9. Oktober: Bautzen und letzte Rückfahrt

Bautzen: Stadtführung und Türme, leicht aufregendes Ende der Rückfahrt über Mitternacht und Empfang zurück

Die letzte Nacht des Reisejahres ist vorbei, das Hotel Alte Gerberei ist mit dem Appartment über das gesamte Dachgeschoss und direkt an der Spree ein Höhepunkt. Wir beeilen uns mit dem Packen und erreichen die Stadtführung im Zentrum. Es ist richtig kalt, vier Grad am Morgen, ohne Handschuhe geht es nicht, fast alle Kleidungsschichten sind im Einsatz. Wenn das Jahr noch weiterginge, wäre wieder die Winter-Packliste dran. Wir erfahren beim Rundgang einiges über Geschichte und Handel auf der Via Regia, die Tuchmacher und die Vergangenheit der zwei 1904 und 1906 eröffneten Gefängnisse, die während der NS-Zeit und in der DDR eine unrühmliche Rolle spielten und heute noch in der Welt mit dem Namen Bautzen in Verbindung gebracht werden. Mielkes Sondergewahrsam Bautzen II ist heute Gedenkstätte. Weiter auffallend sind die mehr als zehn Türme, Stadttürme, Rathausturm, Kirchtürme und alte und neue Wasserkunst, mechanische Pumpwerke mit Zwischenspeicher, um bis zum 19. Jahrhundert die auf dem Plateau liegende Stadt mit Spreewasser zu versorgen. Fachwerk hat die Stadt übrigens keines, weil nach mehreren Stadtbränden der Holzbau verboten wurde und Brandmauern zwischen den Häusern vorgeschieben wurden. Zur Wende war die Altstadt nur noch gering bewohnt und verfiel, da keine funktionierende Entwässerung existierte, nach der Wende wurde viel investiert und restauriert, heute ist wieder Leben in die Altstadt zurückgekehrt, es gibt 30 Lokale, Touristen und viele Bewohner, bis auf spezielle Problemfälle ist alles saniert und sieht als ganzes Stadtbild wirklich gut aus, wozu das malerische Spreetal deutlich beiträgt. In und um eine alte Kirchenruine am Hang hat sich ein fast genauso alter Friedhof ausgebreitet. Es gibt noch mehr Überraschungen am Reiseende: die spätgotische Kirche St. Petri ist Simultankirche; ein Geländer teilt sie, es gibt zwei Altäre und zwei Orgeln, und an der Trennstelle hat das Gebäude einen leichten Knick, beim Anbau konnte man wohl nicht ganz in der selben Richtung weiterbauen. Beim Aufstieg im Turm von St. Petri landen wir der einzigen noch bewohnten Türmerwohnung; Frau Kuschel hält am Wochenende am Nachmittag den Turm geöffnet, in der Woche steigen beide zur Arbeit in die Stadt hinab. Die Erzählungen zum Leben hier oben sind sehr interessant, ebenso der Turm selber auf dem höchsten Punkt der Altstadt mit seinem verknoteten Holzgestühl und seinen acht kleinen, offenen blumengeschmückten Fenstern, an denen die Türmerfamilie alle zu sehenden Objekte beschriftet hat. Ähnlich gut ist die Sicht vom Reichenturm, nicht so hoch, aber mit offener Plattform, die beiden Strafanstalten, von weitem ansehnliche Gebäude, sind gut zu erkennen. Wir drehen noch einige Kurven durch die Stadt und gehen über das 23 m hohe Viadukt der Friedensbrücke über die Spree, das dem Durchgangsverkehr dient, und steigen dahinter die Treppe zum Hotel hinunter, vorbei an einem kleinen privaten Weingarten, und sammeln unser Gepäck ein.
Gemütlich rollen wir zum Bahnhof, unser letzter Fußmarsch. Wir kaufen für die Rückfahrt ein und stellen uns zu den vielen Fahrgästen auf den Bahnsteig. Pünktlich geht es los zur letzten Reise unseres Projekts im komplett vollen Zug, wir sitzen dennoch gut. In Dresden steigen wir nicht wie vorgeschlagen in Neustadt um, sondern fahren bis Hauptbahnhof, das gibt mehrere Vorteile: keine Wartezeiten und leerer Zug, weil er von hier startet, und zweimal Elbbrücke mit Blick auf die Sehenswürdigkeiten. Im Zug ist viel Platz, wir sitzen in der Nähe des Bistros und essen erstmals im Zug zu Abend. Es wird immer früher dunkel, um 18:40 ist nicht mehr viel zu sehen. In Leipzig warten wir zehn Minuten auf Anschlussreisende; ob der nächste Zug in Frankfurt das auch tut? Wahrscheinlich ist das gar nicht nötig, in Eisenach sind es nur noch drei Minuten, und es werden weniger. Wir haben nette Kontakte mit dem Bistrochef und der Zugbegleiterin, jetzt wissen wir, dass unsere Bahncard bis zum Betriebsschluss gilt, also unsere Zeitrechnung: Der Tag endet nicht um Mitternacht, sondern mit dem Schlafengehen. Dafür steht der Anschlusszug mit +35 im Internet. Ob die Lounge in Frankfurt noch offen hat? Nein, nur bis 22 Uhr. Warmer Aufenthaltsort ist der S-Tiefbahnhof. Wir haben den RE fahren lassen, und der ICE hat jetzt +50, damit später in Mannheim als der RE und knapp für die nächste S-Bahn, verkalkuliert. Der ICE kommt dann wirklich und fährt schnellstmöglich, +51. Die Ansage sorgt wieder für etwas Aufregung: für die voraussichtliche Ankunft rechnen sie die fahrplanmäßige Fahrzeit drauf, zu spät für die S-Bahn, aber zum Glück fährt er die mir bekannte schnellstmögliche Zeit, holt also nochmal vier Minuten auf, und wir stehen in Mannheim sekundengenau pünktlich auf dem S-Bahn-Bahnsteig. Die hat aber wieder vier Minuten Verspätung, also das ganze Tempo unnötig. Mit der Bahn muss man manchmal einfach cool bleiben, die Minuten sind nicht immer voraussehbar. So kommen wir mit etwas Aufregung und 34 Minuten später, um 0:37 in LU Mitte an. Vor unserer Wohnungstür eine Überraschung: Zwei Freundinnen und unsere Tochter haben den Wohnungseingang zum Empfang dekoriert! Und als weitere Überraschung finden wir in der Post von unserer Meisterkommentatorin Gabriele Heck einen Glückwunsch

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zum Projektabschluss und “Ersatzbahncards”.

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Wir setzen uns noch kurz hin und lassen etwas Revue passieren und denken über neue Pläne nach. Den Plan, Montag früh zum Kunden zu fahren, muss ich begraben, da würde ich nur schlafen. Jetzt haben (leider) erstmal die Alltagsstapel Vorrang.

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4 Antworten auf 9. Oktober: Bautzen und letzte Rückfahrt

  1. Waltraud und Christian Deimel Bockenheim sagt:

    Liebe Marlis, lieber Joachim, wir haben auch die letzten Berichte der Ankunft
    mit großer Freude gelesen. Bei vielen Gesprächen mit Freunden verteidige
    ich ständig das Bahnfahren und schildere Eure große Jahres- Bahntour und
    meine kleine Quer durchs Land Tour. Heute sitzen wir gebannt vor dem
    Fernseher und werden Euch Beifall klatschen.
    Liebe Grüße Waltraud und Christian

  2. Peter Krauss sagt:

    Wenn ich “bahn….” in tippe, um eine Verbindung zu suchen, kommt immer noch die automatische Ergänzung “….zeit-reise” :-)

    Bautzen (Partnerstadt von Heidelberg) ist eines der wenigen Reiseziele, die ich aus eigener Anschauung kenne, wenn auch nur aus der Zeit der “Wende”. Damals sahen ganze Straßenzüge aus wie nach einem Erdbeben. Was für ein Unterschied. Kein Verständnis für Ostalgie, auch wenn restaurierte Fassaden nicht alles sind.

    Man kann das doch alles noch eine Weile nachlesen und -gucken? Die Reiseberichte mit BC 50 werden doch hoffentlich fortgesetzt?

    Viele Grüße
    Peter

  3. Gabriele Heck sagt:

    Hallo, Ihr zwei,

    jetzt sind endlich auch die Fotos der letzten Reisetage im Internet zu sehen.
    Wirklich schön!
    Die letzten Beschreibungen von Joachim klingen wie ein kleiner Zeit-Krimi.
    Aber so ist es tatsächlich. Weil die Welt schlussendlich nicht planbar ist, jongliert man ständig, vor allem mit der Zeit. Wie soll es (mit) der Bahn da anders gehen?

    Hauptsache, Ihr seid fröhlich und in bester Laune angekommen.
    Aber das bestätigen ja die Fotos!

    Ist es nicht schön, so empfangen zu werden?

    Liebe Grüße
    Gabi

  4. Marianne Schäfer-Engelmann sagt:

    Liebe Marlis, lieber Joachim,
    wir sind sehr froh, dass Ihr auch die letzte Reise glücklich, voller Elan und mit Humor erlebt habt. Großartig Ihr Zwei!!!

    Herzliche Willkommensgrüße von Marianne und Joachim aus Neuwied