5. Oktober: Naumburg

Naumburg: Besuch der Landesausstellung “Der Meister von Naumburg”

Heute ist der blaue Himmel weg, da passt es, dass wir uns in Naumburg die Landesausstellung Sachsen-Anhalt “Der Naumburger Meister” vorgenommen haben. Nach fünf Minuten Bahnfahrt sind wir dort. Der Weg ins Zentrum ist mit zwei Kilometern ungewöhnlich lang, aber es gibt eine originelle Möglichkeit, ihn zu überbrücken: Naumburg hat als einzige Kleinstadt noch eine Straßenbahn, 1991 schon mal eingestellt, 2007 wieder im Halbstundentakt, manchmal auch öfter in Betrieb genommen, offenbar eine Touristenattraktion. Gefahren wird mit alten kleinen Wagen aus DDR-Zeit, in Restaurierung befinden sich welche von 1928. Der Fahrer kümmert sich rührend um die Schulklasse und sagt alle Stationen an. Naumburg ist entlang der Hauptwege gut restauriert, es gibt in manchen Ecken jedoch noch einigen Verfall, beispielsweise im Bereich der Judengasse. Wir starten mit der Stadtkirche St. Wenzel am Markt. Hier gibt es ein Mittags-Orgelkonzert auf der von J.S.Bach persönlich abgenommenen Hildebrandt-Orgel, das besuchen wir mit 250 anderen, der Klang ist wunderbar transparent. Danach besteigen wir den Turm mit langer, schmaler, steiler Wendeltreppe und geräumiger, aber wie überall nicht mehr genutzter Türmerwohnung und bestem Rundblick über Markt, Dom und Stadt. Im Schlösschen am Marktplatz beginnt die Ausstellung – wegen Fotografierverbot ist der Text unbebildert – mit vielen Ausstellungsstücken gotischer Baukunst aus der Zeit des Meisters zwischen 1225 und 1270. Statuen, Kapitellen und anderen bildhauerischen Objekten, meist aus Kirchen, geliehen aus Museen aus ganz Europa; Originalsteine, wenn an den Objekten schon Kopien eingebaut sind, sonst Abgüsse. Daran wird sein Arbeitsstil entlang seines Weges von Reims über Mainz zu seinem Hauptwerk, dem Westchor des Naumburger Domes – daher der Ersatzname -, bis nach Meißen verfolgt. Seinen Namen und sonstige biografische Daten kennt man nicht; klar ist aber, dass er sowohl Architektur und Bildhauerei beherrschte und vom Erzbischof von Mainz nach Deutschland geholt wurde. Sein Markenzeichen sind überzeugend natürlich wirkende Figuren und Zusammenstellungen von Mimik, Gestik, Bewegung und Kleidung, wie man sie bisher nicht gekannt hatte und in der Romanik auch nicht üblich waren. Hinzu kommt in der Gotik die Verwendung von Schablonen und Zeichnungen, es gibt erste Musterbücher. Dadurch verbreitet sich der gotische Stil ausgesprochen schnell in Europa und wird bis 1500 immer weiter entwickelt. In einem Film wird ein Überblick über die damaligen Kirchenbauten gegeben. Wir wechseln zum Hauptausstellungsort, dem viertürmigen Dom mit Kreuzgang, Dompark und verbundener Marienkirche, etwas außerhalb des Innenstadtringes. Dort werden die besonderen Teile des Westchors genauer betrachtet, der Westchor selbst ist Teil der Ausstellung. Er ist durch den Meister an die ursprünglich spätromanische Kirche angebaut worden und durch einen ungewöhnlichen Lettner abgeteilt. Im Fries ist mit lebendig wirkenden Szenen und Figuren die Passionsgeschichte dargestellt, der Eingang wird vom Kreuz unterteilt. Der Chor selbst ist eine kleine Kirche, am Ende fünf originale hohe Glasfenster, ein hölzernes Chorgestühl mit steinernen Baldachinen, und auf einer umlaufenden Brüstung keine Heiligen, sondern Stifter von damals; diese Tatsache führte zu Gerüchten um den Meister unter dem Titel “Ketzer von Naumburg” und er wurde mit den Waldensern in Verbindung gebracht. Wahrscheinlich war der Grund für diese Ausgestaltung jedoch ein Beschluss der Auftraggeber aufgrund der politischen Machtverhältnisse. Diese Gruppe aus zwölf lebensgroßen Figuren ist der künstlerisch wertvollste Teil, er wurde aber erst im 19. Jahrhundert von der Kunstwelt rezipiert. Goethe hatte einst die Kirche besichtigt und darüber geschrieben; er fand sie dunkel und feucht, den Lettner fand er merkwürdig und hat erst gar nicht in den Westchor geschaut. Im Ostchor machen wir dann doch ein Foto. Unter den Figuren wurde die Markgräfin Uta mit ihrer strengen, klaren Erscheinung Projektionsfläche deutscher und arischer Phantasien und zu verschiedenen Zwecken im 19. und 20. Jahrhundert vereinnahmt, obwohl man außer der Optik der Statue nichts von Uta wußte und weiß. Es wurden über sie Bücher und Theaterstücke geschrieben, Soldaten zum Durchhalten ermuntert und ähnliche demagogische Akte mehr. Man ritt und reitet auf dem Uta-Kult. Dies wird auf der letzten Station im Stadtmuseum in einer Ausstellung der Uta-Produkte eindrucksvoll präsentiert. Insgesamt haben wir eine spannende Geschichte betrachtet und einiges neues erfahren. Das Land hat hier keinen Aufwand gescheut, das Publikum honoriert das offensichtlich. Die Idee, am Nachmittag nach Freyburg/Unstrut weiterzufahren, das Gebäude der Rotkäppchen-Sektkellerei anzusehen und im Ort zu essen, lassen wir angesichts der unerwartet interessanten Ausstellung fallen. Statt dessen kehren wir nach Schließung der Museen am Markt in Naumburg ein, laufen im Dunkeln zum Bahnhof zurück und befassen uns mit Vorbereitungen der nächsten Tage und den ins Zimmer eingedrungenen Mücken.

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Eine Antwort auf 5. Oktober: Naumburg

  1. Gabriele Heck sagt:

    Uta von Naumburg gehört zu den wenigen Figuren, die sogar ich mir gemerkt habe aus Zeiten, die lange her sind. Sie sieht wirklich sehr schön aus auf dem Foto.
    Nur habe ich keine Vorstellung davon, wie groß sie ist?