27. März: Hamburg

Führung im Botanischen Garten, Besuch im Schulauer Fährhaus mit Willkomm-Höft (Ziel: Sybille Burmeister und Klaus), Speicherstadt mit Elbphilharmonie, Schellfischposten

Trotz langer Nacht und längerer Frühstückszeit können wir nicht ausschlafen, die Zeitumstellung hat die Stunde gefressen. Dafür bleibts endlich länger hell, was uns sehr entgegen kommt. Marlis hat mit einer Bekannten aus der Spaziergangsforschung, Annette Huber, die im Botanischen Garten aktiv ist, eine Führung vereinbart. Wir treffen uns mit ihr am Eingang des Gartens in Klein-Flottbek. Wir beginnen mit dem Loki-Schmidt-Haus, dem neuen Museum für Nutzpflanzen. Uns überzeugen die Präsentation und auch die Architektur des würfelförmigen, außen blau gefliesten Gebäudes. Der Garten ist sehr weitläufig. Viele Beete warten noch auf den Frühling, einzelne Bäume blühen schon. Wir erfahren, dass aus Geldmangel immer mehr Gärtner eingespart werden müssen, statt dessen werden Ein-Euro-Kräfte und ehrenamtliche Mitarbeiter eingesetzt. Der frühere Standard kann damit nicht mehr ganz gehalten werden. Annette betreut einen Bereich im Nutzpflanzengarten. Alles Material wird gestellt, im Rahmen der Vorgaben kann sie dort frei werkeln. Nur das Gießen übernimmt bei Bedarf die Gartenverwaltung. Es macht ihr sehr viel Spaß. Und für uns ist es ein Erlebnis, so viel über den Betrieb eines Botanischen Gartens zu erfahren, auch nachdem wir in Bonn schon in einem unterwegs waren.
Die Sonne scheint ungetrübt, es ist immer noch recht kühl. Wir fahren mit der S-Bahn weiter nach Wedel und gehen durch den Ortskern zum Schulauer Fährhaus von 1864. Hierhin schicken uns gleich zwei Ideengeber: Marlis’ Onkel Klaus, den wir schon in Stendal besucht haben, war hier gleich nach der Wende, er hatte von der Schiffsbegrüßungsanlage “Willkomm Höft” schon in der DDR gehört. Sybille Burmeister war mit ihrer Oma jeden Sommer dort mit Genuss Kaffeetrinken. Die Lage ist hervorragend: Etwas erhöht und um 14 Uhr genau querab zur Sonne. Viele Hamburger genießen hier die Sonne am ersten Sonntag im Frühling. Die Bänke sind besetzt, Auf der großen Terrasse werden die Plätze immer rarer, und auch der kleine Strand in der Nähe ist schon bevölkert. Wir essen Windbeutel und Kaiserschmarrn. Dann begeben wir uns auf Entdeckungsgang durchs Gebäude. Das Buddelschiffmuseum schenken wir uns. Eindrucksvoll sind die Fotos der Sturmfluten 1962 und 1976; beide Male wurde ein Großteil der Terrasse weggerissen. Bei der zweiten, viel höheren Flut gab es wegen verbessertem Hochwasserschutz nur noch Sachschaden.
Als wir vor dem Raum des Willkommenskapitäns stehen, werden wir hereingebeten. Er erklärt uns gern seine ehrenamtlichen Tätigkeit, zeigt uns das Bedienpult der Anlage, die Kassetten mit den Nationalhymnen und die über 16.000 Karteikarten von Seeschiffen mit deren Daten. Da gerade kein Schiff kommt, und die Gäste draußen schon fragen, wird kurzerhand wieder das Unterseeboot der Schweizer Gebirgsjäger angekündigt, mit Nationalhymne und Dippen der Flaggen. Ob das alle merken? Die Anlage gibt es seit 1952; große Lautsprecher am Ufer sorgen dafür, dass auf den Schiffen die Melodien auch ankommen, die großen Containerschiffe werfen ein deutliches Echo zurück. Die Schiffsdaten werden im Anschluss verlesen, das hören nur die Gäste im Lokal. Marlis kauft Postkarten und interviewt den Kapitän, der nie zur See gefahren ist, aber schon immer schiffsbegeistert war. Wir staunen noch über den jetzt trockenliegenden Jachthafen mit den hohen Stangen, an denen die Anlege-Pontons sich frei mit Ebbe und Flut senken können.
Auf dem Panoramaweg Richtung Hamburg sehen wir Schiffe auslaufen. Gut kann man die flachen Binnen”schiffchen”, die wir von Ludwigshafen kennen, von den hohen, riesigen Seeschiffen unterscheiden; nur solche werden begrüßt und verabschiedet. Genau zur Abfahrt erwischen wir den Bus 189 auf der Elbestraße. Durch Landschaft, Gewerbe und Villenviertel geht es zur S-Bahn Blankenese, mit der wir bis zu den Landungsbrücken fahren. Dort gehen wir auf dem Hochwasserdamm, der gleichzeitig Promenade für die Hamburger entlang des Hafens mit Anlegern für viele Barkassen ist, Richtung Speicherstadt. Hier ragt spitz die Elbphilharmonie empor. Die Glasverkleidung ist schon großenteils dran, der Speicher-Unterbau ist komplett verhangen, drei Baukrane überragen alles. Einzelne Glasteile fehlen noch, die vorhandenen sind extravagant bedruckt und haben teilweise Öffnungen und Wölbungen. Schattenspiele vermitteln teilweise den Eindruck, als hätte es da gebrannt, beim Näherkommen löst sich das auf. Vom Wasser aus ist der Eindruck sicher imposant, und man kann sich vorstellen, dass sich Hamburg hier ein Wahrzeichen setzen und den Vergleich mit Kopenhagen, Oslo und Sidney antreten will; deswegen scheuen die Politiker hier wohl auch keine (Mehr)Kosten. Wir recherchieren: es gibt zwar schon Elbphilharmonie-Konzerte, aber an verschiedenen Orten in der Stadt. Das Gebäude selbst soll jetzt 2013 fertig werden. In der Abendsonne befassen wir uns mit der Umgebung: im Bereich der U-Hochbahn-Station wird die Promenade für Millonen von Zaha Hadid neu gestaltet. Man spart an nichts: das Gebäude selbst ist von Herzog&de Meuron geplant. Die Speicherstadt hat im Westteil viele Neubauten mit Büros, Lofts und Gastronomie; direkt oberhalb der Hafenfähre Sandtorhöft trinken wir etwas bei untergehender Sonne. Leider haben wir den Fahrplan nicht genau genug gelesen, ab jetzt fährt die Fähre nur noch ab Landungsbrücken, wir haben die letzte noch gesehen. So gehts per S und U zur Königstraße und die Treppen hinunter Richtung Fischmarkt, dort suchen wir den “Schellfischposten”, das Lokal der ARD-Nachtsendung von Ina Müller. Es ist noch viel kleiner als es im Fernsehen scheint. Von den vier Tischen wird einer für uns frei, dann gibts nur noch die lange Theke und einen großen Außenbereich, für den es zu kalt ist. Das Lokal bezeichnet sich als die älteste Fischerkneipe, es ist komplett mit alten Utensilien und Zetteln aller Art und einer Musikbox vollgehängt und recht urig. Es geht hier eher ruhig und nett zu. Die Wirtsleute sind in Urlaub, die bodenständige Vertretung macht alles allein, eher wortkarg, aber doch originell. Es gibt nur Kleinigkeiten zu essen, und die sehr preiswert; uns reichen Matjes auf Schwarzbrot und Würstchen mit Kartoffelsalat. Dann fahren wir zurück ins Hotel, noch müde von der letzten Nacht.

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2 Antworten auf 27. März: Hamburg

  1. Sybille Burmeister sagt:

    Liebe Frau Jonas, lieber Herr Krüger, ich fühle mich sehr geehrt, in dem illustren Kreis Ihrer Ideengeber aufgenommen worden zu sein. Es ist immer interessant zu sehen, wie andere Menschen zu anderen Zeiten die Orte wahrnehmen, mit denen man selbst so eigene und eigenartige Erinnerungen verbindet. Und ich bin froh, dass Ihnen meine Heimatstadt auch in den Folgetagen offensichtlich rundum gut gefallen hat ;-)

    Viele Grüße, viel Spaß und interessante Eindrücke weiterhin auf Ihrer wunderbaren Bahn-Zeit-Reise!

  2. Gabriele Heck sagt:

    Bei diesem Artikel schwelge ich in Erinnerungen mit folgenden Assoziationen:

    1. “Schulau”: Alte “Gisel und Ursel”-Bücher, die ich damals von fremden Kindern, die erwachsen geworden sind und ihre Bücher nicht mehr brauchten, geerbt habe (da muss irgendwas von “Schulau” gehandelt haben).

    2. “Windbeutel”: Gab es als Kind des öfteren bei meiner Mutter. Ich esse sie soo gerne!

    3. “Postkarten”: Wer schreibt heute noch? Alle mailen, simsen oder … gar nicht.

    4. “Landungsbrücken”: Legendäre Firmen-Weihnachtsfeier in Hamburg, als das übrig gebliebene Geld auch Mitarbeitern zugute kam und nicht nur Share Holdern, Vorständen oder Zockern, die die Existenz Dritter gefährden.

    5. “Musikbox”: Meine Cousine und ich besuchten – wenn wir die Ferien bei unserer Oma verbrachten – hin und wieder eine Gastwirtschaft am Dorfrand und haben dort Eis gegessen oder ‘was getrunken und haben dabei Geld für eine Musikbox spendiert (muss Donny Osmond gewesen sein). Sehr nostaligisch, das Ganze.