Berlin: Fotoseminar und Wolfsburg: Kunstmuseum
Bei uns leicht neblig, unterwegs sonnig, in Berlin dunkel, so starten wir Freitag mittag, mit Fahrschein und ausnahmsweise auf reservierten Plätzen, der ICE ist schließlich am Freitag nachmittag rappelvoll. Die Hotelwahl ist günstig: zwischen Potsdamer Platz und Halleschem Tor. So können wir gleich mit RE vom Hauptbahnhof zum Potsdamer Platz fahren, am Ausstieg gibts sogar den ersten Glühwein neben der Eisrodelbahn, passend dazu hat Berlin Handschuhwetter mit kaltem Wind bereit. Am Abend habe ich fußläufig am Mehringdamm ein vegetarisches Restaurant ausgesucht, die Seerose. Es entpuppt sich dann eher als Wohnstube mit Buffettheke, ist aber auch ein Erlebnis: viel Auswahl, günstige Preise, am Freitag zusätzlich mit Seezunge und Tiramisu als Nachtisch. Lecker, mit leichter Kantinenatmosphäre, jeder sitzt mit jedem am Tisch. So bleibt noch genug Zeit, den Abend angenehm im Hotel ausklingen zu lassen; die weitere Versorgung lässt sich in einem der Berliner Spätkäufe problemlos auf dem Weg erledigen.
Am Morgen startet das Seminar um zehn, da ist es günstig, dass wir mit der U-Bahn direkt in vier Stationen und kurzem Fußweg dorthin kommen, da müssen wir erst – oder schon – um neun zum Frühstück.
Im Juli waren wir im Reisejahr zur früheren Folge der Seminarreihe, heute treffen wir alles in fortgeschrittenerem Stadium wieder. Jedes der acht Projekte hat 45 Minuten, jeder sagt, was er vom heutigen Termin erwartet, und präsentiert dann seinen Stand, meist eine exemplarische Bilderserie und ein Projekt-Exposé. Interessant ist es, die anderen Ergebnisse zu sehen und von den Schwierigkeiten zu hören, mit denen alle zu kämpfen haben. Auch bei uns ist es nicht gar nicht einfach; aufgrund der Menge des Materials fällt es uns schwer, wie beabsichtigt ein Ausstellungsprojekt herauszudestillieren. Wir waren in dieser Woche zur Beratung im Kunstverein, jetzt ist uns klar, dass wir mit einem schlüssigen, zündenden Konzept und Beispielen kommen müssen. Keiner wartet auf uns, liest die Fülle und entscheidet dann, mit uns oder – das wäre uns am liebsten gewesen – für uns aus dem ganzen Blog und was wir sonst noch haben ein Projekt zu schnitzen. Wir sind erstmal schon daran gescheitert zu klären, ob wir einen Ausschnitt nach Tagen oder Themen bilden sollten, ob Ausstellung, Vorträge oder Buch das Geeignete sind.
Jetzt sieht die Gruppe unser Material und bald wird klar: Das Projekt lebt von der “Opulenz”, jedes Zusammenstreichen ist unpassend, auch die Fotos müssen sein. Es läuft also auf ein Buch hinaus. Jetzt sehen wir wenigstens Licht am Ende des Tunnels, oder besser, wir wissen überhaupt, durch welchen Tunnel die beste Richtung verlaufen könnte, und brauchen (noch) nicht frustriert stehenzubleiben und aufzugeben. Lassen wir uns also überraschen, was wir zusammengebaut bekommen und ob wir jemanden damit überzeugen können.
Wir belohnen uns mit einem ungewöhnlichen Abendessen: ich habe das Volt gefunden, ein gehobenes Restaurant in besonderem Ambiente, dem Alten Umspannwerk am Paul-Lincke-Ufer in Kreuzberg, wohin wir vom Seminarort in Neukölln zu Fuß hinlaufen können. Unter den Köstlichkeiten, die wir essen, fallen besonders die Kürbissuppe und das Kürbiskraut mit Ingwer auf, auch das Rotkraut und die Variationen vom Bratapfel als Dessert sind sehr fein; das alles ist die Mehrkosten absolut wert. Die alte, oberirdische U1 bringt uns zurück zum Hotel, wo wir den Tag noch gemütlich zusammenfassen können.
Am Sonntag Morgen können wir eine halbe Stunde später frühstücken, dann fahren wir bei strahlendem Sonnenschein und Rauhreif nach Wolfsburg, wo wir uns Ausstellungen vorgenommen haben. Wir fahren extra mit dem IC, der hält in Stendal, netterweise eine Minute zu früh, so dass wir uns sogar vier Minuten mit Onkel Klaus, den wir im Reisejahr mehrfach gesehen haben, auf dem Bahnsteig treffen können. Der ist topfit und mit dem Fahrrad gekommen, immerhin hat er diesmal Handschuhe in der Jackentasche.
In Wolfsburg suchen wir zunächst nach der Kunststation im Bahnhof. Das steht zwar dick im Eingangsbereich über einer Nische, wir bringen das allerdings nicht richtig zusammen, weil uns noch irgendwas von einem Tunnel im Gedächtnis ist. Wir finden einen vom Parkplatz zum Tor 17 von VW, unter der Bahn und dem Mittellandkanal hindurch. Dort gibt es Fotos von Heidersberger zum Wolfsburg der 60er Jahre, die schauen wir an, obwohl wir sie nicht gesucht haben. Dann googeln wir nochmal, und es wird klar: wir müssen im Bahnhof schon davor gestanden haben. Es ist nur eine Nische zwischen den zwei Eingängen mit zwei größeren Wänden, die groß mit zwei Wolkenmotiven von Heidersberger, wie er sie zur Montage in seinen vielen Wolfsburg-Bildern verwendet hat, bedruckt sind. Jetzt erinnern wir uns auch an die Kunstnische, da haben wir uns selbst gut reingelegt, aber es ist ja nichts passiert, wir haben nur zuviel erwartet. Wir erwischen gleich einen Bus, das ist dann wieder Glück beim sonntäglichen Halbstundentakt. Im Kunstmuseum ist viel los, wir kommen vorwiegend wegen “Cartier-Bresson – Landschaften” und starten mit seinen Fotos. Die Hängung dieser bekannten, noch von ihm selbst ausgewählten Motive ist erstmals nach formalen Gesichtspunkten und nicht nach Chronologie erfolgt, dadurch tritt sein einmaliges Gespür für Ort, Zeitpunkt und Ausschnitt, auf den Punkt vereint, noch deutlicher hervor, und bei 50 Jahre alten Fotos kommt es auf die zeitliche Reihenfolge wirklich nicht mehr an. Die Hauptausstellung “Die Kunst der Entschleunigung – Bewegung und Ruhe von Caspar David Friedrich bis Ai Weiwei” lassen wir uns durch eine Führung näherbringen. Die ausgewählten Werke an sich sind hochklassig; für unser Empfinden ist die Verbindung mit dem Thema öfter etwas weit hergeholt und die Kontrastanordnung zwischen Bewegung und Ruhe recht plakativ. Gegen Abend erreichen einen pünktlichen, durchgehenden Zug und finden zwei Plätze nebeneinander, reserviert, aber nicht in Anspruch genommen. So erreichen wir bequem die Heimat, jetzt kommt die Arbeit am Projekt.