31. Dezember: Silvester a la Bahn-Zeit-Reise

Straßenbahn nach Bad Dürkheim, Menü und Nachtwanderung durch Felder nach Ludwigshafen, Feuerwerk in Ruchheim

Eigentlich wollten wir ähnlich wie im letzten Jahr feiern: Silvestermenü im Hofgut Ruppertsberg, vorher Schneerundgang mit Glühwein und Blick über die Hochfläche der Weinfelder auf die Weinstraße und in die Rheinebene im nächtlichen Leuchten.
Letztes Jahr hatten wir recht spät gebucht, es hatte geklappt. Da hätten wir uns nicht drauf verlassen sollen: diesmal waren zwei Monate Vorlauf schon zu wenig. Dann dachten wir im Reisesinne nach, fanden am Ostrand von Bad Dürkheim ein neues Restaurant in einem Neubau, angeschlossen an ein Weingut, und kamen auf eine Nachtwanderung Richtung Ludwigshafen in den Jahreswechsel hinein, sozusagen eine Steigerung des Rundgangs vom letzten Jahr. Als dann doch die Zusage für Ruppertsberg kam, haben wir sie nicht mehr angenommen, unsere Idee gefiel uns besser.
Die ganzen Tage davor und an Silvester sind die Wetteraussichten schlecht: meist regnet es, der Regenradar ist flächig blau. Im Reisejahr hat uns das nicht abgeschreckt, Kleidung und Ausrüstung sind optimiert, wir bleiben dabei.
Ab 17 Uhr wird, wie immer etwas knapp, umgezogen und gepackt, etwas Erinnerung an die Reiseroutine ist noch da und wird – hoffentlich nachhaltig – aufgefrischt. Um 17:36 steigen wir am Pfalzbau in die Rhein-Haardt-Bahn, unsere historische Straßenbahnlinie, die ab Ludwigshafen-Oggersheim durchs freie Feld und die Weinberge nach Bad Dürkheim fährt. Am Depot Bad-Dürkheim-Ost steigen wir aus, es regnet, mit Schirm gehen wir die gut 500 Meter aus der Stadt raus zu der Weinbau-Siedlung am Neuberg, das neue rote Haus der “Vinothek und Restaurant Pauls” des Weingutes Castel Peter leuchtet uns entgegen. Wir sind angenehm überrascht: uns empfängt eine klare, ästhetisch gelungene Innenarchitektur mit einer hohen Vorhalle und zentraler Bar, in der auch die Weine präsentiert werden. Dahinter sind die Funktionsräume, auf denen der Haupt-Gastraum als Empore mit Überblick angeordnet ist. Trotz Verzicht auf Vorhänge und Stoffmassen ist die Akustik angenehm, in die Balken der Decke wurden geschickt und unauffällig Akustik-Dämmelemente eingebaut. Der Service ist von Anfang bis Ende sehr freundlich, aufmerksam und zuvorkommend, wir suchen uns drei Gänge aus, zu denen es Rehrücken als Gruß aus der Küche gibt. Pfälzische Küche wird auf der übersichtlichen, aber abwechslungsreichen Karte heute nicht präsentiert, würde auch nicht zum Anlass passen. Sicher sind nicht alle SlowFood-Kriterien erfüllt, die Regionalität stimmt hauptsächlich beim Wein. Wir sind jedenfalls von Qualität, Präsentation und Ambiente vollkommen überzeugt und damit nicht die Einzigen; kurz nach uns füllen sich langsam alle Tische. Wegen unserer Wanderung gehören wir zu den Ersten, die gehen: Um 21 Uhr starten wir in den Regen, dem ich allerdings nach Regenradar noch 15 Minuten gebe, danach haben wir vielleicht sogar bis zum Ende Ruhe. Und so kommts auch: Es wird weniger, nieselt in der nächsten halben Stunde noch öfters, dann wirds trocken und bleibt bedeckt. Es ist warm: wir hatten uns auf Kälte vorbereitet, am Ende laufen wir mit offener Jacke, sowieso handschuhfrei und schwitzen sogar. Unter den Wolken ist rundrum viel Licht: die umgebenden Dörfer leuchten, die Weinstraße und die Städte am Rhein sowieso. Das Licht gibt den Wolken Struktur, Windräder blinken als rote Punkte, Haardt und vielleicht sogar der Odenwald zeichnen sich am Horizont ab. Grandioser Überblick! Trotz Nässe und Dunkelheit erkennen wir die Wegspuren gut, das Auge gewöhnt sich an die Lichtverhältnisse, und wir können das umgebende Lichtschauspiel von unseren einsamen Feldwegen aus wunderbar genießen. Hin und wieder zieht mal das Lichtband einer Straßenbahn übers Feld, die Lichter von Autos und Autobahnen durchziehen die dunkle Umgebung. Der leuchtende Pylon der Ludwigshafener Hochstraßenbrücke am Horizont kommt verdächtig schnell näher und entpuppt sich als angestrahlter Kirchturm von Ellerstadt. Rückblickend im Westen zieht sich spitz ein kleines Lichtermeer in den Himmel; es könnte der Hang der Limburg hinter Bad Dürkheim sein. Die Stirnlampe kommt nur für den Blick auf die Karte oder an Abzweigungen zum Einsatz. Mit der topografischen 1:50.000-Karte komme ich wunderbar klar, markierte Wanderwege gibts in dieser untouristischen Fläche sowieso nicht, dafür genug ausgebaute Wirtschaftswege. Nicht immer ist es einfach, Autobahnen und Bahnstrecken zu überwinden, die Orientierung klappt aber bestens. In den Weinbergen sind die Wege gut begehbar, Richtung Rhein geht es dann in Acker- und Gemüsebau über, da wurde dann im Wortsinne “geackert”, die Wirtschaftswege sind unter Schlammschichten und Traktorspuren versteckt und mit Pfützen übersät. Ob wir uns da im Hellen überhaupt durchgetraut hätten? Wir sind offenbar auch die Einzigen, die sowas machen, schon erst recht in dieser Gegend. Vor Maxdorf treffen wir auf den einzigen Wald, auch dort sehen wir ohne Lampe und ohne Schnee genug. In Maxdorf-Süd treffen wir passend auf die Straßenbahn, lassen sie aber fahren, wir haben noch nicht genug. Entlang der Bahnschienen überwinden wir die Autobahnen und landen kurz vor Mitternacht in Ludwigshafen-Ruchheim, haben also die Stadt erreicht. Wir starten Richtung Ludwigshafen-Oggersheim, vielleicht reichts ja für die Bahn um 0:36, mit den weiteren sieben Kilometern bis an den Rhein wollen wir uns die Nacht auf jeden Fall nicht vertreiben. Um 0:00 sind wir zufällig in der Pfarrer-Friedrich-Straße, packen auf einem Mauerpfosten unsere Sektflasche aus und stoßen auf das neue Jahr an. Noch ist es sehr ruhig, einzelne Raketen fliegen durch die Umgebung, doch langsam öffnen sich die Häuser, und Kästen mit Feuerwerksbatterien werden mitten auf der Straße platziert, und wir sind mittendrin. Die nächste Viertelstunde knallt, kracht und leuchtet es rundum dicht und überall, es riecht zunehmend und wird diesig. Da haben wir doch zufällig einen tollen Ort für den Jahreswechsel getroffen, ganz anders als der Überblick von unserem Hochhaus. Wir kehren um, Oggersheim ist nach dieser “Verzögerung” nicht mehr zu schaffen, wir sind auch so mit unseren 14 Nachtkilometern hochzufrieden. Auf dem Weg zur Bahn prosten wir Anwohnern zu, dann kommt um 0:24 die recht leere Silvester-Zusatzbahn aus dem Dunkel, erst in der Innenstadt füllt sie sich mit jungen Leuten. Wir fahren bis zum Berliner Platz, um die Bescherung zu begutachten: alles übersät mit Raketenresten. Hier gings noch eher klassisch zu: Papiertürmchen und -fetzen, Raketenstiele, nicht der Overkill mit den automatischen Feuerwerksbatterien wie im Vorort, der professionellen Feuerwerken kaum nachstand. Am Kamin lassen wir den Tag mit dem Sektrest aus dem Rucksack ausklingen und sind noch von den Eindrücken unserer Wanderung ausgefüllt.
PS: Fotos gibts keine. Wir hatten uns entschieden: entweder Wandern oder die Spiegelreflex mitnehmen und mit Stativ herumexperimentieren, um die vielen Lichtstimmungen passend einzufangen. Das hätte gedauert und der Wanderung einen anderen Charakter gegeben.

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