26. März: Von Heilbronn nach Hamburg

Stadtrundgang Heilbronn, Fahrt nach Hamburg, Abend auf der Reeperbahn mit Besuch im Cuneo und Schmidt

Wir stehen etwas früher auf, damit wir noch knapp zwei Stunden durch Heilbronn streifen können.
Bei der Vorbereitung haben wir verblüfft festgestellt, dass Heilbronn eine Großstadt ist, mit 122.000 Einwohnern, wobei der Kernort nur 54.000 hat, womit sich die Verwunderung wieder auflöst.
Wir durchqueren die Innenstadt von Nord nach Süd: erst zur Nikolaikirche, dann die Fußgängerzone entlang zum Marktplatz. Hier sehen wir das Rathaus mit seinen Uhren, das Kätchenhaus mit Erker und das Haus Zehender. In die zentrale Kilians-Kirche, seit 1528 reformiert, gehen wir hinein. Sie wird intensiv genutzt: um 11 Uhr ist ein öffentliches Marktkonzert auf der großen modernen Orgel, das Publikum sucht schon Plätze. Beeindruckend ist der unbemalte große Schnitzaltar von Hans Seyfer 1498. Der Marktplatz ist gleichzeitig Straßenbahnhaltestelle; wir stellen überrascht fest, dass hier das kombinierte Straßenbahn- und S-Bahn-System von Karlsruhe als S4 noch weiter bis Öhringen fährt. In Eppingen ist der Anschluss an unser Rhein-Neckar-S-Bahn-System mit unserer neuen S5. Auf den zentralen Plätzen herrscht Wahlkampf-Endspurt: Alle Parteien haben Stände, die Themen Atomkraft und S21 sind unübersehbar. Wir gehen durch den Deutschhof mit dem Deutschordensmünster. Südlich davon liegen zwei Einkaufszentren, östlich davon die kürzere, aber deutlich belebtere Fußgängerstraße Fleiner Straße. Am Götzenturm erreichen wir den Neckar. An der Brücke gibt es ein Feld mit Liebesschlössern, wie an der Deutzer Brücke in Köln in klein. Die Obere Neckarstraße gehen wir am Neckar entlang, dort sehen wir das Haus, in dem Marlis’ Tante lange gewohnt hat. Es ist in die Jahre gekommen, liegt von der Infrastruktur her jedoch optimal: direkt am Neckar mit gärtnerisch gestaltetem Ufer gegenüber, Fußgängerzone, S-Bahn, Marktplatz keine 200 Meter weit, und selbst zum Bahnhof kann man laufen, nicht mal ein Kilometer, was wir jetzt tun. Beim Blick zurück über den Neckar fassen wir zusammen: Durch Kriegszerstörungen blieb wenig erhalten, das wieder restauriert wurde; trotzdem ist es gelungen, eine recht angenehme, beruhigte Innenstadt zu schaffen, weil beim Wiederaufbau nach Plänen von H. Volkart drei- bis viergeschossige Putzbauten mit Satteldach und Stilelementen eines “barockisierenden Heimatstils” entstanden, und der alte Gassenverlauf aufgegriffen wurde. Auch nach der “zweiten Zerstörungswelle” in den 70er Jahren mit größeren Neubauten, Einkaufsklötzen und Beton blieb diese Optik hinreichend erhalten. Der Kurzbesuch hat uns gut gefallen.
In Hamburg, unserem nächsten Ziel, haben uns zwei Ideengeber dasselbe Ziel genannt, aber dazu morgen mehr. Bei grauem Himmel fahren wir bis Würzburg durch schöne Flusstäler mit vielen Weinhängen, sogar ein großes Solarfeld ist dabei. Nach Hannover wird das Wetter klarer, beim Aussteigen in Hamburg wird deutlich: auch viel kälter.
Heute abend haben wir schon von Ludwigshafen aus zwei Veranstaltungen gebucht. Wir fahren auf die Reeperbahn, es geht aber nicht um die dort üblichen Themen: Wir haben von dem ältesten italienischen Lokal in Deutschland gehört, dem Cuneo, seit 1905. Es liegt in der Davidstraße um die Ecke von der berühmten Polizeiwache. Es ist von außen völlig unscheinbar, da wären wir dran vorbeigegangen. Innen ist es alt, gemütlich, die Tische stehen so eng wie es geht, und alles ist besetzt, nicht nur jeder Tisch, sondern jeder der ca. 100 Plätze. Der Touristenanteil scheint klein zu sein. Die Speisekarte ist einfach gestaltet und übersichtlich wie in einer Trattoria. Offen gibt es nur einen Hauswein in den drei Farben. Alles geht aufmerksam, aber zügig. Nach einer Antipasti-Platte esse ich eine ganze Dorade, sehr gut, Marlis Crespelle mit Spinat, vorzüglich. Und alles bezahlbar.
Bis zur Schmidts Mitternachtsshow machen wir die Reeperbahn einmal rauf und runter: Viele junge, meist recht hübsche Prostituierte suchen nach Kundschaft, wohl wegen der Kälte sind nicht knappe Kleidung, sondern Moon-Boots aller Farben das Erkennungszeichen. An einer großen Theke schauen wir bei einem Bier dem Treiben zu. Als wirkungsvolle Animation spritzen die Bedienungen einen Strich Feuerzeugbenzin auf die Theke und zünden es an. Sieht echt gut aus und ist schnell abgebrannt. Ein kurzer Blick auf einschlägige Geschäfte fehlt nicht. Wir warten auf Einlass bei Schmidt’s Mitternachtsschau; um 0:20 gehts dann los. Ein schon lange in Deutschland heimischer Brite macht den Moderator und bringt gute Scherze, auch von seinen anfänglichen sprachlichen Missverständnissen und Deutschland. Er präsentiert vier Künstler mit Keulen, Bällen, Jojos und Musik. Alle können ihre Darbietungen fehlerfrei und lustig, es sind aber keine Größen. Diese Jonglage-Themen kennen wir zur Genüge, das reizt uns nicht so sehr. So nicken wir bei der fortgeschrittenen Zeit öfter ein. Die Zeitumstellung verbringen wir im Theater. Die S- und U-Bahnen fahren hier am Wochenende die ganze Nacht, sehr komfortabel. Entsprechend seltsam schaute mich die Frau am Nahverkehrs-Schalter an, als ich nach einem Nachtbusplan fragte. Und die Züge sind eher voller als am Tag. Zum Schreiben reichts es in der Nacht nicht mehr.

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2 Antworten auf 26. März: Von Heilbronn nach Hamburg

  1. Peter Krauss sagt:

    “Bitte eine kleine Spende für den Wiederaufbau der Kilianskirche” – mit diesem Spruch zogen wir als Schüler mit der Sammelbüchse rasselnd durch die Stadt. (Ich ging von 1954 bis 1960 in HN zur Schule.) Damals gab es noch viele Ruinen in der Stadt. Seltsam anrührend, darüber jetzt auf Eurer Deutschlandreise-Seite zu lesen. Mir hat die Stadt nie gefallen: die treffend beschriebene “zweite Zerstörung” durch die Bausünden der 50er und 60er Jahre habe ich noch vor Augen.

    Vielleicht sollte ich nochmal hinfahren und die Stadt mit anderen Augen zu sehen versuchen?

    • Joachim Krueger sagt:

      Hallo Peter,

      welch eine Überraschung, da haben wir uns doch direkt nach Deiner Empfehlung Radolfzell einen Ort zum Zwischenhalt ausgesucht, mit dem Du auch zu tun hast!
      Da empfehle ich auch gleich eine Fahrt mit unserer neuen S5 nach Eppingen, da müsste dann Umsteigen in die Karlsruher S4 nach Öhringen mit direktem Ausstieg in Heilbronn vor Rathaus und Kilianskirche klappen!
      Joachim