3. Oktober: Jonastal

Jonastal: Landschaft und Stollenbau im Dritten Reich (Ziel von Marlis)

Als wir an Marlis’ Geburtstag im Februar fünf Kilometer östlich von Arnstadt in Marlishausen waren, haben wir im Bergwerk Merkers erfahren, dass es ausgerechnet hier, sechs Kilometer westlich, ein Jonastal gibt. Spontan nehmen wir das Tal in unsere Zielliste auf, für den Sommer. Jetzt ist es dran, und wir wohnen im Süden von Arnstadt, sozusagen mitten zwischen Vor- und Nachnamen. Das Tal wird einerseits beschrieben durch die Geografie: Einschnitt des Flüsschens Wilde Weisse in die Ohrdrufer Platte aus Muschelkalk zwischen Crawinkel und Arnstadt mit knapp 200 Meter Gefälle. Andererseits hatte es eine furchtbare Rolle im Dritten Reich: Das spärlich besiedelte Tal eignete sich mit der Schlucht in der Mitte gut für die wahnsinnigen Stollenbauwerke im zweiten Weltkrieg, wie wir schon eines in Hersbruck bei Nürnberg kennengelernt haben. Das Wetter ist wunderbar, wir leihen Fahrräder vom Hotel. In der sogar heute geöffneten Touristinfo am Markt bekommen wir eine geeignete Karte, als nächstes besuchen wir den Jonastalverein, der sich mit der Bewahrung und Aufarbeitung der Geschichte des Tales befasst. Der Verein nutzt für seine dokumentarische Ausstellung zusammen mit dem Museumsbahnverein den alten Lokschuppen mit Dampfloks am Nordrand der Stadt, zu Fuß wäre das ein sehr großer Umweg gewesen. Im Keller läuft ein erschütternder 30-Minuten-Film mit umfangreichem Originalmaterial aus der Zeit von November 1944, als die Stollenbauarbeiten begannen, bis April 1945, der Räumung, sowie den ersten Nachkriegsjahren. Um den Truppenübungsplatz herum gab es schon immer Kasernen und Munitionsfabriken – Arbeitsplätze für die Bevölkerung -, besonders um Ohrdruf und Crawinkel; vom dortigen Bahnhof wurden Gleisanschlüsse gelegt. Hier an diesem zentralen, abgelegenen Ort wollte Hitler sein letztes Führerhauptquartier anlegen. Das KZ Buchenwald wurde um das Außenlager S III erweitert, viele Zwangsarbeiter wurden hier eingesetzt, mussten im Winter bei Schnee in Zelten oder Baracken ohne Heizung und ausreichendes Essen leben und mit Feldbahnloren oder zu Fuß in die Schächte einrücken, bei jedem Einsatz blieben Tote aus Erschöpfung und damit zusammenhängenden Misshandlungen zurück. Viele, die das überlebt haben, sind dann während der Räumung beim Marsch nach Buchenwald umgekommen, am Ende waren es etwa 5000. Es ist uns nach wie vor unvorstellbar, wie Menschen so mit anderen Menschen umgehen können oder sie einfach als minderwertig erklären und daraus die Rechtfertigung für solche Behandlung ziehen können. Umso wichtiger ist es, dass ein Verein dafür sorgt, dass diese Taten nicht vergessen werden. Wir sehen einige Pläne der Bahnen und Stollenanlagen und ein großes Modell, dann machen wir uns auf den Weg um Arnstadt herum ins Tal. Die Wilde Weisse ist ein kleines, ausgetrocknetes Bachtal, das nur bei Hochwasser Wasser führt, kleine alte Betonbrücken verengen die Durchfahrt auf zwei Meter. Auf der Straße ist etwas Verkehr, in Grüppchen kommen Autos, Fahrräder und Motorräder; viele MZ und noch ältere Modelle, sogar eine NSU von 1928, sind unterwegs, das liegt wohl am Feiertag und speziellen Veranstaltungen. Die Streckenführung macht ihrem Namen Jonastal alle Ehre, sie ist optimal, heute auch beim Wetter, an Marlis angepasst. Auf den 15 km nach Crawinkel steigt die Straße ganz gleichmäßig und windgeschützt mit durchschnittlich 1,5% an, gut befahrbar, der Lohn kommt netterweise auf der Rückfahrt. Das Tal ist leicht bewaldet, zwischendurch Wiesen, Felder, Apfelbäume, vieles schon herbstlich gefärbt und sonnenbeschienen. Die Hänge kommen näher und werden höher, der Muschelkalk schaut in größer werdenden Flächen heraus. Wir passieren das Denkmal zu den Ereignissen, auf dem Nebenhang durch die Dörfer Espenfeld und Gossel läuft der Bach-Radweg. Dann kommen die steilsten und höchsten Hänge, obendrauf noch heute Militärgelände. Hier wurden etwa 25 Stollen in den Berg getrieben; Eingänge sind kaum mehr zu erkennen; über die eingeschnittene Kante ist in den Jahrzehnten einiges Geröll gerutscht, nur in einzelnen Fällen ist noch der obere, verschlossene Rest einsehbar. Das Plateau, auf dem die Feldbahnen gefahren sind, kann man sich noch vorstellen, das Betonfundament der Kompressorstation und Reste von Kies-Verladeeinrichtungen sind zu sehen. Vieles werden die Nazis beim Rückzug selbst zerstört haben, deswegen ist der Verfall weit forgeschritten. Der Jonastalverein hat einen Rundweg angelegt, auf dem mit Tafeln geschichtsträchtige Punkte mit historischen Fotos erläutert werden. Betroffen verlassen wir diesen Teil und wenden uns der Landschaft zu; das Tal erweitert sich wieder und steigt an, bis kurz vor Crawinkel das Plateau erreicht ist. In dem kleinen, ruhigen, nicht touristischen Ort mit dörflichem Charakter ziehen wir über den Marktplatz, finden die Gemeindeschenke allerdings nicht einladend, das zweite Lokal ist zu, im dritten werden wir freundlichst bedient und bekommen was zu trinken, das wir auf der sonnigen Bank auf dem gegenüberliegenden Platz zu uns nehmen. Dann machen wir uns auf den Rückweg, Marlis lässts gemächlich rollen, Treten ist in der Richtung fast überflüssig, ich nehme einen Abstecher über den hier beginnenden Kamm mit Blick über das Plateau bis zum Thüringer Wald und durch das nächste Dorf Gossel, da kann ich mich auf einigen Hügeln und einer Kopfsteinabfahrt austoben. Wir treffen uns an der Straße und rollen gemütlich mit den letzten Sonnenstrahlen nach Arnstadt, dabei machen wir unser Foto mit den Fahrrädern und dem Jonastal-Straßenschild. Bei der Durchfahrt durch das Zentrum schauen wir nach geeigneten Abendlokalen; da wir nichts berauschendes finden, kehren wir wieder in der Brauerei ein, die heutige Bockbier-Anstichkarte bietet neue Abwechslung. So bleibt noch etwas Zeit zum Texten und Bearbeiten von Fotos.

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2 Antworten auf 3. Oktober: Jonastal

  1. Sonja Quack sagt:

    Liebe Marlis, lieber Joachim,
    bin Heute etwas wehmütig, da euer Reisejahr fast zu Ende ist. Ihr habt von Deutschland so viel gesehen, erlebt und alle Orte sehr schön beschrieben und mit tollen Fotos festge-
    halten. Mit eurer Bahn-Zeit-Reise (bei der ich in Gedanken mit auf Reisen war) habe ich
    sehr viel über Deutschland erfahren. Herzlichen Dank.
    Und nun seid wieder herzlich willkommen, hoch über den Dächern von Ludwigshafen.
    Liebe Grüsse
    Sonja

  2. Rolf Krueger sagt:

    Kennt ihr den Rolfstollen unter dem Jackturm im Unterlauf der Erdmuthe im Joachimsthal???

    Da müsst ihr unbedingt noch hin!

    Rolf