ein äußerst malerisches, aber gar nicht kitschiges Bild ab, das durch den Schleier des leichten Hochnebels mit Schneetreiben noch verstärkt wird. Dazu gibt es noch Strandwanderer mit weißen Hunden! Auf der Seebrücke merken wir die Spuren des kurzen Regens: die Planken sind unter dem Schnee mit einer dünnen Eisschicht bedeckt. In Abständen stehen die weißen Strandwachhäuschen der DLRG, die hier gegründet wurde. Wir entdecken weiter hinten ein architektonisch auffälliges, neueres Exemplar von 1979 (Entwurf Dietrich Otto): wie ein Ufo schwebt es in Schalenbauweise rundum verglast auf einer gerundeten Mittelstütze. Nebenbei testen wir den neuen Sturmregenschirm bei dem etwas böigen Wind: er lässt sich wunderbar leicht halten, da könnte sogar ich zum Regenschirmnutzer werden.
Am Ende des Strandes begeben wir uns in den überraschend hügeligen und steilen Buchenwald Richtung Jagdschloss Granitz: die Fürsten von Putbus haben hier ab dem 18. Jahrhundert den Wald zu ihrem Jagdgehege ausgebaut. Durch den noch tief verschneiten und jetzt auch überall frisch weißen Winterwald erreichen wir das Jagdschloss über Treppen auf dem über 100m hohen Hügel. Rügen im Winterkleid ist gelungen; herzlichen Dank an unsere Ideengeberin Lore Metzger für das außergewöhnliche Erlebnis.
Das Schloss wurde 1851 im neoklassizistischen Stil mit quadratischem Grundriss, vier zinnenbewehrten Rundtürmen an den Ecken und einem alles überragenden Turm in der Mitte erbaut und ist viel größer, als ich es erwartet hatte. Wir besichtigen das Schloss: sehr schöne Holzböden, sehr viele und auch große Geweihe, die sogar in Stühlen und Tischen als Beine verarbeitet sind. Dazu die Geschichte des Schlosses und seines Erbauers, dem Fürsten Wilhelm Malte I. Durch den zentralen Turm ergibt sich ein tolles Treppenhaus: in der Mitte erhebt sich der hohle Rundturm mit weitem Durchmesser und einer frei in der Außenwand verankerten Wendeltreppe mit den ersten industriell aus Gusseisen gefertigten Stufen und ausgestanzten Ornamenten. Leider können wir nur durch die Fenster schauen, auf die Aussichtsplattform dürfen wir wegen Glatteis nicht, die Sicht ist allerdings auch eher neblig.
Im Kellergewölbe wurde nach der Wende eine urige Gaststätte eingerichtet, in der “Mägde” bedienen. Durch Wandgemälde von mittelalterlichen Gelagen und Tischen aus alten Schiffsplanken sieht man den Räumlichkeiten ihr geringes Alter nicht an.
Wir wandern dann in der Dämmerung auf recht glatter Straße, zum Glück mit unseren Schuhspikes, bergab zum Haltepunkt Garftitz der Rügener Bäderbahn, einer Schmalspur-Dampfbahn, die auch im Winter immerhin alle zwei Stunden nach Fahrplan zwischen Putbus und Göhren fährt. Ein kleiner Schneemann (endlich!) wartet mit uns vor dem Wartehäuschen. Die herannahende Bahn erkennen wir an einer hinten im Wald aufsteigenden Wolkenreihe. Der Zug mit fünf Wagen, offenen Einstiegsplattformen und Übergängen und einem Gepäckanhänger für Fahrräder kommt mit einer gewaltigen Dampfwolke auf dem Bahnsteig an. Der Schaffner verpasst uns die Fahrkarten aus einem hochmodernen mobilen Fahrkartendrucker, “weil das so vorgeschrieben ist, rechtlich ist der Rasende Roland eine S-Bahn des Landes Mecklenburg-Vorpommern”. Was es alles gibt, und das Ganze mit einer Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h. 12 Minuten später erreichen wir den “Kleinbahnhof Binz”, wo schon der Gegenzug auf die freie Schiene wartet. Im Bahnhof gibt es die ausgesprochen originelle Kneipe “Rasender Roland”, eingerichtet mit Bahnabteilen der 3. (Holz-)Klasse, alten Koffern und vielen anderen historischen Accessoires. Wir trinken Glühwein und Sanddornpunsch, Marlis interviewt die als Schaffnerin verkleidete Bedienung. Dann wandern wir in den Ort hinein und durch die schöne, aber ausgestorbene Hauptstraße mit hohen Schneewällen, bis wir merken, dass hier fast alle Geschäfte schon um 17 Uhr schließen. Ziemlich platt schleppen wir uns noch in die Sauna und erholen uns dabei. Heute belassen wir es beim hauseigenen Restaurant, meine “Sanddornspätzle mit Bisdamitzer Käse” sind eine ausgesprochen leckere Spezialität.

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3 Antworten auf 6. Januar: Binz und Jagdschloss Granitz

  1. Gabriele Heck sagt:

    Jetzt endlich … Marlis hat mich darauf aufmerksam gemacht: Der “kleine Schneemann” ist eingestellt. Ich werde das Gefühl nicht los, dass er eine gewisse Ähnlichkeit mit Joachim besitzt?
    ;-) ))

  2. Gabriele Heck sagt:

    Mittlerweile sind Fotos eingestellt, aber den kleinen Schneemann gibt es leider nicht zu sehen (ich stelle ihn mir einfach vor), dafür aber den rasenden Roland; wobei eigentlich der aufsteigende Dampf in sich einen Widerspruch darstellt: Einerseits dampft Roland wie vor “ewigen Zeiten”, andererseits macht Roland mächtig Dampf, wie eine vorantreibende “moderne” Kraft. Auf jeden Fall ein beeindruckendes Foto, finde ich!
    Und die Bilder von der weißen Pracht sind unglaublich künstlerisch, verwunschen, traumhaft, still.

  3. Gabriele Heck sagt:

    Da die Fotos aktuell noch nicht eingestellt sind, bin ich sehr gespannt darauf, ob Ihr ein Foto von Euch mit diesem Schneemann einstellen werdet, mit dem Ihr zusammen vor dem Wartehäuschen gewartet habt. Auch hoffe ich, den “Rasenden Roland” zu Gesicht zu bekommen.