13. November: Hankensbüttel, nach Bad Suderode

Hankensbüttel: Entdeckungen auf dem Weg von der Wassermühle, Besuch des Otterzentrums (Ziel: Yvette), Fahrt zu Onkel Klaus nach Bad Suderode

Anmerkung: Alle Tierbilder entstanden im “OTTERZENTRUM Hankensbüttel”.
Vor dem Frühstück noch interviewe ich die “Mühlenwirtin” Helga Schulze: vor der Wende waren sie Zonenrandgebiet, jetzt liegt Hankensbüttel mitten in Deutschland, wahrlich eine große Umstellung. Der Ort liegt am Rande der Lüneburger Heide, die noch vor Jahrzehnten von den dort beheimaten Schafherden samt Schäfern beweidet wurde. Das lohnt heute nicht mehr, weil der Absatz von Fleisch und besonders von Wolle nur noch wenige Abnehmer findet. Dadurch wird die Heide als vom Menschen durch Raubbau geschaffene Kulturlandschaft nicht mehr durch die Schafe beweidet, und die Natur, sprich die Wälder, kommen zurück.
Nach dem vorzüglichen Frühstück besichtigen wir die Rentelmannsche Wassermühle, die wieder voll funktionsfähig ist, ein 4,40 m großes Mühlrad hat und auch offiziell besichtigt werden kann samt Vorführung des Mühlenbetriebs.
Heute sind wir auf Erinnerungstour von Yvette und ihrer Familie, die Ostern 1989 gemeinsam das Otter-Zentrum in Hankensbüttel – seit Mai 1988 geöffnet – besucht haben. Wir sollen nachschauen, ob es heute noch genauso spannend ist wie damals, als viel für die ganze Familie geboten wurde.
Auf dem Fußweg dorthin mit unseren Koffern, die wir über Herbstlaub ziehen, sehen wir viele alte Klinker- und Fachwerkbauten, die uns sehr gefallen. Am Samstag Morgen ist Gartenarbeit angesagt, an mehreren Stellen werden große Stapel Äste verbrannt, es sieht aus wie Osterfeuer. Wir passieren das Kloster Isenhagen, die alte Kirche dahinter und einen 1436 errichteten Backsteinspeicher samt “Fachschule für Augenoptik Niedersachsen”. Leider haben wir unseren Terminplan so eng gestrickt, dass für die Besichtigungen keine Zeit ist, da müssen wir noch lockerer werden.
Jetzt habe ich mit meiner Kamera die Krise: alle Fotos, die ich seit heute morgen mache, haben einen ungewollten Weichzeichnereffekt, sind also leicht verschwommen. Da stimmt was nicht. Dank Joachims Kameraerforschung und -reinigung stellt sich heraus, dass auf der Frontlinse eine Salzbeschichtung von Regen und Wind war, die wir von Spiekeroog nach Hankensbüttel importiert haben.
Nach einstündiger Wanderung sind wir im Otter-Zentrum angelangt und froh und glücklich mit den unerwarteten Entdeckungen, die wir schon auf diesem kurzen Anmarsch gemacht haben. Ich stehe eigentlich nicht so auf Besichtigungen von Zoos, obwohl ich Tiere mag, und hatte schon im Vorfeld eher einen Widerwillen gegen diese Entdeckungstour und alle Vorurteile parat. Was für ein Glück, dass Ideengeberin Yvette uns hier her geschickt hat, denn ohne diesen Auftrag wäre ich niemals hier gelandet, und jetzt bin ich begeistert. Selbst bei leicht regnerischem Wetter ist das Otter-Zentrum eine Fundgrube für neue Erfahrungen. Ein äußerst engagierter Zivildienstleistender, René Kammann, 21 Jahre alt, macht die Fütterungen der kleinen Landraubtiere der Reihe nach durch. Wir nehmen viel mit dem Sprachaufzeichnungsgerät auf, das kann ich gar nicht alles durch Schreiben wiedergeben, so spannend sind seine Vorträge im Original – wir arbeiten daran, das auf dieser Seite hörbar zu machen. Wir erfahren viel zum Thema Marder und Auto, mit dem wir sogar persönlich als Stadtmenschen bei einem Landausflug vor einigen Monaten konfrontiert waren.
Nach einem Mittagessen im Wintergarten des Otterzentrums verlassen wir, ausgestattet mit vielen neuen Tiererlebnissen, diesen besonderen Ort und bewegen uns zur Bushaltestelle “Schulzentrum” in Hankensbüttel. Selbst ohne Schule am Samstag kommt der Kleinbus pünktlich und bringt uns als einzige Fahrgäste samt vieler lokaler Informationen zum Bahnhof Wittingen.
Von hier aus reisen wir am Nachmittag nach Bad Suderode im Harz, fast fünf Stunden lang über Braunschweig, Vienenburg, Halberstadt und Quedlinburg, am Ende mit der Selketal-Schmalspurbahn zum Zielort.
Die Mitreisenden im Zug sind am Samstag keine Berufspendler, sondern fast ausnahmslos junge Menschen, die mit dicken Einkaufstüten von C&A, New Yorker und Co aus Braunschweig kommen. Der Halt im Bahnhof Vienenburg, dem ältesten, noch erhaltenen Bahnhof in Deutschland von 1840 liegt leider im Dunkeln, so dass wir die jetzige Nutzung des Geländes mit Eisenbahn-Museum, Bücherei und dem 1869 angebauten Kaisersaal für Wilhelm I. und den auf den Nebengleisen stehenden Museumszügen nur im Licht der Taschenlampe erspähen können. Die 7 km Schmalspurstrecke ab Quedlinburg fährt leider nur ein kleiner Diesel-Triebwagen. Die Dampfzüge fahren erst ab 10. Dezember wieder.
Wir treffen in Bad Suderode meinen Onkel Klaus, der Ziel unseres Abstechers in den Harz und hier in einer Reha-Klinik ist. Er hat in der Klinik Schwester Marlies Behrens wiedergetroffen, die er aus Kindertagen seines Sohnes in Stendal kennt, die Diakonisse ist und mich von früher bei den Besuchen der Oma Johanna Arendt kennt. Sie macht den Zubringerdienst zur Kurklinik, Klaus ist wie immer sehr lustig mit seinem Spruch aus tiefer Vergangenheit über einen Artikel in einem DDR-Magazin, noch zu Zeiten lange vor dem Mauerbau, den er sich aber über mehr als fünf Jahrzehnte gemerkt hat: ein Ost-Journalist berichtete von seinen West-Besuchen über “die penetrante Pünktlichkeit der Bahn”.

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Eine Antwort auf 13. November: Hankensbüttel, nach Bad Suderode

  1. I.-Yvette sagt:

    Liebe Marlis, lieber Joachim,

    Wie spannend es auch für mich ist, über das Otterzentrum zu lesen nach soooo vielen Jahren! Besonders freut es mich, dass trotz anfänglicher Skepsis der Ort für Euch interessant und schön war. Auch ich hatte damals ein sehr gutes Gefühl, aber Orte können sich ja auch ändern… und damals war ja noch alles in den Kinderschuhen. Das Foto und die Unterlagen – 1000 Dank dafür! – haben mich animiert, diesen Ort der Erinnerung doch auch mal wieder aufzusuchen – bei meinem nächsten Besuch im Norden hoffe ich, das einplanen zu können.
    Ich lese mit Begeisterung Euer Reisetagebuch und freue mich auch über die Erinnerungsorte von anderen Menschen – finde es einfach eine super Idee und die Ausführung ist natürlich auch fantastisch! Ich weiss, der Ton fehlt noch……
    Freue mich schon auf den nächsten Bericht
    herzlichst Yvette