9. Februar: nach Ummendorf

Fahrt nach Ummendorf (Ziel: Reinhard Mundt). Sehr angenehme Kontakte, viel erfahren. Verändertes und Unverändertes gefunden. Gute schwäbische Küche.

Eigentlich dachten wir, heute morgen könnten wir in Ruhe starten, aber dann gab’s noch Anrufe und Emails, und wieder wurde es knapp. Die Bahnfahrt klappt gut, alles ist pünktlich, auch wenn der ICE ein verkürzter Ersatzzug ist. Die Busse in Biberach sind etwas unübersichtlich, es gibt 20 Bussteige, der Fahrplan weist den Bus 253 auf Steig 18 aus. An dem Steig steht nur ein Schulbus ohne Nummer, und der ist es, nicht der Bus 253 auf Steig 20. Die Fahrten sind an verschiedene Unternehmen vergeben, und gerade mittags sind 99% der Mitfahrer Schüler. Entsprechend voll wird es an den zwei Schulhaltestellen. Wir müssen eben immer erkundigen und fix dabei sein.
Der Gasthof Gaum liegt am nördlichen Ortsrand von Ummendorf, am früheren Bahnhof, nahe einem Badesee. Wir sind in einem neuen Anbau, die meisten Zimmer sind für Familien mit Kinder-Hochbett ausgestattet. Wir ziehen los, es ist noch stark hochneblig, nicht so gut für den Aussichtshügel. Unser Ideengeber, Reinhard Mundt, hat von 1957 bis 1960 hier gelebt, “die schönsten Jahre seiner Jugend”, und war danach wohl nicht mehr hier. Zunächst suchen wir das damalige Wohnhaus auf. Es erinnert stark an die 50er Jahre und ist wohl nur unterhalten, aber nicht umgebaut oder großartig modernisiert worden. Für Reinhard ist es bestimmt wiederzuerkennen. Der Garten wird offensichtlich als Kinderspielplatz genutzt. Das ganze Viertel Hochstaad scheint aus der Zeit zu stammen, es sind lauter kleine Einfamilienhäuschen in allen Zuständen, von Original bis total umgebaut. Das Viertel ist wahrscheinlich für die Arbeiter des gegenüberliegenden Werkes der Firma Himmelsbacher entstanden. Heute ist das Firmengelände ein Bundeswehr-Luftwaffenstützpunkt.
Der Blick vom Wohnhaus nach Südwesten in freie Felder existiert nicht mehr. Dort ist in den 60er/70er Jahren ein komplettes Wohnviertel mit Mehrfamilienhäusern entstanden. Bis zur Sicht ins freie Feld laufen wir 400 Meter. Auch im Hochnebel ist die Weite, die von flachen Hügelketten begrenzt wird, zu erkennen.
Wir gehen weiter in die Ortsmitte. Den Schwenk der Hauptstraße ziert ein Schlecker-Laden. Gegenüber liegt zentral ein schöner Demeter-Hof mit Hofladen und Kühen und Schweinen im Hof. Es gibt einzelne Läden im Ort: Elektro, Apotheke, Netto, mehrere Bäckereien und einige Gasthöfe. Wir erreichen Reinhards zweiten Erinnerungsort: den Platz um die große, innen sehr schöne, helle barocke katholische Kirche mit angrenzendem Friedhof. Gegenüber sehen wir das Rathaus, das hat, im Gegensatz zu den meisten Geschäften und dem Ummendorfer Bräuhaus, genau am Mittwoch Nachmittag geöffnet. Marlis hatte schon in einem Schaukasten entdeckt, dass es Postkarten im Rathaus gibt. Wir treffen Irmgard Ströbele im Einwohnermeldeamt. Sie ist hier geboren und schon fast 40 Jahre im Rathaus. Sie kann uns vieles erzählen. Hier erfahren wir die schwäbische Sparsamkeit; sie rät uns, welche Postkarten wir nicht kaufen müssten. Früher waren im Erdgeschoss des Rathauses Schulräume, im Nebengebäude, das zum Schloss gehört, eher ein Kindergarten. Gegenüber neben der Kirche hat auch ein Schulhaus gestanden, das aber abgerissen wurde. Das dürfte das gewesen sein, in dem Reinhard unterrichtet wurde. Dort ist jetzt ein Parkplatz und eine Erweiterung des Friedhofs. Das Schloss, ein auffälliger heller Rechteckbau, erstrahlt in neuem Glanz; er wird von einer Fachhochschule und anderen Veranstaltern genutzt. Obendrauf ist tatsächlich, wie von Reinhard beschrieben und von Frau Ströbele bestätigt, ein Storchennest, und zwei Störche sitzen drin. Genau jetzt um 15 Uhr lichtet sich der Hochnebel, so dass schöne Bilder in der Sonne gelingen.
Der Ort ist bis auf einzelne verfallende Höfe sehr gepflegt und großzügig geräumig.
In der nahegelegenen Bäckerei stärken wir uns; während wir rausschauen, sehen wir, dass die Sonne sich schon wieder verschleiert. Also schnell zum letzten Ziel: dem Aussichtshügel mit Kreuz. Wir wissen schon, dass er Prälatenhöhe heißt. Dass er für Reinhard als Kind eine besondere Bedeutung hatte, ist klar: wir blicken die Straße entlang von seinem Wohnhaus nach Osten und sehen in der Verlängerung genau den weißen Sockel mit dem Kreuz auf dem Hügel. Wir erklimmen ihn über matschige Wiesen – das macht das wärmere Wetter. Der Sockel steht auf einem Plateau, hier soll mal eine Burg gestanden haben. Die Sicht ist trotz Hochnebel noch da: Etwas verscheiert sehen wir Ummendorf, die umliegenden Hügelketten und im Norden das alte Themalbad Jordanbad, das schon sehr lange existiert und ein Zweigbetrieb von Pfarrer Kneipps Kurbetrieben war. Pfarrer Seb. Kneipp ist auch der 1899 errichtete Sockel gewidmet.
Beim Abstieg kommen wir an großen Haufen von Reisig, Paletten und anderem Altholz vorbei. Wie wir erfahren, wird hier schon für das Hexenfeuer während der alemannischen Fasnacht gesammelt. An einem Bauernhof zeigen sich zwei Ziegen sehr interessiert an uns. Vorbei an der baufälligen Johanneskapelle, gehen wir nach einem Blick in den Bräuhaushof zum Gasthaus Adler, dem ältesten am Platz, innen urgemütlich und schwäbisch, mit sehr netter Bedienung und hervorragender schwäbischer Küche: Maultaschen aus ganz dünnem, sehr schön angebratenem Teig mit äußerst feiner und geschmackvoller Füllung, dazu der sehr angenehm säuerliche Kartoffelsalat. Die Restaurantleiterin, Verena Branz, liest uns Sprüche von der Wand vor; so kommen wir immer mehr ins Gespräch, und sie versorgt uns mit weiteren Informationen zur Barockstraße und der Umgebung. Auch der Wirt zeigt sich; es klärt sich, warum es heute ab 19:30 so leer wird: Fußball!
Aufgefallen sind uns hier die aufgeschlossenen, sehr auskunftsfreudigen und lustigen Frauen, es fing schon im Bus an, über die Bäckereien, das Rathaus bis in die Gasthöfe.
Und der Gastwirt: seine Schilder lässt er draußen, hier wurde vor 50 Jahren das letzte Mal was entwendet.

Dieser Beitrag wurde unter Ziel Ideengeber abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setzen Sie ein Lesezeichen auf den Permalink.

5 Antworten auf 9. Februar: nach Ummendorf

  1. Verena Branz sagt:

    Oberschwaben ist eine Reise wert, sehr gute Küche (wie unsere hausgemachten Maultaschen), wie gesagt sehr angenehme und nette Leute und viele Sehenswürdigkeiten wie z.B. Federsee, Wurzacher Ried, Barockstraße, viele Museen, viele Kirchen, Donauradwanderweg, Heuneburg Hundersingen (Kelten) Thermalbäder, ca. dreiviertel Stunde zum Bodensee und zur schwäbischen Alb und vieles mehr…

    Liebe Grüße aus Oberschwaben

    Verena Branz
    Restaurantleiterin vom Landhotel Adler Ummendorf

  2. Reinhard Mundt sagt:

    Liebe Marlis, lieber Joachim,

    ich bin zutiefst gerührt und mir kullern beim Schreiben dieser Zeilen immer noch die Tränen herunter. Aus eurem Bericht und den dazugehörigen Photos ist ersichtlich, dass ihr diesen Besuch in Ummendorf mit sehr viel Liebe und Einsatz durchgeführt habt. Ihr habt wirklich alle mir wichtigen Erinnerungsorte in Ummendorf besucht und ich bin euch dafür sehr sehr dankbar. Ich werde diesen Bericht baldmöglichst meinem Bruder Jürgen und meiner Cousine Karin weiterleiten. Leider leben weitere Personen, wie z.B. meine Schwester Gisela, die Ummendorf noch aus der damaligen Zeit kennen, nicht mehr. Übrigens sind wir genau an meinem 6. Geburtstag von Schwäbisch Gmünd nach Ummendorf umgezogen (31.10.1957) und genau an meinem 9. Geburtstag (31.10.1960) erfolgte der Umzug nach Backnang. Keiner der weiteren 10 Umzüge in meinem Leben erfolgte jemals wieder an meinem Geburtstag und glücklicherweise erfolgten die letzten 5 Umzüge nie über eine grössere Entfernung als 10 km.

  3. Renate Heinz sagt:

    Liebe Marlis, lieber Joachim,
    es hat mich sehr berührt, Näheres über den Ort zu erfahren, an dem Reinhard die schönsten Jahre seiner Jugend verbracht hat. Ich freue mich schon auf eure Bilder – und habe Appetit bekommen, bald mal mit ihm gemeinsam dorthin zu fahren – nicht nur wegen der Maultaschen. Vielen Dank für die Anregung durch eure Reise!
    Übrigens, als bisher zwar nur indirekt Betroffene kann ich schon jetzt sagen: Ich finde den Stil eurer Berichte genau richtig; Sehnsucht braucht einfach Raum…!
    Renate

    P.S. An einer Stelle habt ihr “Rainer” statt “Reinhard” stehen – lässt sich bestimmt noch korrigieren.

  4. Gabriele Heck sagt:

    Ich stelle gerade beim Lesen fest, dass es sogar recht gut ist, wenn die Fotos immer mit etwas Verspätung, d.h. nach dem Text, eingestellt werden. Warum?
    Nun ja, so kann ich mir aufgrund der Beschreibung zuerst ein eigenes Bild machen, bin dann gespannt “wie ein Flitzebogen”, wie es wirklich ist und kann anschließend meine Neugierde befriedigen und die Fotos gucken.
    Es ist ein wenig so, als ob man zuerst ein Buch liest und hinterher die Verfilmung davon anschaut.

  5. Rolf Krueger sagt:

    Und?
    wo ist mein Päckchen mit Maultaschen?
    Magen knurrt schon.