7. Juni: zum Watzmann

Aufstieg zum Watzmann und Übernachtung im Watzmannhaus (Ziel: Lars Leichsering)

Wir stehen früh auf, frühstücken, packen unsere Sachen komplett um: zwei Rucksäcke mit dem Allernötigsten für alle Fälle – schließlich wollen wir eine Nacht auf dem Watzmannhaus bleiben – und der Rest in unseren Koffern. Das ganze stellen wir in einem neuen Zimmer unter, das wir morgen abend bekommen. Früh starten wir mit der Bahn nach Berchtesgaden. Die Zugbegleiterin Petra Seidel kümmert sich echt um die Fahrgäste, einer alten Dame trägt sie noch den vergessenen Rucksack hinterher. Wir kommen ins Gespräch, sie erzählt von früher Bundesbahn und jetzt Privatbahn, wir vom Projekt und unseren Vorhaben, sie ist begeistert (und hat schon einen Kommentar zum 5. Juni geschrieben, also bevor wir diesen Text hochgeladen haben!). Weiter gehts mit dem Bus, so dass wir gegen halb zehn am Königssee zum Aufstieg über die Kührointalm zum Watzmannhaus aufbrechen. Über 1300 m Aufstieg liegen vor uns, etwas mehr haben wir nur einmal, vor über zehn Jahren mit Marlis’ Sohn, der diesmal der Ideengeber ist, auf die Zugspitze geschafft. Eigentlich schickt uns Lars auf die Zugspitze, aber mit dem Zusatz, dass er eigentlich an den Watzmann denkt, ihn aber zu anstrengend für uns hält. Wir finden aber diesen heimlichen Wunsch interessanter. Vorgestern haben wir ja schon trainiert. Heute fühlen wir uns fit, die Sonne scheint, alle Berge sind wolkenfrei. Durch Wald geht es entlang der großen Bobbahn Königssee, die im Moment wegen Erweiterung Baustelle ist. Der Weg ist breit, eben und gleichmäßig steil. Wir sind so gut wie allein, der Wald schützt vor der Sonne, die Abkühlung durch den Höhengewinn gleicht die Erwärmung am Tag aus.Wir passieren die Abzweigungen zum Grünstein, dort bereiten sich Kletterer für den Einstieg vor, auch im Fels hängend entdecken wir einige. Schöne Pflanzen begleiten uns, leider ist die Sicht immer durch Bäume verdeckt. Das ändert sich erst bei Annäherung an die Kührointalm, wo der Weg zum teilweise steinigen Pfad wird. Direkt vor uns steht der kleine Watzmann, dahinter der Watzmann-Hauptkamm, grandios: grau, einzelne Schneeflecken. Bis ca. 1500 m Höhe gibt es noch Bäume, die die Sicht behindern, bis 1800 m Wiesen und niedrigere Büsche, darüber nur noch kleine Wiesenstücke mit Alpenblumen. Wir kehren in der Alm ein. Als wir nach einer Stunde weitergehen, ist die Sonne fast ganz verschwunden. Unterhalb des Watzmannkar nähern wir uns in steinigem Auf und Ab durch grünen, lichten Wald mit sich laufend verändernden, phantastischen Blicken auf kleinen Watzmann, den Hauptkamm, die dazwischenliegenden Watzmannkinder, ins Schapbachtal und auf das Watzmannhaus dem Falzsteig, wo wir seilgeführt durch die Flanke des Hauptkamms auf die Falzalm gelangen. Das ist der schwierigste, spannendste und schönste Teil, manchmal gehts fast senkrecht runter, problematisch ist es aber nicht. Toll ist, dass alle Kämme frei zu sehen sind, alle Wolken sind höher, und es gibt noch blaue Flecken und keinen nennenswerten Wind. Auf dem Hauptkamm haben wir fast immer das Watzmannhaus auf seiner kleinen Spitze, den kleinen Watzmann und alle umliegenden Berge im Blick, und je höher wir kommen, auch die Berge dahinter und das bayrische Alpenvorland, dazu natürlich das über 1300 Meter tiefere Berchtesgaden. Unterwegs begegnen wir einer Biologie-Doktorandin, die Hummeln und ihr Bestäubungsverhalten in verschiedenen Höhen und über mehrere Jahre vergleicht; sie steigt täglich hier hoch und fängt sie. Das Haus in Sicht ergeben sich Mentalitätsunterschiede: während ich, beflügelt durch das Gefühl, es soweit so unerwartet reibungslos geschafft zu haben, zum Endspurt ansetze, reichts Marlis, und sie ist froh, es noch zur Hütte auf 1930 m zu schaffen. Mit der Kondition haben wir beide kein Problem, und Marlis ist begeistert, dass sie einen Rucksack tragen konnte und so jeder seine eigene Kleidung im Griff hat. Das eröffnet uns für Mehrtagestouren ganz andere Möglichkeiten; meine Gelenke kommen nicht so schnell an die Belastungsgrenze, und für mich reicht vom Volumen her der handliche Reiserucksack. Beide Rucksäcke sind, was wir als wichtig empfinden, mit allem Tragekomfort ausgestattet: steifer, belüfteter Rücken, gute, auch oben verstellbare Tragegurte, Hüft- und Brustgurt, und eine oben nicht schlanke, gut anliegende Form. Zum Glück haben wir den großen Fotoapparat nicht mitgenommen, das Gebaumel hätte Marlis die Laune verdorben, schließlich will sie ihn ja griffbereit haben, im Rucksack nutzt er nichts. Die Vorbereitungstour vorgestern hat sich offensichtlich gelohnt, der Aufstieg ist optimal gelaufen, kein Gelenk hat sich gemeldet. Die Hütte ist um 16 Uhr schon leer, nur einzelne Übernachtungsgäste sind da, die Einkehrer sind uns alle entgegengekommen. Wir checken ein und kaufen uns die Hüttenschlafsäcke; gestellt werden Kissen und Decken. In den Zimmern gibt es keine Heizung, wir haben ein Zimmer mit zwei Stockbetten für uns mit einem Stuhl, Tisch und Licht. Toiletten und Kaltwasser-Waschgelegenheit gibt es nahe auf dem Flur. Alles muss mit einer Materialseilbahn von 1350m Höhe hochgeschafft werden. Wasser ist knapp, da es nur auf der Fläche gesammelt werden kann, einen Bach gibt es hier nicht. Strom kommt aus der Solaranlage mit großer Batterie, Heizung und zusätzlicher Strom kommen aus einem Rapsöl-Blockheizkraftwerk, zur Not gibt es noch einen alten Dieselgenerator. Alle Abwässer werden in der hauseigenen Kläranlage geklärt. Klar ist, dass hier jeder mit allen Resourcen sparsam umgehen muss, schließlich befinden wir uns außerdem im Kerngebiet des Nationalparks. Müll muss man selbst wieder mit runternehmen, was eigentlich bei allen Wanderungen selbstverständlich ist, man hat es ja geschafft, ihn mit Inhalt hochzubringen. Nach einer ausgiebigen Rast starten wir zum “Abendspaziergang”: wir steigen nochmal 200m höher auf dem Weg zu den Watzmann-Spitzen bis auf den Grat; so sehen wir den kleinen Watzmann und das Watzmannkar richtig von der Seite und nicht nur von unten. Auf diesem Weg entdecken wir neben anderen Pflanzen sogar Enzian, eingewickelt, weil keine Sonne scheint. Dann wenden wir, es fängt auch an zu tröpfeln. Dass wir nicht zu einer der Spitzen vorgedrungen sind, stört uns nicht wirklich, wir sind glücklich, richtig ins Watzmann-Massiv eingedrungen zu sein und könnten uns mit einem Tag mehr Zeit gut vorstellen, bis zum Hocheck oder gar zur Mittelspitze aufzusteigen. Den Tag vermissen wir auch nicht, die Wetteraussichten für morgen sind nicht gut, es gibt Gewittergefahr, wichtiger ist, morgen gut runterzukommen, ich verfolge laufend WetterOnline und den Regenradar, der Empfang fürs Smartphone reicht gerade so bis hier, das Netbook ist sowieso unten geblieben.
Die Speisekarte enthält einfache, deftige Klassiker aus guten Zutaten, Biere, gute Weine und Schnäpse sind zu haben, und die Stube ist gut geheizt. Zum Aufladen von GPS und Handy dürfen wir die Steckdose unter der Theke benutzen. Als einzige Gäste im Gastraum unterhalten uns noch angeregt mit den Hüttenwirtsleuten Annette und Bruno Verst, sie haben von Mai bis Oktober ein erfülltes, eigenständiges Leben hier, in der Woche ruhiger mit weniger Personal, Reparaturen und Transporten, bei gutem Wetter im Sommer und besonders an Wochenenden können alle 228 Schlafplätze belegt sein und im Gastraum mit 140 Plätzen muss man zusammenrücken. Dann sind bis zu 10 Leute im Einsatz, dazu ist die Küche bestens ausgestattet. Das Verständnis besonders der jungen Gäste für den geringeren Komfort und die weiteren Regeln in dieser Umgebung, 600 Höhenmeter entfernt von jedem Fahrweg, würde leider abnehmen. Nach fünf Monaten 7-Tage-Woche sind die restlichen Monate unten für Bürokratie, Reparaturen und Planung und auch etwas Urlaub gerade ausreichend. Um zehn schließt eigentlich die Stube, wir unterhalten uns bis halb elf, und sind gespannt, wie wir schlafen können. Marlis schläft gleich ein, ich tippe noch etwas und rechne nicht mit besonders gutem Schlaf, was mir aber egal ist, das außergewöhnliche Erlebnis des selbstorganisierten Aufstiegs und der Hütte lässt sowas in den Hintergrund treten. Es ist der Höhepunkt des Reisejahrs bisher, da sind wir uns einig.

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5 Antworten auf 7. Juni: zum Watzmann

  1. Marianne Schäfer-Engelmann sagt:

    Liebe Marlis, lieber Joachim,
    ich freue mich mit Euch!!
    Vor 6 Jahren habe ich mit Freunden und meinem kleinen Dackel die gleiche Watzmann-Tour gemacht. Damals war ich auch sehr im Zweifel, ob ich das denn schaffen könne… Noch heute bin ich stolz, dass ich da oben war – einfach herrlich! – Und der kleine Hund wie eine Gemse die Steilstücke hochgekraxelt ist. Aus Sicherheitsgründen mussten wir ihn dann doch in den Rucksack stecken und oben zubinden, weil er immer wieder raus wollte.
    Holadahüdi Marianne und Joachim

  2. Margita Wickenhäuser sagt:

    Hallo Ihr Lieben,
    ich kann mich den Bewunderen nur anschließen. Respekt, Respekt!!
    Und mein Fotowunsch – Sehnsucht nach Weite und Raum – war da doch sicher auch mit drin.
    Toi, toi, toi für alles Zukünftige
    MMMMMMMMMMMMMMMM
    Danke für Eure Karte, ein großartiges Paar seid Ihr!

  3. Gabriele Heck sagt:

    Hallo Marlis und Joachim,
    ich kann Euch nur bewundern, das ist eine reife Leistung von Euch und von Lars ein tolle (heimliche) Idee! Außerdem habt Ihr grandiose Natur erlebt; auf jeden Fall seid Ihr zu beneiden.
    Grüße
    Gabi

  4. Petra Seidel die Zugbegleiterin sagt:

    Hallo Ihr zwei,
    ich muss schon sagen so wie Ihr unser Reichenhall und Berchtesgaden darstellt, fällt mir wieder auf, in was für einer herrlichen Gegend ich wohne. Leider nimmt man das alles gar nicht mehr so wahr, weil es alltäglich ist und man viele oder besser gesagt die meisten Dinge gar nicht mehr sieht.
    Ich Danke Euch für die schönen Bilder und Eindrücke.
    Liebe Grüße
    Eure Zugbegleiterin Petra

  5. Lars Leichsering sagt:

    Zunächst mal vielen Dank für die schöne Karte, die ihr mir geschickt habt. Da seid ihr ja die letzten Tage mehr gewandert als Zug gefahren. Von wegen Bahn-Reisejahr (lach). Ich denke, das, was ihr die letzten Tage gesehen und erlebt habt, ist tolle Abwechslung zu den meisten anderen Zielen.

    Gruß Lars