30. März: von Bremerhaven nach Everswinkel

Bremerhaven: Auswandererhaus. Fahrt nach Everswinkel (Ziel: Nachlass Marlis’ Mutter)

Heute morgen ist es stark bewölkt, dafür deutlich wärmer. Etwas traurig verlassen wir unser Hotel mit dem tollen Blick. Wir besuchen das Deutsche Auswandererhaus. Dies ist eine andere Reise als im Klimahaus. Es geht um die Auswanderung aus Deutschland von 1830 bis 1974, vorwiegend in die USA und nach Südamerika, die zum großen Teil über den Hafen von Bremerhaven lief. Es beginnt mit einem Raum, ist dem der Kai mit einer Schiffswand und Auswanderergruppen in der Kleidung verschiedener Zeiten mit ihrem Gepäck nachgestellt ist. Weiter gehts in ein Register, in dem man den geschichtlichen Kontext der einzelnen Zeiträume ansehen und -hören kann, und von vielen Auswanderern eine Karteikarte des Auswandererregisters in Schubladen einsehen kann. Danach geht es um die Bedingungen während der Überfahrt, meist mit Schiffen des Norddeutschen Lloyd. Die Auswandererschiffe waren ein eigener Geschäftszweig. Es begann mit Segelschiffen, die schon 500 Personen auf engstem Raum in Schlafsälen transportierten, die die dazu notwendigen hygienischen Maßnahmen gar nicht gewöhnt waren. Außer dieser dritten Klasse gab es auch immer eine zweite und erste Klasse, mit Speisesälen und eigenen Kabinen. Mit der Zeit wurden die Schiffe größer und sicherer, Segel wurden durch Dampfmaschinenantrieb und dann Dieselmotoren abgelöst. Die dritte Klasse wurde geräumiger, am Ende gab es eine Kabine pro Familie. Das war alles geordnete Emigration, man hatte alle Anträge gestellt und ein Visum für die USA. Und es war doch eine Fahrt ins Ungewisse, voller Hoffnung. In der letzten Station und in einem Film kann man den Biografien einzelner Auswanderer nachgehen und in Registern nach Namen forschen. Es ist alles so dargestellt, dass man es sich hautnah vorstellen kann.
Die Reisen waren für viele alles andere als ein Zuckerschlecken, manchmal auch tödlich. Heutige, meist illegale Einwanderung aus Krisengebieten nach Europa finden allerdings unter viel dramatischeren und unwürdigeren Bedingungen statt, mit noch seltenerem Happy End, auch wenn die Motive sicher mindestens genauso stichhaltig sind wie damals.
Legale Auswanderung dagegen findet heute praktisch nur noch per Flugzeug statt und geht schnell und sicher.
Danach gehts direkt per Bus zum Bahnhof, und wir erreichen noch einen RE fünf Minuten früher. Glück gehabt, der vorgesehene RB kommt mit 20 Minuten Verspätung in Bremen an und hätte den IC verpasst, auf den wir so gemütlich in der Lounge warten können. Von Münster geht es per stündlichem Schnellbus nach Evertswinkel.
Dies ist quasi ein posthumes Ziel von Marlis’ Mutter. Sie hatte in ihrem Nachlass eine Streichholzschachtel des “Gasthof Diepenbrock”. Marlis möchte erfahren, wie sich so ein Ort anfühlt, den ihre Eltern auf Ausflügen von ihrem Sommerstandort bei Datteln aufgesucht haben, als sie nicht mehr dabei war.
Wir übernachten in einem Gasthof, der Ruhetag hat, der Schlüssel ist in einem vereinbarten Versteck. Das Zimmer ist besser als befürchtet und für den Preis in Ordnung. Im Gästehaus des Gasthofes Diepenbrock können wir leider nicht übernachten, er war zum Zeitpunkt unserer Buchung ausgebucht, viele Gäste sind regelmäßig kommende Monteure.
Solange es noch hell ist und nicht regnet, machen wir einen Rundgang durch den Ort. Zentral steht eine schöne gotische Kirche, gegenüber eine kleine Kapelle, und drum herum noch einige kleine, historisch anmutende kleine Backstein-Fachwerkhäuser. Früher waren es hier überwiegend Weber, die noch nebenher Landwirtschaft betrieben. Heute ist den meisten Häusern keine lange Geschichte mehr anzusehen, manchmal verbirgt sich hinter der neueren Backstein-Fassade noch ein altes Fachwerkhaus. Die Stadtanlage ist wenig herausragend, aber doch angenehm. Auch alle neuen Gebäude sind Backsteinhäuser. Der 20 Jahre alte Stadtplatz Magnusplatz, der hinter dem Gasthof Diepenbrock liegt, ist von Backstein-Neubauten umgeben.
Wir sehen hier den rückwärtigen Biergarten unter Platanen, und gehen um den Block in den Gasthof Diepenbrock zum Essen. Die Speisekarte ist gut sortiert. Es gibt einen älteren Gastraum, in dem geraucht werden darf, und einen neuen Anbau mit moderner Einrichtung, den “Geierabend” für Nichtraucher. Wir werden gut bedient, das Cordon Bleu ist gut, der Salat reichlich und gelungen zusammengestellt. Der stramme Max ist außergewöhnlich: Graubrot, westfälischer Knochenschinken, üppige Dekoration. Marlis spricht den Chef des Hauses, Klemens Diepenbrock, an und erläutert den Anlass unseres Kommens. Er ist begeistert und freut sich, die alte Streichholzschachtel zu sehen. Er erzählt uns, dass er sich bemüht, den Gästen regelmäßig was neues zu bieten, so ist der Biergarten entstanden, aus dem Saal wurde das “Oberhaus”, seinen Spitznamen hat er aktiv zum Logo gemacht, den Geier gibt es als Pin für ausgewählte Gäste (wie uns!), das Personal hat Schürzen mit dem Geier, deren Farbe den Jahreszeiten angepasst wird, und eine Wand mit Evertswinkler Motiven kommt jetzt dran. Das Nebenhaus war mal die Bäckerei Diepenbrock, die seinem Bruder gehört, jetzt ist es seine Erweiterung, der “Geierabend”, die Bäckerei ist ein Neubau gegenüber mit Imbiss, die Backstube ist außerhalb. Das Gästehaus daneben betreiben beide zusammen: Frühstück in der Bäckerei, Rezeption während der Öffnungszeiten dort, danach in seinem Restaurant. Und am Biergarten führen zwei Fernradwege vorbei. Das ist Marketing! Eine Homepage hat er nicht, gegen den Trend hat er zwei Kegelbahnen gebaut, 90 Gruppen kegeln dort. Mit den anderen Gasthöfen hat er sich die Zielgruppen etwas aufgeteilt: im Gasthof Arning, wo wir übernachten, wird eher Tradition und Platt gepflegt. Marlis ist von dem Ziel ihrer Eltern angenehm überrascht.

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2 Antworten auf 30. März: von Bremerhaven nach Everswinkel

  1. Gabriele Heck sagt:

    … und immer wieder leckeres Essen. Auch noch solche Fotos davon.
    Ich bekomme schon wieder Appetit!

  2. Rolf Krueger sagt:

    Da seid ihr schon wieder da.
    Und auch noch mit Beweispostkarte.
    Hört sich wirklich spannend an, was ihr so vom Klimahaus erzählt.
    Vielleicht gibt es ja noch Zeiten und Wunder und ich fahr auch noch mal los.

    Weiter so
    Rolf